Dinslaken. Das Burgtheater, aktuell Spielstätte des Fantastivals, hat eine dunkle Nazi-Vergangenheit. Dokumente belegen die Pläne der Nationalsozialisten.

Das Burgtheater sei ein „architektonisches Juwel“ und ein „Juwel für das Kultur-Leben in der Region … Mit dem Baujahr 1934 ist es ein perfektes Beispiel für eine gelungene Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ So würdigte Bürgermeisterin Michaela Eislöffel die pünktlich zum Stadtjubiläum sanierte Spielstätte. Was weder die Bürgermeisterin noch die Infotafel vor dem Burgtheater sagen: Die Spielstätte wurde 1934 als Thingplatz der Nazis geplant.

Thing – den Begriff für nordisch-germanische Versammlungen, den in den 1920 Jahren auch verschiedene Jugendbünde benutzten, machten sich die Nationalsozialisten in ihrer anfänglichen Regierungszeit zu eigen. Der „Reichsbund für deutsche Freilicht- und Volksschauspiele“ hatte zwischen 1933 und 1935 zum Ziel, in Deutschland 400 Thingplätze zu errichten: Freilichtbühnen in natürlicher, möglichst eindrucksvoller Kulisse. Hier sollte deutsche Geschichte als Volkstheater aufgeführt, sollten Versammlungen abgehalten werden – beides möglichst gigantisch: Menschenmassen, Fahnenmeere.

Architektur war vorgegeben

Eine von Nottebaums Entwurfs-Zeichnungen für das Burgtheater als „Thingplatz für Dinslaken“.
Eine von Nottebaums Entwurfs-Zeichnungen für das Burgtheater als „Thingplatz für Dinslaken“. © Heimatverein Land Dinslaken | General-Anzeiger

Die Architektur war vorgegeben und sah einen gerundeten Zuschauerraum, breite Treppen, Aufmarschierplätze vor, schreibt die Bielefelder Professorin Katharina Bosse im Buch „Thingstätten“. Etwa 60 von 400 Thingstätten wurden tatsächlich gebaut – hinzu kommen diejenigen, die nicht explizit in Auftrag gegeben aber mit regionalem Eifer gebaut wurden. Wie wohl auch in Dinslaken. Einige, der als Thingplätze geplanten Spielstätten, von Joseph Goebbels als „Steingewordener Nationalsozialismus“ bezeichnet, sind noch heute in Betrieb: die Waldbühne in Berlin etwa oder Bad Segeberg, Spielort der Karl-May-Festspiele.

„Besonderer Wurf“ für den Heimatverein

Der Heimatverein Land Dinslaken feiert den Bau des Burgtheaters auf seiner Homepage als „besonderen Wurf“. Immerhin ging der Entwurf auf Kreisbaurat Heinrich Nottebaum, Vorsitzender des Vereins, zurück. Als die Stadt Anfang 1934 mit den Vorbereitungen zur Errichtung eines Teichs an der Stelle begann, präsentierte er seine Pläne.

Die „Heimatkunde und heimatliche Kunst zu pflegen und zu gestalten ist eines der großen Ziele des neuen Reiches“, schrieb die National-Zeitung im Januar 1934 über das Vorhaben – nachzulesen auf der Homepage des Heimatvereins Land. „Den Kontakt zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen Spieler und Zuschauer … wiederherzustellen“, diese Anforderung erfülle nichts „in vollkommenerem Maße als das Freilichttheater.“

Und am „ganzen Niederrhein“ sei „kein Platz zu finden, der auch nur annähernd die für ein Freilichttheater erforderlichen Eigenschaften in dem Maße auf sich vereinigt, wie der Platz am runden Kastellturm“ in Dinslaken mit seiner, so der damalige Landrat Wilhelm von Werder“ „natürlich-massiv-kolossalen Kulisse“. Regierung und Reichspropagandaministerium würden „sicherlich die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen,“ war man sich damals sicher.

Es ging auch um NSDAP-Veranstaltungen und Aufmärsche

Dass es hierbei nicht nur um Kultur fürs Volk ging, zeigen Überlegungen wie diese: Auch bei „Festveranstaltungen der Partei gäbe die Bühne einen würdigen Rahmen ab“. Die zunächst 2500 bis 3000 Plätze wurden auf Empfehlung des Reichsbunds der Deutschen Freilicht und Volksschauspiele auf 4300 aufgestockt, eingeplant waren auch „Sammelplätze“ für die der Landrat einen Teil seines Gartens opferte. Der Burghof war „als besonderer Aufmarschplatz gedacht“. Bei „nationalen Kundgebungen, wobei das Spielfeld und der Aufgang zur Burg mitbenutzt werden, finden weitere 2000 Personen Platz,“ schrieb der Generalanzeiger im April 1934. Dort waren auch die Entwürfe Nottebaums für den „Thingplatz für Dinslaken“ abgebildet. Die National-Zeitung sah im Mai 1934 sogar Platz für 7000 Menschen, die „bei öffentlichen Kundgebungen auf diesem Platze aufmarschieren“ können.

„Der Führer Adolf Hitler hat uns gewiesen, Kulturstätten wie dieses Burgtheater zu schaffen in einer Zeit, wo deutsche Art und deutscher Wert sich gegen eine Welt in Waffen im geistigen Kampfe neu bewährt“, so lautete die Inschrift auf der Urkunde, die beim Richtfest laut National-Zeitung vom 8. August 1934 in einer Blechhülle in den Grundsteinen des Burgtheaters versenkt wurde – mit Zeitungsausgaben vom 15. Juli mit „Bildern von der denkwürdigen Reichstagssitzung“ (vermutlich Niederschlagung des Röhm-Putsches) und einer Hakenkreuzfahne. Und weiter: „Wir folgen dem Führer in unwandelbarer Treue und Liebe.“

Was der Landrat über „rassefremde Elemente“ gesagt hat

Frühere Regierungen hätten „dem Arbeiter keine Gelegenheit gegeben, an dem kulturellen Geschehen teilzuhaben“, so wird Landrat Wilhelm von Werders Rede zitiert, „da die geistige Gestaltung in den Händen rassefremder Elemente lag, deren ganze Zielsetzung darin bestand, das Volk mürbe zu machen und zu zersetzen und das Gute im arischen Menschen systematisch zu unterdrücken“. NSDAP-Kreisleiter Hütgens weihte die Spielstätte mit drei Hammerschlägen ein – gewidmet „dem deutschen Volk, der deutschen Kunst und dem Führer“. „Noch im gleichen Jahr, am 18. August, war Premiere mit der Oper ‘Preciosa’ von C. M. von Weber“, so der Heimatverein Land.

Die Anzahl der Komparsen und Besucher in den Thingstätten sei „gewaltig, aber nicht von Dauer“, gewesen, schreibt Katharina Bosse. Ende 1935 habe sich die NSDAP daher von Idee und Bezeichnung Thingstätte distanziert und anderen Medien zugewandt. Auch nach dem Krieg waren die völkischen Propagandatheater kein Thema, über das man gerne redete. Katharina Bosse: „Die Thingstätten stehen für eine Zeit, die heute schwer zu begreifen ist, auch weil auf ihr lange ein Deckmantel des Schweigens lag: Die frühen Jahre der Hitler-Begeisterung.“ Das war wohl auch in Dinslaken nicht anders.

>>Hintergrund

Die Sanierung des Burgtheaters hat rund 1,2 Millionen Euro gekostet – zuvor war das Theater ein Vierteljahrhundert keiner Sanierung unterzogen worden – und wurde, ähnlich wie der Bau, im Eilverfahren umsetzt: Erster Beschluss im September 2022, Finanzierungsbeschluss im Februar 2023. Ende Juni waren die Arbeiten beendet.

Katharina Bosse, Fotografin und seit 2003 Professorin am Fachbereich Gestaltung im Gebiet Künstlerische Fotografie der Fachhochschule Bielefeld, führt die bekannten Thing-Stätten auf einer eigenen Homepage auf: thingstaetten.info/de.

Das von ihr herausgegebene Buch „Thingstätten“ (ISBN 978-3-943164-54-1, 39 Euro) vereint die Arbeiten von 23 Künstlerinnen und Künstlern.