Dinslaken. Wie Corona die Lage der Bedürftigen verschlimmert - und wie Bernd wieder Fuß fasste: die 300. Essensausgabe der Wunderfinder Dinslaken.

Bernd fährt mit einem Mofa vor. Einem eigenen Mofa! Das ist ein kleines Wunder. Denn Bernd, den alle hier Bernie nennen, hat viele Jahre auf der Straße gelebt. Er war nach Mallorca ausgewandert. Die TV-Sendung „Goodbye Deutschland“ hat ihn dort besucht. Bernd scheiterte auf der Insel. War obdachlos, hat getrunken. Als er sich im vergangenen Jahr endlich die Rückreise nach Deutschland vom Mund abgespart hatte, waren die Fernsehkameras lange weg. Aber die Wunderfinder waren da, gaben ihm ein Zuhause, kümmerten sich. Heute ist Bernd trocken, lebt in einer kleinen Wohnung – und bei der 300. Essensausgabe der Wunderfinder am Dienstagabend fährt er mit dem Mofa vor, um einem anderen Krücken zu bringen.

Bernd lebt in einer kleinen Wohnung im Mehrfamilienhaus, dessen Wohnungen die Wunderfinder vergeben dürfen.
Bernd lebt in einer kleinen Wohnung im Mehrfamilienhaus, dessen Wohnungen die Wunderfinder vergeben dürfen. © Wunderfinder

„Tiefer als ich bin, kann kein Mensch mehr fallen“

Als Bernd nach Mallorca auswanderte, war er erst als Handwerker angestellt, machte sich dann selbstständig. Die Wirtschaftskrise hat ihn aus der Bahn geworfen. Acht Jahre lang war er obdachlos, versuchte sich mit Darbietungen auf der Promenade über Wasser zu halten. „Tiefer als ich bin, kann kein Mensch mehr fallen“, sagte Bernd, als das Fernsehen einmal da war. „Bernardo“ war einer von etwa 100 deutschen Obdachlosen auf der Insel.

Als er nach seiner Rückkehr die Wunderfinder traf, wendete sich sein Leben. Der Verein brachte ihn in einem Mehrfamilienhaus in Dinslaken unter, Bernd half den neuen Nachbarn bei handwerklichen Tätigkeiten. Mittlerweile ist er trocken. „Allein dafür hätte sich schon alles gelohnt“, findet Bianka Lakomski, die zweite Vorsitzende der Wunderfinder.

300 Essensausgaben - jedes mal wie ein kleiner Umzug

300 Essensausgaben – das bedeutet 300 Mal einen Bus vollpacken mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Kleidung, Zelt, Tischen, und am Bahnhof auspacken und aufbauen – jedes Mal wie ein kleiner Umzug. Und es bedeutete anfangs, mit Vorbehalten umzugehen. Stadt und Wohltätigkeitsvereine waren bei der Gründung der Wunderfinder wenig euphorisch.

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Heute arbeitet der Verein mit dem Kiosk am Bahnhof und der Diakonie zusammen, hat 70 Mitglieder. Und beim Aufbau zur 300. Ausgabe hilft sogar der stellvertretende Bürgermeister Eyüp Yildiz. Es gibt ein besonderes Essen: Rouladen mit Wirsinggemüse und Spätzle von Freesmann, einem der vielen Essenspender der Wunderfinder, diesmal mit Unterstützung der Lions.

Viele Rentner stehen für ein warmes Essen an

Es ist kalt, fünf Grad. Trotzdem ist die Warteschlange lang. Obdachlose stehen hier neben schmalen Senioren, die sich kein warmes Essen leisten können. Eine Dame mit Rollator, schon über 70 Jahre alt, ist Stammgast. Eine andere ist neu – Ludger Krey, Vorsitzender der Wunderfinder, zeigt ihr die mobile Küche. Seit Corona kommen mehr Bedürftige. Die Pandemie hat ihnen eine Einnahmequelle genommen: „Sie können kaum noch Flaschen sammeln“, berichtet Bianka Lakomski. Es sei ja kaum noch jemand in der Stadt. Zum Glück „konnten wir das mit Hilfspaketen kompensieren“, berichtet Ludger Krey. Und vier der Obdachlosen hätten im Sommer noch eine Wohnung gefunden.

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Manche haben es nicht geschafft

Bianka Lakomski ist um jeden froh, der ein Dach über dem Kopf hat. Oft denkt sie abends mit Sorge an die Bedürftigen, von denen sie weiß, dass sie draußen schlafen – weil sie etwa mit ihrem Hund nicht in die Unterkunft kommen oder sich dort nicht wohl fühlen. Viele waren schon bei der ersten Ausgabe im Jahr 2017 dabei, für sie sind die Wunderfinder Familie.

Manche haben es trotz der Hilfe nicht geschafft. Die Wunderfinder trauern um Dieter und Thomas und um den 32-Jährigen, der schon mit 14 getrunken hat.

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Der Traum von Heim, Familie und Normalität

„Du kannst alles schaffen, wenn Du nur willst“, muntert Bianka Lakomski trotzdem einen jungen Mann auf. „Ich will eine Frau, Familie und Arbeit. Morgens von Kindern geweckt werden und dass es nach Kaffee riecht“, hat Danny vorher gesagt. „Der Wille ist der erste Schritt“, versichert Bianka Lakomski. Und vielleicht, sagt sie, ist Danny ja der nächste, der wegkommt von der Straße. Das nächste kleine Wunder.

>>Hintergrund

Jeden Dienstag und Freitag ab 18 Uhr versorgen die Wunderfinder die Bedürftigen am Bahnhof – unter Corona-Bedingungen – mit Essen. Infos gibt es auf wunderfinder-dinslaken.de und facebook.com/Wunderfinder.Dinslaken