Dinslaken. Die Burghofbühne Dinslaken thematisiert in ihrem aktuellen StudioStürmer-Stück „Dschabber“ Vorurteile und Vorverurteilungen.
Vorurteile, Stereotypen, Schubladen. Und das Schlimmste: Das Projizieren von Verhaltensmuster auf andere. In ihrer neuen Produktion fürs Jugendtheater greift die Burghofbühne Dinslaken diese Problematiken auf, unter der nicht nur Jugendliche leiden. Wohin es führt, erlebt man derzeit in den USA auf die blutigste Weise angesichts der Polizeigewalt gegen Schwarze. In „Dschabber“ von Marcus Youssef ist es eine anonyme Drohung gegen Muslime, die als Schmiererei auf eine Schulhofwand die Handlung lostritt.
Denn die Eltern von Fatima sind erst vor wenigen Jahren aus Kairo nach Deutschland gekommen, nun haben sie Angst um ihre Tochter. Sie muss die Schule wechseln. Und verliert dadurch auch ihre Clique, Mädchen, die ebenfalls den Hidschab tragen und sich deshalb „Dschabber“ nennen.
An der neuen Schule ist sie die einzige Muslima und es sind nicht nur die Mitschülerinnen, die damit nicht umgehen können. Auch die Lehrer lassen kein Klischee aus, zerstören mehr, als dass sie die Jugendlichen selbst Chancen ergreifen lassen. Dabei ist Fatima einfach nur ein junges, intelligentes und sehr selbstbewusstes Mädchen, das um keinen Spruch verlegen ist, abends vor dem PC über die Absurditäten im Netz den Kopf schüttelt und im Alltag dazugehören möchte und das hat sie mit Jonas gemeinsam. Er ist tatsächlich ein Opfer. Weil er als 13-jähriger versagte, seiner Mutter gegen den gewalttätigen Vater beizustehen und seitdem traumatisiert ist, wird er in der Schule als tickende Zeitbombe stigmatisiert. Nur Fatima fühlt sich zu ihm hingezogen. Aber überschreitet sie damit nicht die Grenzen, die ihre Eltern und ihre Religion bieten? Und möchte sie diese Grenzen tatsächlich überschreiten?
Etiketten angeheftet
Ein Theaterstück über Vorurteile gegenüber dem Islam zu machen verlangt sehr viel Sensibilität, wenn es letztendlich doch ein Blick von außen ist. Die Burghofbühne nimmt dies sehr, sehr ernst. Hilfe erhielten Regisseurin Nadja Blank, Marie Förster als Fatima, Dennis Wilkesmann als Jonas und Marco Pickart Alvaro vom kanadischen Autoren selbst, von den politischen Bildnern Sabine Schreck und Yasim Sarikaya und deren jugendlichen Workshopteilnehmern.
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Denn vor der Premiere am Freitag in der Remise des Tenterhofs fanden an zwei Samstagen Proben im Rahmen von Workshops statt, in denen Jugendliche auf spielerische Weise gegen Vorurteile in der Gesellschaft sensibilisiert wurden und dabei erlebten, wie eine Theaterproduktion entsteht. Letzteres war für Lea Sehlke nicht wirklich neu, sie spielt selbst Theater in der Schule und auch im Jugendclub der Burghofbühne. Spannend und „mega-cool“ waren für sie die Workshops und die Rollenspiele. So wurde den Jugendlichen Etiketten angeheftet, die sie selbst nicht sahen, sie mussten anhand des Verhaltens der anderen erraten, welche Stereotypen ihnen angedichtet wurden. Was Lea Sehlke davon mitnahm: auch gedankenlose Witze können verletzen.
Schauspieler stehen zunächst als sie selbst auf der Bühne
Genau dies ist auch ein wiederkehrendes Motiv in der Figur des Jonas. „Sagen wir“: Mit diesem Satz wird auch er im Stück vorgestellt. Denn zum Konzept der Glaubwürdigkeit gehört, dass Youssef die drei Schauspieler zunächst als sie selbst auf die Bühne stellt, sie entwerfen die Figuren und den Plot, stellen sich auch die Frage, ob ihnen dies überhaupt zusteht. „Ich bin aber weiß wie eine Kartoffel“, gibt Marie Förster zu bedenken, bevor sie es wagt, den Hidschab anzulegen.
Kann sie sich anmaßen, als Schauspielerin nachzufühlen, was eine geflüchtete 16-jährige Muslima fühlt?
Sie kann es. Denn Menschen sind Menschen und können von Menschen verstanden werden, wenn diese sich nur auf sie einlassen. Es ist der intensivste Moment der Aufführung, wenn Marie Förster als Fatima den Tabubruch begeht, den Hidschab vor Jonas abzunehmen. Man versteht den Vertrauensbeweis in diesem Moment und die Reue danach und man muss lächeln, wenn der Zorn besorgter Eltern mal wieder gar nicht so groß ist, wie es die Kinder, die fehlten, gedacht haben. Die Natürlichkeit ihrer Person ist auch zum Teil darin begründet, das die Workshop-Teilnehmer aktiv auf die Produktion Einfluss nehmen konnten, sie korrigierten die Textvorlage in (jugend-)sprachlicher Hinsicht.
Und so endet das Stück für Fatima und Jonas versöhnlich. Unklar bleibt, was aus den Mitschülern und den Lehrern wird. Man muss befürchten, dass sie in ihrem Schubladendenken gefangen bleiben.