Dinslaken. Ein Schicksalsschlag hat Christinas Leben verändert. Warum sie trotz Rollstuhl und Orthesen die erste Miss Germany mit Handicap werden will.
Warum eigentlich nicht – das dachte sich Christina Modrzejewski als sie gleich mehrfach durch Zufall Werbung für die Miss Germany Wahl 2024 erhielt. Sie bewirbt sich, schafft es im Sommer zunächst unter die besten 160. „Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich in die engere Auswahl komme“, sagt Christina.
Und der Traum geht noch weiter: Die 27-jährige Dinslakenerin überzeugt in der nächsten Castingrunde und sichert sich einen Platz in den Top 40 – trotz oder vielleicht gerade wegen ihres Handicaps. Christina ist auf Rollstuhl und Orthesen angewiesen.
Dinslakenerin erkrankte an Guillain-Barré-Syndrom – und spürt Beine nicht mehr
Vor zwei Jahren veränderte sich das Leben der damals 25-Jährigen schlagartig. Alles fing mit einem Kribbeln in den Füßen an, dann folgte die Taubheit in den Beinen. „Ich dachte, es kommt von der Bandscheibe“, sagt die gelernte Krankenschwester. Aber schon einen Tag später folgte die Diagnose: Guillain-Barré-Syndrom (GBS) – eine seltene Erkrankung der Nerven.
Ein halbes Jahr lag Christina im Krankenhaus, kämpfte sich in der Reha langsam zurück ins Leben. Bis heute sind die Beine der jungen Frau gelähmt, die Feinmotorik in den Händen eingeschränkt. Mit Orthesen und Rollator kann Christina stehen und einige Schritte laufen. „Es ist ein schönes Gefühl, mit dem Partner für ein paar Momente auf Augenhöhe sein zu können“, erzählt Christina, die ihren Lebensmut durch den Schicksalsschlag nicht verloren hat.
Im Gegenteil: Die Dinslakenerin geht auf Konzerte, fährt in den Urlaub, ist sogar schon im Windkanal geflogen. „Viele denken, dass man mit einer Behinderung gleich pflegebedürftig ist. Ich möchte den gesellschaftlichen Vorurteilen den Wind aus den Segeln nehmen. Das Leben im Rollstuhl bedeutet nicht das Ende.“
Christina kritisiert Barrierefreiheit im Dinslakener Kino
Und genau deshalb will die 27-Jährige Miss Germany werden. Die Miss Germany-Wahl ist mittlerweile kein klassischer Schönheitswettbewerb mehr. Vielmehr werden Frauen gesucht, die mit ihrer Persönlichkeit Vorbild und Identifikationsfigur für viele Frauen sein wollen. In mehreren Castingrunden, Workshops und Events stellen die Kandidatinnen sich und ihre Missionen vor. Im Oktober kämpft Christina um den Einzug in die Top 20, das Finale steht dann im Februar 2024 an. Dotiert ist der Wettbewerb mit 25.000 Euro.
„Ich möchte Menschen mit Handicap eine Stimme geben, laut für sie sein. Die Inklusion in Deutschland hinkt hinterher“, sagt Christina, die in ihrer Heimatstadt in Sachen Barrierefreiheit viel Nachholbedarf sieht. „Viele Dinslakener Restaurants haben keine barrierefreie Toilette. Wenn ich in die Lichtburg gehen möchte, muss ich einmal ums Gebäude rum und den Hintereingang nehmen, weil es am Haupteingang keine Rollstuhlrampe gibt.“
Um ihre Muskeln zu stärken, trainiert die 27-Jährige regelmäßig in einem Dinslakener Fitnessstudio – aber nur im Erdgeschoss. „Es gibt keinen Aufzug, um in die obere Etage zu kommen. Das verstehe ich nicht, denn das Fitnessstudio wurde erst vor ein paar Jahren gebaut, die Barrierefreiheit aber völlig vergessen“, kritisiert die Dinslakenerin. Alleine einkaufen kann Christina in nur einem Supermarkt. „Lidl hat extra Einkaufswagen für Rollstuhlfahrer. Es gibt einem so viel, wenn man selbstständig einkaufen und mehr als drei Teile auf den Schoß legen kann.“
Apropos Selbstständigkeit: Die Krankenkasse hat den Umbau von Christinas Auto bezahlt. Mit Handgas steuert sie den Wagen. Aber: „Wenn ich umziehe, wird mir das Auto eventuell wieder aberkannt, weil es für die Strecke von hier bis zu meiner Arbeit genehmigt worden ist“, erklärt sie. „Das verstehe ich nicht, ich brauche das Auto doch auch, wenn ich in einer anderen Wohnung leben sollte, um zur Arbeit zu kommen und um generell mobil zu sein.“ Seit April arbeitet Christina Modrzejewski wieder im Krankenhaus, geht einer Bürotätigkeit nach. In die Pflege kann sie nicht mehr zurück.
Als Miss Germany auf die Probleme im Gesundheitssystem aufmerksam machen
Auf die Missstände im Gesundheitssystem aufmerksam machen, das hat sich Christina als potenzielle Miss Germany 2024 auf die Fahne geschrieben. „Es darf nicht sein, dass Menschen mit Behinderung Angst haben, wenn sie Post von der Kranken- oder Rentenkasse bekommen, weil sie befürchten, dass ihnen beim Pflegegrad etwas aberkannt wird“, betont die junge Frau, die vor Energie nur so strotzt.
Aber natürlich gebe es auch schlechte Momente, gibt Christina zu. Tage, an denen sie ihr altes Leben vermisst. „Es sind oft die banalen Dinge. Ich würde mich nach einem langen Spaziergang gerne einfach mal wieder aufregen, dass meine Füße wehtun“, sagt sie und lächelt.