Hünxe/Voerde. Künstlerin Martina Mühlen fertigt im Haus Esselt die Nachlassdrucke von Otto Pankok an. Das Handwerk lernte sie vom Drucker des Künstlers.

Lächelnd schaut Martina Mühlen auf den druckfrischen „Marabu“ von Otto Pankok. „Hätte ich den damals als erstes gesehen und nicht die grausamen Bilder der ‘Passion’, wäre er sofort etwas für mich gewesen. So aber war es für die Künstlerin aus Voerde ein Weg der Annäherung, der sie immer näher an dessen Schaffen heranführte. Bis an die nächste Nähe, die zu Pankok als Künstler überhaupt möglich ist. Martina Mühlen wurde die Aufgabe anvertraut, im Haus Esselt die von Neffe Moritz Pankok als Erben zertifizierten Holzschnitte von den originalen Druckstöcken herzustellen.

Bis zu seinem Ruhestand

Ein Jahr lang lernte sie das Handwerk von Klaus Ladda, der die Technik des Handdrucks im 15. Lebensjahr als Setzer-Lehrling von Otto Pankok persönlich erlernte und nach dessen Tod 1966 diese Aufgabe im Haus Esselt bis zu seinem Ruhestand erfüllte. „Am Anfang war er skeptisch“, erinnert sich Martina Mühlen an die erste Zeit, nachdem sie – nach einer Nacht darüber geschlafen – zum Telefon griff und sich bei der Projektmanagerin des Pankok Museums, Kerstin Reuscher, auf die Nachfolge bewarb. „Aber er mag mich und irgendwann begann er, mir seine Tricks und Geheimnisse zu verraten.“

Martina Mühlen war nicht die einzige, die sich am Handdruck versuchte, aber sie war diejenige, die bereit war, sich dieses anspruchsvolle Können zu erkämpfen, bestätigt Annette Dohrmann-Burger, die Leiterin des Pankok Museums, in dessen Wohnräumen auch nach der Sanierung noch alles so ist, wie zu den Zeiten, als die Familie Pankok noch lebte.

750 Druckstöcke sind vorhanden

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Und so schaut man, wenn man Martina Mühlen heute in der Druckerei im Obergeschoss zusieht, auch ein wenig Otto Pankok selbst über die Schulter. Da hat er also gestanden, gebeugt über den riesigen Arbeitstisch am Fenster, links die Regale, in denen noch heute fast alle 750 Druckstöcke stehen, die er, so Burger, „aus allem machte, was er bekommen konnte“. Abgesplitterte Ränder und Astlöcher auf den Holztafeln wurden zu sichtbaren Zeichen der von Pankok so geliebten Natur auf den bearbeiteten Druckstöcken. Aber auch die nach dem Krieg ausrangierte schwere Tür der Kunstakademie Düsseldorf, an der er lehrte, und sogar ein Bügelbrett dienten ihm als Material.

Damit ist auch die merkwürdige Spitze am linken Rand des Holzschnitts im Treppenhaus erklärt: Pankok sägte das Bügelbrett nicht etwa zurecht, sondern griff die charakteristische Form auf und erstreckte die Motive auf beiden Seiten über die gesamte Fläche.

Herausforderungen

Man kann sich leicht vorstellen, was es für eine körperliche Aufgabe ist, einen Handdruck von einer Tür zu nehmen. Aber auch ein inzwischen nach innen gewölbter Zigarrenkistendeckel stellt jemanden, der davon einen Handdruck macht, vor Herausforderungen.

Martina Mühlen hat diese Herausforderungen angenommen. So, wie sie bei ihrer Beziehung zur Kunst von Pankok auch schon nicht locker gelassen hatte. Nach der ersten, schockierenden Konfrontation mit der „Passion“ entschied sie sich doch für einen Besuch in Haus Esselt. „Und beim Anblick der Kohlezeichnungen war ich restlos begeistert: So etwas kann man machen?“ Bei einem „Tag der offenen Tür“ dann schlich sie sich gleich ein zweites Mal in die Führung durch die Druckwerkstatt.

Martina Mühlen positioniert einen Druckstock auf ein Blatt Papier.
Martina Mühlen positioniert einen Druckstock auf ein Blatt Papier. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Und hier steht sie nun und zeigt, wie ein Druck von Otto Pankok entsteht. Etwa 25 Abzüge können von einem Druckstock erstellt werden, danach ist das Material erschöpft, lässt sich die Qualität nicht mehr halten. Aber diese Zahl ist bei vielen der 750 Druckvorlagen noch nicht erreicht. Auch das Japan-Papier stammt noch von Pankok selbst, viele Kunstliebhaber wünschen sich aber heute Designpapier, das dem Druck mehr Tiefe gibt.

Mit einem Besteckmesser

Martina Mühlen faltet das Papier auf die gewünschte Größe, ratscht es an der Kante mit Pankoks originalem, wohl damals schon „zweckentfremdeten“ Besteckmesser. Schon hier beginnt die Technik – ein glatter Schnitt oder gar die Arbeit mit der Schere würden nicht diesen typischen, leicht ausgefransten Papierrand hervorbringen.

Als nächstes geht es an die Farbe. Das Schwarz im Topf hat eine eingetrocknete Kruste gebildet, die flüssige Farbe muss erst einmal freigelegt werden. Martina Mühlen streicht etwas davon auf einem Stein aus. Und streicht und streicht: selbst feinste Klümpchen müssen zerrieben werden. Würde sie einen Farbdruck anfertigen, müsste sie aus Schwarz, Deckweiß und Pigmenten noch die passende Farbe anrühren.

Zur Vorlage dienen in solchen Fällen Pankok-Drucke aus dem Archiv. „Aber die Wirkung der Farbe ändert sich im fertigen Druck in Kombination mit reinem Schwarz“, weiß Mühlen um den optischen Effekt. Da kann das Anmischen und Ausprobieren schon einmal ein bis eineinhalb Stunden dauern.

Die Farbrolle „schmatzt“

Doch heute wird nur ein „Marabu“ Schwarz auf weiß gedruckt. Pankoks alte, schwere Farbrolle „schmatzt“, wenn sie die Farbe vom Stein aufnimmt. „Das muss sie, so ist es richtig“, sagt Martina Mühlen und rollt die Farbe auf dem Druckstock aus. Nicht zu viel, nicht zu wenig, alle erhabenen Stellen müssen gut bedeckt sein, die ausgesparten aber frei bleiben.

Mit einer Walze wird die Farbe aufgetragen.
Mit einer Walze wird die Farbe aufgetragen. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Und dann kommt der große Wurf: Martina Mühlen hat genau eine Chance, den Druckstock aufs Papier zu legen. Die Ränder – unten mit Platz für die Signatur – müssen stimmen, korrigiert werden kann nichts mehr. Dann werden, ohne zu verrutschen, Druckstock und Papier gedreht: man stelle sich diese Prozedur mit einem Bügelbrett oder einer Tür vor! „Als ich zum ersten Mal alleine einen 1,20 Meter großen ‘Jesus’ für einen Pastor druckte, lief ich aufgeregt runter und rief den anderen zu: ’Jetzt habe ich mein Gesellenstück gemacht’“, erinnert sich Martina Mühlen.

Nicht nur die Farbe schimmert auf der Rückseite

Das Papier liegt jetzt also auf dem Druckstock. Und Mühlen beginnt mit der Prozedur, die einen Handdruck immer von einem mit der Druckerpresse unterscheiden lässt. Mit einem Holzmörser, den Pankok selbst zu einer Art dicken Spachtel abgehobelt hat, reibt die Künstlerin über das Papier und überträgt so die Farbe vom Druckstock aufs Blatt. Danach schimmert nicht nur die Farbe auf der Rückseite leicht durch: Das Papier glänzt dort, wo es zwischen den Konturen und dem Spachtel gerieben wurde, daneben ist es leicht eingedrückt. „Das hat man so nur bei einem Handdruck.“

Vorsichtig zieht Martina Mühlen das Papier vom Druckstock ab. Das Ergebnis ist da, eine Woche muss die Farbe nun trocknen. Moritz Pankok, der Neffe des Künstlers, wird mit seiner Signatur die Echtheit bestätigen, so wie es vor ihm Hulda und dann Eva Pankok taten. Martina Mühlen betrachtet den Druck, auf dem die Farbe noch feucht glänzt, mit Ehrfurcht vor Pankoks Vermächtnis: Pankoks Arbeit auszuführen: „Für mich ist das eine Ehre“, so Martina Mühlen.

>> Otto Pankoks Kunst aktuell im Museum Voswinckelshof

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Das Otto-Pankok-Museum ist derzeit wegen einer umfassenden Sanierung geschlossen. Otto Pankoks noch zu Lebzeiten von ihm selbst gefertigten Drucke sind derzeit zusammen mit seinen großformatigen Kohlezeichnungen und einigen Bronzeplastiken im Museum Voswinckelshof zu sehen. Die Ausstellung „Du sollst nur Deinen Träumen trauen“ kann bis zum 20. September dienstags bis sonntags zwischen 14 und 18 Uhr besucht werden.

Haus Esselt wird voraussichtlich im kommenden Sommer wieder öffnen. Dann bietet Martina Mühlen dort auch Workshops für Linolschnitt an.