Voerde. . Die Steag Voerde ist offiziell Geschichte. Nur ein Teil der Belegschaft war Freitag im Einsatz. Für einige hieß es, endgültig Abschied zu nehmen.

Schon seit ein paar Tagen „qualmt“ es aus den weithin sichtbaren Schornsteinen und dem Kühlturm an der Frankfurter Straße 430 in Möllen nicht mehr. Die Vorboten für ein nach mehr als vier Jahrzehnten endendes Kapitel Industriegeschichte. Mit dem gestrigen Tag hat das Kraftwerk der Steag in Voerde-Möllen als Stromproduzent offiziell ausgedient. Bereits am Freitag vergangener Woche sollen nach NRZ-Informationen die größeren Blöcke A und B des Kraftwerkes „Voerde“ außer Betrieb gegangen sein, einige Woche zuvor schon die Blöcke 1 und 2 des Kraftwerks „West“. Freitag vergangener Woche gab es die letzte Betriebsversammlung, danach eine Abschlussveranstaltung.

Fast 300 Menschen haben hier an der Frankfurter Straße 20, 30 oder noch mehr Jahre ihre Brötchen verdient. Der überwiegende Teil der Belegschaft ist an diesem letzten Tag schon nicht mehr im Einsatz, bei einigen stand noch Resturlaub an, andere haben bereits ihren neuen Arbeitsplatz angetreten. Für alle – ausgenommen ein Fall – soll inzwischen eine Folgelösung gefunden worden sein. Drei offene Fälle hatte es in der vergangenen Woche noch gegeben (die NRZ berichtete).

„Passt auf Euch auf“

Für um die 75 Mitarbeiter geht es an diesem Freitag noch einmal zu ihrem Arbeitsplatz, etwa 50 sollen, wie zu vernehmen ist, den nun folgenden Stilllegungsprozess, die Trockenlegung der Anlagen, begleiten. Für die anderen ist es definitiv der letzte Tag an ihrer alten Wirkungsstätte. Die Wege der vielfach langjährigen Kollegen trennen sich hier und jetzt. Emotionale Momente am Werkstor 1, Mitarbeiter der Mittagsschicht treffen ein, andere verlassen das Kraftwerks-Gelände. Händeschütteln, Schulterklopfen, Umarmungen: „Man sieht sich.“ „Passt auf Euch auf!“

Für Klaus Jankowsky ist es nicht nur seine letzte Schicht in Voerde, der 58-

Klaus Jankowsky  geht in den Vorruhestand.
Klaus Jankowsky geht in den Vorruhestand. © Lars Fröhlich

jährige Leitstandfahrer geht in den Vorruhestand. Er hätte ohnehin vorgehabt, früher aufzuhören – „Schichtarbeit geht doch auf den Körper“ – aber unter anderen Umständen dann vielleicht noch zwei Jahre weitergemacht.

Für Marcus Ruhe geht es ab Montag bei der Steag Fernwärme in Essen weiter. Dort sei ein Elektriker mit Kesselwärterzertifikat gesucht worden. Die Qualifikation fehlte ihm, dank eines dreiwöchigen Lehrgangs in Dresden, den ihm die Steag ermöglichte, kann der 45-Jährige sie nun nachweisen. Schon sein

Marcus Ruhe wechselt zur Steag Fernwärme nach Essen.
Marcus Ruhe wechselt zur Steag Fernwärme nach Essen. © Lars Fröhlich

Opa, sein Vater und sein Onkel waren bei der Steag. Marcus Ruhe erzählt von dem riesigen Zusammenhalt in der Belegschaft, nun würden die Kollegen alle zerstreut. Das mache traurig. „Wir haben hier schon mehrfach geheult“, sagt er. Bei aller Wehmut – für den Familienvater, der seit mehr als 20 Jahre in Voerde für die Steag tätig war, ist es das Wichtigste „noch einen Job zu haben“.

Das Aus war ein „Schock“

Nicht alle wollen an diesem letzten Tag mit uns sprechen, manche winken ab. Andere wollen ihren Namen nicht nennen, äußern sich aber. Einer ist froh darüber, künftig nicht mehr in Wechselschicht arbeiten zu müssen. Er gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge, sagt er. Ein anderer hat bereits vor einem Monat seinen alten Arbeitsplatz verlassen – nach 25 Jahren – und ist in eine andere Branche gewechselt. Als sich im vergangenen Jahr das Aus abzeichnete, sei das für ihn ein „Schock“ gewesen, jetzt aber nicht mehr. Er ist gekommen, um sich zu verabschieden. Später soll es an diesem letzten Tag ein Treffen in der „Kutsche“ in Voerde geben, organisiert von einigen Mitarbeitern.

Es sind Tränen geflossen

Michael Stern ist bei der Trockenlegung in Voerde dabei.
Michael Stern ist bei der Trockenlegung in Voerde dabei. © Lars Fröhlich

Für Michael Stern ist der 31. März nicht der letzte Tag auf dem Voerder Kraftwerksgelände der Steag, er ist bei der anstehenden Trockenlegung dabei. Ihm geht der Abschied nach mehr als 30 Jahren nahe. „Da fährt gerade ein Kollege, der jetzt in Vorruhestand geht“, erzählt er. Wenn der 55-jährige seine Arbeit in Voerde abgeschlossen hat, führt ihn sein Weg in das Trianel-Kohlekraftwerk in Lünen, das von der Steag betrieben wird. 75 Kilometer Anfahrtweg hat der Leitstandführer aus Voerde zukünftig. Umziehen will er aber nicht. Anderen wird da keine andere Wahl bleiben – für einige geht es ins Saarland oder nach Leuna in Sachsen-Anhalt.

Der Abschied von den Kollegen schmerzt am meisten

Für Wolfgang Wehovens Bruder zum Beispiel, wie der 51-Jährige erzählt. Er selbst wird nur ein paar Kilometer mehr als jetzt zurücklegen müssen.

Wolfgang Wehoven wechselt nach Walsum.
Wolfgang Wehoven wechselt nach Walsum. © Lars Fröhlich

Der Weseler fährt nach Walsum, aber zunächst begleitet er die Arbeiten, die nun auf die Stilllegung folgen. Auch er hebt die „gewachsene“ Gemeinschaft an seinem Noch-Arbeitsplatz hervor. Der Abschied von den Kollegen – er tue "am meisten weh", sagt Thomas Fries. 32 Jahre war er in Voerde tätig und er wird bei der Steag bleiben. „Ich habe 24 Jahre, wunderschöne Jahre bei der Steag gehabt“, sagt Ralf Eckmüller und betont, keinen Tag missen zu möchten. „Habe dort klasse Arbeitskollegen kennen- und schätzen gelernt.“

Es habe einige Tränen gegeben – „auch heute wieder“, erklärt Heinz Jonda, Betriebsratsvorsitzender der Steag in Voerde, an diesem letzten Freitag. Die Belegschaft sei jeden Schritt mitgegangen, dieses Werk zu erhalten. Doch geholfen hat es am Ende nichts. Es handele sich um das modernste Kraftwerk, das hier zugemacht werde, sagt Jonda. Sein Stellvertreter Ingo Belker führt „hohe“ Millionensummen an, die 2014 investiert worden seien, um die Blöcke gut aufzustellen. Vor wenigen Jahren sei das Kraftwerk als das modernste Europas ausgezeichnet worden. Die Betriebsratsspitze ist mit Blick auf die Belegschaft froh, dass „in so kurzer Zeit so verträgliche Lösungen“ gefunden worden seien.

>>HINTERGRUND

Das komplette Aus für den Voerder Kraftwerk-Standort der Steag zeichnete sich konkret bereits im Juni vergangenen Jahres ab: Damals kündigte RWE an, die beiden größeren Blöcke A und B des Kraftwerks „Voerde“ – betrieben und gewartet wurden diese von der Steag – zum Ende des ersten Quartals 2017 vom Netz nehmen zu wollen und zeigte ihre Entscheidung der Bundesnetzagentur an. Sie stufte die Blöcke als „nicht systemrelevant“ ein, womit der Weg für die Teilstilllegung frei war. RWE begründete den Schritt damit, dass für das Kraftwerk „Voerde“ keine Wirtschaftlichkeit mehr gegeben sei und die Anlage auch in den kommenden Jahren ihre Vollkosten nicht mehr decken könne.

Fünf Monate später folgte die Steag und vermeldete das von ihr geplante Aus für das Kraftwerk „West“ mit den beiden Blöcken 1 und 2. Im Januar dann kam schließlich die gleichlautende Nachricht der Bundesnetzagentur: „nicht systemrelevant“. Damit war die Schließung des Kraftwerkstandortes des Steag in Voerde besiegelt.

Der Essener Konzern führte für seine Entscheidung, neben den beiden Kraftwerksblöcken in Voerde auch einen in Herne sowie zwei in Weiher und in Bexbach im Saarland 2017 vorzeitig auslaufen zu lassen, den anhaltend niedrigen Strompreis als Argument ins Feld. Man habe die Kraftwerke durch frühzeitige Optimierungen der Kosten- und Erlösstruktur lange am Markt halten können, durch die Energiewende mit dem Vorrang von Wind- und Sonnenenergie aber seien viele Großkraftwerke nun nicht mehr wirtschaftlich zu führen.

„Das ist ein harter und trauriger Schritt, aber unumgänglich, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steag zu erhalten“, so Joachim Rumstadt. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Steag GmbH reist, wie berichtet, am kommenden Dienstag nach Möllen, um der Presse Auskunft über das abgelaufene Geschäftsjahr 2016 zu geben. Im Anschluss an das Gespräch ist dann der offizielle Fototermin zur Schließung des Voerder Kraftwerkstandortes vorgesehen.