Dinslaken. Holger Schruff fährt jeden Tag fünf Stunden mit dem Zug. Für Wege in der Stadt steigt er aber lieber aufs Fahrrad um – oder er nimmt sein Auto.

Wenn Holger Schruff um 5.16 Uhr in den Regionalexpress Richtung Düsseldorf steigt, liegen die meisten seiner Arbeitskollegen noch im Bett. Satte zweieinhalb Stunden benötigt der Dinslakener bis zu seinem Büro in Hagen. Eine Strecke, die er ausschließlich zu Fuß, mit dem Zug und seinem Fahrrad zurücklegt. Mit einer Gesamtdauer von fünf Stunden – davon 178 Minuten reine Fahrtzeit – belegt er Platz eins in unserem Wettbewerb. Und darf sich somit völlig verdient „ÖPNV-Nutzer des Jahres“ nennen.

Aber wieso nimmt Schruff eine so weite Fahrt auf sich? „Ich war ab 2016 Kundenbetreuer bei Abellio“, erklärt der 51-Jährige. Zwei Jahre lang wurde er auf der Strecke zwischen Düsseldorf und Arnheim eingesetzt. „Egal ob Früh-, Spät- oder Nachtschicht.“ Auch Wochenenddienste musste er übernehmen. Bis sich ihm 2018 eine Alternative anbot: Bei Abellio wurde eine Stelle als Personaldisponent frei. Schruff überlegte nicht lange und tauschte seine bisherige Stelle gegen einen Bürojob ein.

Lieber ein geregeltes Leben als ständig auf Wechselschicht

„Die lange Fahrtzeit war mir von Anfang an bewusst“, sagt Schruff. „Aber ein geregeltes Leben war mir wichtiger.“ Er komme zwar erst um 18.30 Uhr nach Hause, könne dann aber wenigstens den Abend mit seiner Frau verbringen. Auch am Wochenende habe er wieder mehr Zeit für Familie und Freunde. „Und ans Pendeln habe ich mich mittlerweile gewöhnt“, so Schruff. „Man fährt halt oft und ist viel unterwegs.“

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Die Zugfahrt vertreibt er sich mit Zeitunglesen, Filmen oder Musik. „Oder ich mache schon mal die Planung für den nächsten Urlaub.“ Das Gefühl, seine Freizeit an Bahnhöfen zu vergeuden, habe er nicht. Schließlich nutze er die Strecke für sinnvolle Dinge. „Das wäre mit dem Auto schon anders“, sagt Schruff. „Und da hat man nach der Arbeit auch noch den Stress mit Staus.“

Bus und Bahn fahre er aber nur selten. „Für Wege in der Stadt benutze ich mein Fahrrad und wenn ich einkaufen gehe das Auto.“ Auch die Strecke von seiner Haustür bis zum Dinslakener Bahnhof überbrücke er lieber mit dem Rad – obwohl es in unmittelbarer Nähe eine Haltestelle gebe. „Der erste Bus kommt erst um 5.20 Uhr“, sagt Schruff. „Und wenn ich abends gegen 18.20 Uhr am Bahnhof ankomme, habe ich keinen Anschlussbus.“

Schruff: „Anschlussmöglichkeiten müssen optimiert werden“

Die Taktung der Busse und Bahnen sei der größte Kritikpunkt am ÖPNV. „Die Anschlussmöglichkeiten müssten optimiert werden. Man sieht oft, dass Leute den Zug verpassen, weil der Bus oder die Bahn etwas Verspätung hatte.“ Zudem sei das Angebot an Wochenenden begrenzt. Auch deshalb kenne er in seinem Freundeskreis niemanden, der regelmäßig den ÖPNV nutze.

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„Hinzu kommt, dass die Bahnhöfe bei uns nicht ansprechend sind“, sagt Schruff. „Wenn Sie in Arnheim am Bahnhof ankommen, denken Sie, Sie sind in einer anderen Welt.“ Der Vorteil in den Niederlanden: Der Zugang zum Bahnhofsgelände sei nur mit Fahrkarte möglich. Außerdem gebe es viel mehr Sicherheitspersonal. „Das ist ganz anders im Vergleich zu den ‚Angsträumen‘, die es bei uns teilweise gibt.“

Pläne für einen Berufswechsel hat der 51-Jährige noch keine

Am Dinslakener Bahnhof fühle er sich aber sicher. Nur morgens könne es vorkommen, dass Obdachlose neben dem Fahrkartenautomaten liegen. Das sei zwar nicht bedrohlich, „aber für ein 16-jähriges Mädchen, das mit dem Zug fahren möchte, ist das bestimmt nicht so schön“. Er habe aber auch Verständnis dafür, dass sich die Obdachlosen einen warmen Platz suchen. „Die tun einem ja nichts.“

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Und wie lange will er die langen Fahrtzeiten noch auf sich nehmen? „Bislang habe ich mir keine Frist gesetzt“, scherzt Schruff. Ob er aber auch mit 60 noch jeden Tag so mühelos fünf Stunden zur Arbeit pendeln kann, wisse er nicht. „Noch halte ich aber durch.“ Die nächste Fahrt kann also kommen: im Regionalexpress Richtung Düsseldorf.

>> Holger Schruffs Route im Überblick

  • Kurz vor 5 Uhr fährt Schruff mit dem Fahrrad zum Dinslakener Bahnhof. Von da aus geht’s mit dem RE5 Richtung Düsseldorf Hbf. Mit dem RE13 fährt er weiter bis zum Hagener Hbf. Die letzten Meter zum Büro legt Schruff zu Fuß zurück.
  • Auf dem Rückweg geht’s um 16.32 Uhr mit dem RE4 von Hagen zum Wuppertaler Hbf. Nach dem Umstieg in den RE49 fährt Schruff bis nach Dinslaken.