Dinslaken. Ein halbes Jahrhundert verharrte Ikarus in seinem Sturzflug an der Fassade der Jeanette-Wolff-Schule. Deshalb ist das Kunstwerk nun verschwunden.

Guck mal – der Ikarus ist weg! Ein halbes Jahrhundert lang verharrte er in seinem Sturzflug über der Hans-Böckler-Straße, nun ist er von der Fassade der ehemaligen Jeanette-Wolff-Schule verschwunden. Ganz so, wie die „Säulen der Weisheit“ von Waldemar Kuhn vor einem halben Jahr. Und auch für den Ikarus bedeutet das Verschwinden keineswegs einen Absturz. Ganz sacht und behutsam und unter fachmännischer Aufsicht wurde er am Donnerstag von Mitarbeitern des Din-Service demontiert und an einen sicheren Ort gebracht.

Das Kunstwerk aus patiniertem Kupfer soll sich an einem anderen Ort wie ein Phönix aus der Asche erheben: Solcherlei Metamorphosen kommen bei der Kunst im öffentlichen Raum häufiger vor und es hat sich erst jüngst bei eben den genannten „Säulen der Weisheit“ gezeigt, wie ein „Guckmal“, das kaum noch Blicke auf sich ziehen konnte, restauriert und im veränderten räumlichen Kontext eine völlig neue Strahlkraft gewinnen kann. Auch würde ein Standort ihm gut tun, an dem man die Details der Arbeit besser erkennen könnte: die aus dünnen, gebogenen Rohren geformte, geschwungene Figur des Ikarus und der aufschäumenden Welle zu seinen Füßen, die ausgebreiteten, aus dünnen Metallplatten geschnittenen und auf die Rohre eingehängten Flügel.

Treffen geplant

Dass der Dinslakener Ikarus vergleichbar gefährdet ist wie die griechische Sagengestalt - jener Sohn des Daedalus, der bei der Flucht übers Meer mit selbstgebauten Schwingen der Sonne zu nah kam und dessen Höhenflug deshalb vom provoziert gefühlten Gott mit einem tiefen Absturz beendet wurde -, darauf hat schon Ronny Schneider als Vorsitzender des Kultur- und Partnerschaftsausschusses aufmerksam gemacht, als das Schicksal der „Säulen“ noch ungewiss war.

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Nun werden Schneider, Christa Jahnke-Horstmann als Kulturdezernentin, Dr. Peter Theißen und die kulturpolitischen Sprecher der Parteien gemeinsam überlegen, wo der Ikarus künftig gut zur Geltung kommen kann. Das Objekt hat es verdient, sein Zustand soll nach gut 50 Jahren bei Wind und Wetter außerordentlich gut sein. Und es ist auch keine Schülerarbeit, die da an der Wand des ehemaligen Schulgebäudes hing. Das ergab ein Ortstermin mit Theißen, dem Din-Service und dem Metallrestaurator Ulrich Feldhaus von der „Schmiede“ in Duisburg. Jener Ortstermin, der am Donnerstag auf einmal eine Dynamik entwickelte, die einem griechischen Heldenepos würdig war.

Spontane Aktion

Denn eigentlich sollte der Restaurator nur einmal einen Blick auf das „Guckmal“ werfen. Hoch oben auf Augenhöhe mit dem Ikarus, der Din-Service hat dafür Mitarbeiter mit einem Steiger bereit gestellt. Aber diese Mitarbeiter hatten eine Flex dabei: „Wenn wir jetzt einmal hier sind.“ Nun gut, auch der Fachmann für Metallkunstwerke war anwesend und in den nächsten drei Stunden – wurde ganz spontan noch ein zweiter Steiger zur Verfügung gestellt. Der wurde notwendig, um den nur 40 Kilogramm schweren, aber mit seinen sechsmal zwei Metern doch ausladenden sanft und ohne Spannung auf seiner Konstruktion aus acht bis zehn Millimeter dicken Kupferrohren und den darin eingehängten hauchdünnen Kupferplatten auf festen Dinslakener Boden hinab schweben zu lassen.

Wo wird der Ikarus künftig seine Schwingen erheben? Die Backsteinfassade nahm viel von der interessanten Wirkung des filigranen Kunstwerks mit seiner natürlichen Patina und farblichen, braun-schwarzen Akzenten, die wohl die von der Sonne verbrannten Flügel illustrieren sollen. Vor hellem Hintergrund würde der Ikarus als Hingucker gewinnen, da ist sich Dr. Peter Theißen sicher.

Wer war der „Daedalus“?

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Aber es gilt noch eine ganz andere Frage zu klären: Wer ist der Daedalus, dessen „Kind“ das Kunstwerk ist? Es ist ein Schicksal, das dieses „Guckmal“ mit vielen anderen Fassaden-Objekten der 50er und 60er Jahre teilt, wenn es diese nicht sogar richtig schlimm getroffen hat und sie gedankenlos bei der nächsten Gebäudesanierung einfach zerstört wurden: Man hat vergessen, wer der Künstler war. Alte Aufträge oder Rechnungen aus der Zeit um 1967 könnten Aufschluss geben, aber die liegen nicht im Stadtarchiv, sondern schlummern wohl tief und derzeit unzugänglich unter Aktenbergen des Schulamts. Bekannt ist immerhin, dass es sich um Ikarus handelt.

Die Verfasser der Sagen und Mythen blieben in der Regel anonym. Dass sich dies allerdings bei einem gerade einmal gut fünfzig Jahre alten Objekt wiederholt, wird aber kaum die Intention des Schöpfers gewesen sein.

Sag mal: Wer hat’s gemacht?

Der Ikarus von der ehemaligen Jeanette-Wolff-Schule: Dieses „Guckmal“ ist derzeit auch ein „Sag-mal“.

Leserinnen und Leser dieser Serie, die vielleicht wissen, wer den Ikarus entworfen hat, wer die Metallarbeit ausgeführt hat oder wer sie in Auftrag gegeben hat, werden gebeten, sich bei der Redaktion, lok.dinslaken@nrz.de zu melden.

Die Hinweise werden dann auch an die Stadt weitergegeben. Und sie werden ein Anknüpfungspunkt für weitere Nachforschungen über das Wirken des Künstlers oder die Künstlerin sein.