Dinslaken. . Dieter Holthaus ist selbst sehbehindert und war der erste hauptamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt. Die CDU will die Stelle nun halbieren.

Eigentlich ist Dieter Holthaus noch nicht fertig: Das „sprechende Rathaus“ hätte er noch gerne verwirklicht, die barrierefreie neue Stadthalle im Amt erlebt. Beide Projekte hat er auf den Weg gebracht - wie unzählige andere auch. Trotzdem ist bald Schluss: Dinslakens erster hauptamtlicher Behindertenbeauftragter geht am 1. April in Pension. 40 Jahre hat er bei der Verwaltung gearbeitet, zehn Jahre hat er sich hauptamtlich für die Belange behinderter Menschen eingesetzt.

Dinslaken hat die Stelle sehr früh eingerichtet

Als Dinslaken im Jahr 2002 die Stelle des Behindertenbeauftragten eingerichtet hat, war das vorbildlich. Das Behindertengleichstellungsgesetz wurde erst 2004 verabschiedet, „das war hier schon etwas Besonderes“, lobt Dieter Holthaus seine Kommune. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Dinslaken hatte sich einen Ansprechpartner vor Ort gewünscht. Die damals halbe Stelle wurde von einem Mitarbeiter des Jugendamtes mit bearbeitet. Als Holthaus im Jahr 2008 übernahm, war er der erste hauptamtliche Behindertenbeauftragte Dinslakens auf einer vollen Stelle.

„Die Verwaltung hat es mit mir nicht immer einfach gehabt“

„Die Verwaltung hat es mit mir nicht immer einfach gehabt“, bekennt er heute und lächelt. Seine erste Amtshandlung: Er ließ im Stadthaus ein Telefon installieren, mit dem behinderte Menschen, die den Aufzug nicht benutzen können, die Mitarbeiter des entsprechenden Fachdienstes anrufen können. Diese kommen seither nach unten und beraten die Betreffenden in einem Raum des Seniorenbüros. „Vorher wurden die Gespräche, vor allem mit Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, auf dem Flur im Eingangsbereich des Stadthauses geführt. Das fand ich unerträglich und respektlos.“

Barrierefreiheit der Verwaltung – dazu gehören auch QR-Code gesteuerte Infos für Besucher im „sprechenden Rathaus“ – das war nur eines der Ziele des 62-Jährigen. „Meine Rolle ist, Barrierefreiheit auf allen Ebenen umzusetzen“ – wie es seit 2014 in der städtischen „Satzung zur Wahrung der Belange von Menschen mit Behinderung“ festgeschrieben ist.

Holthaus scheut auch Konflikte nicht

Und so war Holthaus an der barrierefreien Umgestaltung des Neutorplatzes ebenso beteiligt wie an der schrittweisen barrierefreien Modernisierung der Bushaltestellen. Er setzte sich für die Einrichtung von Behindertentoiletten ein, die Einführung des Euro-WC-Schlüssels, für die „Nette Toilette“, für Behinderten-Parkplätze, ein barrierefreies Hallenbad und sehr vieles mehr. Seine „Checkliste Barrierefreies Bauen der Stadt Dinslaken“ hat über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung gefunden.

„Barrierefreiheit ist Daseinsfürsorge“

Zu geplanten Bauprojekten gibt er zwar Stellungnahmen ab – diese müssen aber nicht verpflichtend umgesetzt werden. Sieht er Korrekturbedarf, scheut Holthaus auch Konflikte nicht: Im neu gestalteten Stadtpark bremsten Stufen Rollstuhlfahrer auf dem Weg zur Stadthalle aus, Geländer fehlten. Holthaus schrieb eine Mängelanzeige an den Bürgermeister. Ebenso beim Kiosk in Hiesfeld. Es gehe darum, „Gefahr abzuwenden“, sagt er – von den Menschen und der Stadt. Der Bürgermeister reagierte prompt. Barrierefreiheit sei schließlich „Daseinsfürsorge“, so Holthaus.

„Es geht um die Infrastruktur. Menschen sollen lange in der Stadt selbstständig leben können, mit Öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B kommen, Einkaufsmöglichkeiten haben.“ Im Jahr 2030 werden 32 Prozent der Dinslakener älter als 65 Jahre sein, nennt Holthaus Zahlen des Landesamts für Statistik: „Alles, was ich gemacht habe, dient nicht nur behinderten Menschen sondern auch allen anderen.“

Die bauliche Barrierefreiheit ist ein Schwerpunkt seines Jobs – die Beratung der andere. Menschen, die wegen einer Erkrankung plötzlich behindert sind, Angst um Existenz, Job, soziale Kontakte haben, gibt er Perspektiven, eröffnet Möglichkeiten: „Der Umgang mit den Menschen, ihnen zu helfen, war sehr erfüllend.“

„Ich wollte nie an meiner Behinderung gemessen werden“

Für Dinslaken wünscht er sich die Einrichtung eines Behinderten-Beirats wie etwa in Duisburg. Es selbst wird wieder Musik machen – unter anderem spielt er Posaune – und Menschen für den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband beraten. Denn Dieter Holthaus selbst ist sehbehindert. Sein besseres Auge hat noch fünf Prozent Sehkraft. Aber das, sagt er, wollte er nie zum Thema machen: „Ich wollte nie an meiner Behinderung gemessen werden, sondern an dem, was ich mache.“

Der VdK wehrt sich gegen den CDU-Vorschlag 

Wenn Dieter Holthaus am 1. April nach zehn Jahren als hauptamtlicher Behindertenbeauftragter auf einer vollen Stelle in Pension geht, will die CDU Dinslaken die Stelle des Behindertenbeauftragten wieder halbieren. Das sieht ein Antrag vor, den die CDU im Rat der Stadt eingereicht hat.

CDU: Halbe Stelle der Gleichstellungsstelle befristet zuschlagen

„Die Fraktion beantragt, zu prüfen, ob die altersbedingte Nachbesetzung der Stelle des Behindertenbeauftragten auskömmlich mit der Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit besetzt werden kann“, heißt es darin. Die somit eingesparte halbe Stelle soll nach dem Willen der CDU befristet für drei Jahre der Gleichstellungsstelle zugute kommen.

„Obwohl es dafür keine gesetzliche Vorgabe gibt“ habe die Stadt Dinslaken eine volle Stelle mit der Funktion eines Behindertenbeauftragten eingerichtet, so die CDU. Es stehe „für die Fraktion außer Frage, dass die Belange behinderter Menschen wichtig sind und vehement vertreten werden müssen“.

Stadt solle vermehrt auf Verbände zurückgreifen

Diese Aufgabe aber, so die Begründung, „kann gar nicht durch einen Mitarbeiter umfänglich wahrgenommen werden, sondern obliegt vornehmlich den Sozialverbänden, an deren Spitze der Sozialverband VdK über 1,8 Millionen Mitglieder hochprofessionell vertritt“. Es habe sich „auch gezeigt, dass die Stadt bei dieser Problematik vermehrt auf solche Fachleute zurückgreift und die Erledigung extern vergeben wird“, schreibt die CDU.

Koordinierungsstelle „mit einer halben Stelle ausreichend besetzt“

Sie möchte die Stelle des Behindertenbeauftragten „deshalb eher als Koordinierungsstelle“ anlegen. Diese wäre „mit einer halben Stelle ausreichend besetzt“, findet Heinz Wansing, CDU-Fraktionsvorsitzender, in dem Antrag. Für die Gleichstellungsstelle sei hingegen „vor dem Hintergrund der vom Rat beschlossenen Umsetzung des Gleichstellungsplanes ein erhöhtes Arbeitsaufkommen absehbar“. Diesem könnte mit einer befristeten Stelle für drei Jahre Rechnung getragen werden, so der Antrag der CDU.

Vöge: Dinslaken braucht einen Behindertenbeauftragten

Horst Vöge, Vorsitzender des VdK-Landesverbandes, früherer SPD-Ratsherr in Dinslaken und Landtagsabgeordneter, hält von dieser Idee nichts. Eine Teilung der Stelle sei nicht sinnvoll. „Eine Stadt in der Größe von Dinslaken braucht einen Behindertenbeauftragten,“ sagt Vöge. Für Stellungnahmen etwa zum ÖPNV seien „Verbindungen innerhalb des Rathauses besser geeignet als vom Ehrenamt von außen nach Innen.“

„Ehrenamt heißt nicht ehrenamtlich amtlich handeln“

Den Behindertenbeauftragten in diesen Punkten teilweise zu ersetzen „ist nicht unsere Aufgabe. Ehrenamt heißt nicht ehrenamtlich amtlich handeln“, sagt Vöge: „Dagegen wehren wir uns.“ Zwar verfüge auch der VdK über Fachleute und untersuche öffentliche Gebäude auf Barrierefreiheit. „Aber es ist besser, wenn so etwas direkt aus der Verwaltung heraus geschieht“ – gerade auch in der Planungsphase. Vöge verweist in diesem Zusammenhang etwa auf die Stadthalle.

Die Stelle zu reduzieren, sei ein Rückschritt. Es genüge nicht, sich als Stadt nur mit dem Willen zur Barrierefreiheit zu brüsten.

>>KOMMENTAR

Schein statt Sein?

Zynischer geht es kaum: Um die Belange behinderter Menschen wahrnehmen zu können, will die CDU die Stelle des Behindertenbeauftragten halbieren. Mit demselben Schreiben beantragt sie die Erstellung eines Imagefilms für Dinslaken. Gleichzeitig hat die Stadt die (volle!) Stelle des von der Politik genehmigten Social Media Managers ausgeschrieben.

Bisher kann Dinslaken stolz sein, die Belange behinderter Menschen durch die Einstellung eines hauptamtlichen Beauftragten früh einbezogen zu haben. Wenn die Stelle zurückgefahren würde und alte und behinderte Menschen irgendwann nicht mehr selbstbestimmt am öffentlichen Leben teilhaben könnten, wäre das in einer alternden Gesellschaft nicht nachzuvollziehen. Und es wäre ein Armutszeugnis – übrigens auch für das Image der Stadt. (aha)