Dinslaken. Ruth Wendt ist verstorben. Die Geschichte ihres Lebens jedoch lebt weiter – in einem Buch, das sie jetzt veröffentlichte.

Eine liebe gute Bekannte zu verlieren ist schwer, vor allem, wenn man ihr noch eine schöne Lebensgeschichte schuldig ist. Ruth Wendt, vielen Dinslakenern als Nonne aus dem Historienspiel, als Geschichtenerzählerin und älteste Theaterschauspielerin bekannt, ist tot. Sie entschlief nach längerer, schweren Krankheit am Dienstagabend im Kreis ihrer Familie.

Die Mitteilung ihres Todes erreichte die NRZ gestern, nachdem die eigentliche Geschichte über ihre neueste Aktion, die Aufzeichnungen ihrer Familiengeschichte, schon fertig war. Sie wird diese Zeilen leider nicht mehr lesen, doch die Fertigstellung ihres Buches hat sie noch erleben dürfen, hat die Zustimmung ihrer Familie und Freunde für dieses gedruckte Werk noch erfahren können.

Die gedruckte Lebensgeschichte als Geschenk vom Sohn

Denn welch schöneres Geschenk kann man seiner Mutter machen, als die von ihr verfasste Lebens-und Familiengeschichte als Buch drucken zu lassen. Genauer, eine Auflage von 250 Stück. Die eigene Familiengeschichte, die Ruth Wendt für ihre Familie niederschrieb. Immerhin ist die Familie groß: acht Kinder, 16 Enkel und 15 Urenkel. Im Oktober wäre Ruth Wendt, die sich bis zum Schluss noch politisch als Mitglied der Senioren-Union engagierte, 92 Jahre alt geworden. Es sollte nicht sein. Doch ihre Lebensgeschichte wird überdauern.Hier gibt es mehr Artikel aus Dinslaken, Hünxe und Voerde

In ihr spannt Wendt einen Bogen von ihren Vorfahren zu der eigenen Kindheit, zu den Kriegserfahrungen, der Flucht, den Anfangsjahren ihrer Ehe und ihrem Leben in Dinslaken. „Jahrelang war ich ein Einzelkind und schon immer voller Neugierde“, erzählte die 91-Jährige kürzlich. „So habe ich als Kind meiner Mutter und meinem Großvater Geschichten aus der Nase gekitzelt.“

Die Großeltern und Eltern hatten in Eberswalde ein Geschäft, das genug für die Familie abwarf, die kleine Ruth wuchs abwechselnd im Geschäft auf oder wurde von ihrem Kindermädchen betreut. „Die Putzfrau verwöhnte mich nach Herzenslust und das Kindermädchen brachte mir alles Unmögliche bei“, erinnerte sich Ruth Wendt. Blickt man jedoch auf ihr weiteres Leben, dann fragt man sich, wie sie nur all das Leid, die Demütigungen, die Lügen und den Betrug, vor allem durch den späteren Ehemann, ertragen konnte, ohne ihren Humor zu verlieren. Ohne nur einmal aufzugeben und den Glauben an das Gute in den Menschen nicht zu verlieren. „Eigentlich geht es mir gut“ – ist Zeit ihres Lebens ihre Devise gewesen. Nicht verwunderlich also, dass sie ihrem Buch genau diesen Titel gab. Bis zuletzt hat sie das Kämpfen beibehalten, gegen jegliches von Menschen herbeigeführte Unbill und auch gegen den Krebs, der schließlich den Sieg davontrug.

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Alles beginnt mit Großvater Hermann Kammrath

Ihr Buch beginnt mit der Geschichte des geliebten Großvaters Hermann Kammrath, der 1871 in Falkenberg in Pommern das Licht der Welt erblickte – als uneheliches Kind. Ein Offizier hatte während eines Manövers der Urgroßmutter den Kopf verdreht und schon war das Malheur passiert. Mit 14 Jahren ging der Junge nach Berlin, wollte zum Kaiser, um von diesem etwas über den leiblichen Vater, der ja in des Kaisers Armee diente, zu erfahren. Zwei Jahre dauerte seine Reise dorthin, unterwegs verdiente er sich sein Brot, arbeitete mal hier mal dort. Dass seine Suche erfolglos blieb, kann sich ein jeder Leser denken. Aber immerhin fand er die Liebe seines Lebens und zog mit ihr nach Eberswalde. Dort wurde vor fast 92 Jahren schließlich auch die kleine Ruth geboren und erlebte ein Leben mit allen Höhen und Tiefen, das es wert war, für ihre Nachkommen festgehalten zu werden.

Ein Stück Zeitgeschichte

Und das bitte, so Ruth Wendt mit dem ihr eigenen Dickkopf, in schöner gebundener Form. Sohn Rainer erfüllte den Wunsch. Herausgekommen ist ein Stück Zeitgeschichte in Gestalt einer sehr persönlichen Familiengeschichte. Da war Ruths Angst vor den anderen Kindern in der Schule, die Geburt ihrer Schwestern, als sie bereits 13 Jahre alt war, der Tod der Großeltern, der Tod der Mutter, Ruths Suche nach dem Vater, der über Monate verschwand. Sie, die gerne Lehrerin geworden wäre, musste ihren Traum aufgeben und die Schwestern großziehen, musste den Vater wieder aufrichten, der den Tod seiner Frau nie verwand. Die Flucht in die Ehe, die sie eigentlich von familiären Zwängen befreien sollte, stürzte sie stattdessen tief in Lug und Trug. Denn ihr Mann war beileibe nicht der, für den er sich ausgab, wie sie Jahre später bei einem Betrugsprozess erfahren musste. Selbst seinen Namen hatte er einem toten Soldaten gestohlen.

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Von Birgit Gargitter

Sie ließ sich scheiden und zog acht Kinder fortan unter schwierigen Bedingungen alleine groß. „Als die Kinder aus dem Haus waren, fing ich an zu schreiben, meine Lebensgeschichte immer wieder mal, aber auch Kurzgeschichten, Erzählungen und vor allen Reisegeschichten. Damals konnte ich mir endlich ein paar Reisen erlauben, war in Russland, in Prag und nach der Wende in Eberswalde, an den Orten meiner Kindheit“, berichtete sie. Eigentlich ging es ihr recht gut.