Dinslaken. Dinslakens weiterführende Schulen haben zu wenig Platz. Die Stadt hat vorgeschlagen, an manchen Schulen auswärtige Kinder abzuweisen.

Mit einer Beschlussvorlage in der Hand und Wut im Bauch saßen Astrid Weidler, Leiterin des Otto-Hahn-Gymnasiums (OHG), und ihr Kollege Thomas Nett, Leiter des Theodor-Heuss-Gymnasiums (THG), auf den Zuschauerstühlen im Schulausschuss. In dem Dokument zur Schulentwicklungsplanung empfiehlt die Stadtverwaltung Dinslaken überraschend, was Vertreter von Schulen und Politik im September in einer gemeinsamen Konferenz abgelehnt hatten: das Stadtkinderprinzip. Das bedeutet, dass weiterführende Schulen bevorzugt Kinder aus Dinslaken aufnehmen und bei Kapazitätsengpässen Schüler aus anderen Kommunen ablehnen sollen.

So viele Plätze fehlen an weiterführenden Schulen in Dinslaken

Laut Schulentwicklungsplan gibt es an den weiterführenden Schulen in Dinslaken künftig nicht genügend Plätze, um alle Schülerinnen und Schüler aus Dinslaken aufnehmen zu können. Die Schülerzahlen werden danach in den kommenden zehn Jahren um etwa 1500 Schülerinnen und Schüler steigen, vor allem vom Jahr 2026 an soll es eng werden: Dann bekämen bei einer Klassengröße von 27 Schülern 170 Schüler keinen Platz, bei einer Klassengröße von 30 Kindern wären es 104 Schülerinnen und Schüler. So viele Plätze fehlen 2026 an den Schulen (bei 27er-Klassen):

  • Ernst-Barlach-Gesamtschule: 29
  • Gesamtschule Hiesfeld: 28
  • Gustav-Heinemann-Gymnasium Hiesfeld: 14
  • Otto-Hahn-Gymnasium: 30
  • Theodor-Heuss-Gymnasium: 37
  • Gustav-Heinemann-Realschule: 32

Auch im kommenden Jahr werden die Kapazitäten sämtlicher weiterführender Schulen bei einer Klassengröße von 27 Schülern nicht reichen, bei 30 Schülern würden zumindest die Gesamtschulen und das Gymnasium Hiesfeld alle prognostizierten Kinder aufnehmen können, alle anderen müssten abweisen, so das Gutachten zur Schulentwicklungsplanung.

Das sind mögliche Lösungen

Die Schulentwicklungsplanung zeigt zwei Wege auf, um die Kapazitäten dem Bedarf anzupassen. Eine Möglichkeit wäre eine Erhöhung der Eingangsklassen an OHG, THG und Realschule: Die Raumanalyse in der Untersuchung bestätigt, dass vier Züge an diesen Schulen möglich sind.

Die andere Möglichkeit wäre, auswärtige Kinder abzuweisen. Das Schulgesetz eröffnet in Paragraf 46 diese Möglichkeit, wenn die Zahl der Anmeldungen die Kapazitätsgrenze übersteigt und wenn die betreffenden Kinder in ihrer eigenen Kommune eine Schule der gewählten Schulform besuchen können.

Das schlägt die Stadtverwaltung vor

Im kommenden Schuljahr sollen bei Überhängen nach dem Anmeldeverfahren noch Mehrklassen gebildet werden. Eine grundsätzliche Änderung der Zügigkeiten - also eine Eingangsklasse mehr - hätte die Stadt bis Ende Oktober beantragen müssen. Langfristig aber spricht sich die Stadtverwaltung für die die Anwendung des Stadtkinderprinzips an den beiden Gesamtschulen aus - also „durch einen Beschluss nach § 46 Schulgesetz die Möglichkeit auswärtige Schülerinnen und Schüler im Falle eines Kapazitätsüberhangs abzuweisen, in Anspruch zu nehmen.“

Würden die drei Gymnasien alle auswärtigen Kinder (mit Ausnahme der Hünxer Schüler) abweisen (zuletzt 15 am THG, 11 am OHG und 7 am GHG), wäre das insgesamt etwas mehr als eine Klasse - verteilt auf alle drei Schulen. Allerdings könnte auf diese Weise, so die Stadtverwaltung in der besagten Vorlage, eine Erhöhung der Zügigkeiten vermieden werden. Die Anmeldezahlen für das Schuljahr 2024/25 sollen ausgewertet und die konkreten Auswirkungen eines Beschlusses nach dem Stadtkinder-Prinzip dargestellt werden. Außerdem solle die stadteigene Prozent noch einmal prüfen, was das Gutachten zur Schulentwicklungsplanung bereits bestätigt hat: Ob THG und OHG dauerhaft genügend Platz für eine weitere Eingangsklasse haben.

Bei der Realschule würde das Stadtkinderprinzip wenig bringen: Zwar kamen in der Vergangenheit 16 Prozent der Schüler von Grundschulen außerhalb von Dinslaken, zuletzt waren es 20 auswärtige Schüler. Allerdings könnten die Schüler aus Voerde und Hünxe (in Ermangelung einer Realschule dort) nicht abgelehnt werden. „Ginge man auf maximal 30 Schülerinnen und Schüler pro Klasse und würde alle Auswärtigen, die nicht zwingend genommen werden müssen, abweisen, käme die Realschule mit ihrer Größe gerade aus, 2026 und 2028 würde es selbst dann sehr knapp“, so das Gutachten. Die Stadt empfiehlt daher, die Realschule auf vier Eingangsklassen zu erweitern.

Applaus für Wutrede der FDP-Stadtverordneten

Dass ein Vertreter einer Partei in einem Gremium stehende Ovationen von den anderen Fraktionen bekommt, ist eher selten. Bettina Piechatzek, Stadtverordnete der FDP, wurde für ihre Wutrede im Schulausschuss mit Applaus aller Fraktionen bedacht. Dass die Stadt eine vierseitige Beschlussvorlage samt der 200-seitigen Schulentwicklungsplanung der Politik erst einen Tag vor dem Ausschuss zur Verfügung stellt, fand sie respektlos, die Inhalte der Beschlussvorlage teils „merkwürdig“. OHG und THG seien jahrelang vierzügig gewesen, beide Schulleiter hätten bei der Zusammenkunft im September die Frage, ob sie die räumlichen Voraussetzungen für eine Vierzügigkeit hätten, ausdrücklich bejaht. Und nun solle die Prozent das noch einmal prüfen? „Ich frage mich, was dieser Antrag soll.“ Zudem habe die Bezirksregierung bereits signalisiert, einer Erhöhung der Zügigkeiten zuzustimmen - „und dann schaffen Sie es zwei Wochen lang nicht, diesen Antrag zu stellen?“

Bei dem Treffen im September hätten sich zudem die Beteiligten mehrheitlich gegen Klassen mit 30 Kindern und gegen das Stadtkinderprinzip, also die Abweisung auswärtiger Schüler ausgesprochen, so die FDP-Frau. Astrid Weidler erklärte am Rande der Sitzung Gründe dafür: etwa, dass viele auswärtige Kinder auch Dinslakener Grundschulen besuchen, dass sich bereits Freundschaften gebildet hätten. In Dinslakener Vereinen etwa seien die Kinder willkommen - an weiterführenden Schulen aber nicht?

Der Konsens dieser zweieinhalbstündigen Versammlung mit 50 Personen habe aber keinen Eingang in die Beschlussvorschläge gefunden - lediglich auf eineinhalb Zeilen werde wiedergegeben, dass man das Stadtkinderprinzip dort „durchweg kritisch“ gesehen habe. „Das war reine Zeitverschwendung“, ärgerte sich die FDP-Frau: „Das macht mich wirklich fassungslos und auch ein bisschen wütend.“

Es handele sich bei der Beschlussvorlage, so erläuterte Thomas Termath, Leiter des städtischen Geschäftsbereichs Bildung, Kultur, Freizeit und Sport, nicht um einen Vorschlag, „um eine Zügigkeitserhöhung zu vermeiden“ sondern: „Aus unserer Sicht könnte das Stadtkinderprinzip nach erfolgter Zügigkeitserhöhung trotzdem an der einen oder anderen Stelle Sinn machen.“ Vor zwei Jahren etwa habe das THG trotz Einrichtung einer Mehrklasse noch 12 oder 14 Kinder abweisen müssen. „Für einen solchen Fall könnte ein Stadtkinderprinzip dazu beitragen, dass Kinder aus Dinslaken nicht abgewiesen werden.“

Weil die Beschlussvorlage außerdem eine Erweiterung der Klaraschule und eine Übergangslösung (Container) an der Dorfschule vorsah, wurde der Beschlussvorschlag durchgewunken. Eine Einführung des Stadtkinderprinzips ist damit nicht verbunden - der Schulausschuss ließ den Passus streichen. Die endgültige Entscheidung trifft der Stadtrat am 12. Dezember. Die Schulleiter seien weiterhin „sehr irritiert“, so Astrid Weidler.