Voerde. . Das Kraftwerks-Aus, der Betuwe-Ausbau und die städtischen Finanzen sind für Voerdes Bürgermeister Dirk Haarmann zentrale Themen im neuen Jahr.
- Für Bürgermeister Haarmann war die angekündigte Steag-Schließung die schlechteste Nachricht im Jahr 2016
- Die Arbeit an einer Folgelösung für das Kraftwerks-Gelände ist für ihn eine der größten Herausforderungen
- Beim Thema Betuwe-Ausbau rechnet die Stadt Voerde im Jahr 2017 mit einer Entscheidung
Das Jahr 2016 ist gerade zu Ende, das beginnende wartet auch für die Kommunen mit alten und neuen Herausforderungen auf. Mit Voerdes Bürgermeister Dirk Haarmann blickte NRZ-Redakteurin Petra Keßler zurück – und nach vorn.
Herr Haarmann, das Jahr 2016 war auch in Voerde von Höhen und Tiefen geprägt. Was war aus Ihrer Sicht die beste Nachricht für die Stadt?
Dirk Haarmann: Wir hatten viele gute Nachrichten. Eine war die Zusage, dass der Bund die Sanierung der Sportanlage am Tannenbusch in Friedrichsfeld zu 90 Prozent fördert. Das hat uns eine Menge an Problemen beiseite geschafft: zum einen, was die Standortfrage und zum anderen, was die haushaltsschonende Umsetzung eines modernen Sportparkes betrifft. Sehr gut war für uns auch, dass wir bei der Unterbringung von Flüchtlingen durch die Anrechnung der 300 Plätze in der dem Land bereit gestellten Erstaufnahmeeinrichtung Luft zum Durchschnaufen bekommen hatten. Dadurch konnten wir viel konzeptionelle Arbeit leisten und uns strategisch auf das noch viel Wichtigere vorbereiten: die Integration von Flüchtlingen.
Was war die schlechteste Nachricht für Voerde?
Dirk Haarmann: Ganz eindeutig die Nachricht der Steag-Schließung. Es ist doch völlig klar, dass uns das Aus ins Mark trifft.
Die Stilllegung wird enorm auf die Gewerbesteuereinnahmen drücken. Wird der Ausfall durch die Mehreinnahmen, die sich die Verwaltung von einer höheren Abgabe ab 2017 erhofft, gedeckt? Kalkuliert wird mit 285 000 Euro.
Dirk Haarmann: Ich kann aufgrund des Steuergeheimnisses nicht sagen, dass das passt oder nicht. Aber vielleicht ganz neutral: Das tut uns richtig, richtig weh, was die Steuerausfälle betrifft. Wir haben an anderer Stelle zwar auch positive Entwicklungen. Tatsache ist jedoch auch, dass wir nur durch die Gewerbesteueranhebung um zehn Punkte in der Lage sein werden, bei gleichbleibender Konjunkturlage das eingeplante Ergebnis zu erzielen. Wir hätten selbstverständlich lieber die Gewerbesteuereinnahmen von der Steag noch obendrauf. Was die Schließung für die vielen Handwerksbetriebe bedeutet, können wir jetzt noch gar nicht sagen. Da werden wir die Entwicklung der nächsten Jahre abwarten müssen.
Die Stadt hat ein großes Interesse daran, dass aus der Fläche keine große Industriebrache wird. Hat es zu einer möglichen Folgenutzung bereits Gespräche zwischen Steag, RWE, Land und Stadt gegeben?
Dirk Haarmann: Mit der Steag habe ich bereits gesprochen und mit RWE steht in Kürze ein Termin an. Wir sind im vergangenen Jahr sehr früh unterwegs gewesen und haben Kontakt zur Landesregierung aufgenommen und mit dem Wirtschaftsministerium über eine mögliche Unterstützung bei der Flächenentwicklung gesprochen. Dazu findet im Januar auch noch einmal ein Termin in Düsseldorf statt, bei dem es konkret darum gehen wird, inwiefern man eine Machbarkeitsstudie für die Flächenentwicklung fördern kann oder nicht. Die Schwierigkeit ist, dass wir nicht Eigentümer des Grundstücks sind – häufig aber sind die Förderkriterien daran geknüpft. Aber wir wollen ausloten, was da geht. Es gibt auch bereits Verabredungen, dass wir die Weiterentwicklung des Geländes nur in Abstimmung mit Steag und RWE machen wollen und können. Alle sind sich einig, dass dies ohne Beteiligung der Stadt nicht möglich ist, weil wir die Planungshoheit haben. Die Entwicklung einer Fläche macht kein Investor alleine, und je früher die Stadt eingebunden ist, desto besser.
Sie haben es erwähnt: Auf die Unterbringung der Flüchtlinge folgt die viel größere Aufgabe der Integration. Wie ist Voerde da aufgestellt?
Dirk Haarmann: Wir haben zum Glück in Voerde seit vielen Jahren ein funktionierendes Netzwerk auch im Rahmen der Flüchtlingsarbeit. Das sind auch die Früchte aus dem ersten Integrationskonzept, das wir vor vielen Jahren erstellt haben. Da haben sich Strukturen durch Eigeninitiative entwickelt, Engagements, die uns auch langfristig weiterhelfen. Es gibt eine Grundbereitschaft, die wir nutzen und Dank der Unterstützung durch Kirchen, Verbände und Vereine ausbauen konnten. Das war ein Riesenvorteil, dass wir hier nicht bei Null anfangen, sondern frühzeitig unsere Hausaufgaben gemacht haben. Gleichwohl sehen wir, dass wir konzeptionell immer auch gehalten sind, das anzupassen und weiter daran zu arbeiten.
Beitrag zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt
Wie sieht das konkret aus?
Dirk Haarmann: Es sind verschiedene Bausteine, die da eine Rolle spielen. Aktuell haben wir gerade beschlossen, ein Flüchtlingsintegrationskonzept – sozusagen als Teilfortschreibung unseres bestehenden Integrationskonzeptes – zu erarbeiten. Darüber hinaus wollen wir etwas zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt beisteuern. Gerade die Einrichtung von bis zu 37 Plätzen nach dem sogenannten FIM-Programm (Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen, die bei Kommunen, staatlichen oder gemeinnützigen Trägern geschaffen und durch Bundesmittel finanziert werden, Anm. d. Redaktion) ist unser Beitrag dazu, dass wir Flüchtlingen auch die Chance geben, in strukturierte Arbeitsverhältnisse zu kommen. Deshalb bin ich froh, dass der Rat die Entscheidung getroffen hat, das in Kooperation mit der Caritas auch umzusetzen.
Nochmal zurück zur Unterbringung von Flüchtlingen: Mit Blick auf die Parkschule als möglicher Unterkunft auf Zeit klingt Kritik von Bürgern an der Informationspolitik der Stadt an. Anwohner hatten Sie angeschrieben und um Aufklärung gebeten.
Dirk Haarmann: Die Verwaltung hat bereits seit längerer Zeit – unter anderem im Sozialausschuss – darüber berichtet, dass wir im Falle der Aufgabe der Pestalozzischule einen Ersatz für die Unterbringungskapazitäten brauchen und die ehemalige Parkschule als geeigneten und wirtschaftlich nutzbaren Standort betrachten. Ich habe in dem Antwortschreiben daher deutlich gemacht, dass wir die Nutzung der Parkschule nicht ausschließen und dass wir vor einem Bezug frühzeitig darüber informieren werden, wie wir es auch im Fall der Pestalozzischule getan haben. Ich halte wenig davon, mit Informationen an die Bevölkerung zu gehen, bevor wir genau wissen, wann und in welchem Umfang wir das Gebäude beziehen. Es hat sich immer als gut erwiesen, das unmittelbar vorher zu machen, damit wir über die aktuelle Situation berichten können. Im Moment ist diese aktuelle Situation zwar noch nicht da, dennoch wird die Verwaltung im Januar zu einem Ortstermin einladen, um im Dialog mit den Nachbarn die Situation zu erörtern und auf die Fragen einzugehen. Ich habe im Haupt- und Finanzausschuss gesagt, dass wir solche Unterkünfte aus zwei Gründen benötigen. Neben den Plätzen brauchen wir die Funktion einer solchen Unterkunft: Es hat sich auch bei der Pestalozzischule als sehr vorteilhaft erwiesen, dass wir die Menschen zunächst einmal aufnehmen, intensiv betreuen und schauen können, inwiefern sie noch psychologisch behandelt werden müssen, wie ihre Sprach- und Jobkenntnisse und inwiefern sie wohnfähig sind. Dann ist es auch für die Akzeptanz in der gesamten Stadt gut, wenn wir nicht jede Familie, jede Einzelperson sofort in Mietwohnungen oder unseren Unterkünften unterbringen, sondern zunächst an zentraler Stelle begleiten können.
Die Pestalozzischule wird für die Unterbringung von Flüchtlingen nicht mehr genutzt?
Dirk Haarmann: Wir haben es geschafft, die zuletzt dort lebenden Menschen in unseren Bestandsunterkünften und Mietwohnungen unterzubringen. Ich will aber nicht ausschließen, dass wir die Pestalozzischule noch einmal beziehen, zumal ja die Parkschule im Moment noch nicht genutzt wird und wir dort zunächst einige Vorbereitungen treffen müssen. Im Moment ist sie aber leer. Dass manche über eine Aufgabe spekuliert haben, könnte daran liegen, dass mit dem letzten Leerzug auch abgenutztes Mobiliar und alte Matratzen aus dem Gebäude transportiert wurden.
Das Gelände der Pestalozzischule soll, wie das der Parkschule, zum Wohnquartier entwickelt werden. Die Frist, bis zu der Investoren ihre Angebote abgeben konnten, ist abgelaufen. Wie ist das Resultat?
Dirk Haarmann: Wir haben sehr gute Resonanz gefunden – mit einer Menge an seriösen und tragfähigen Konzepten. Ein erster Blick darauf hat mir schon gezeigt, dass der Wettbewerb am Markt auch angekommen ist. Es gibt darunter auch Konzepte, die sich über die Nutzung von Teilflächen ergänzen würden. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass wir am Ende das Gelände zu unseren Vorstellungen werden verkaufen und der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung zuführen können.
Über Pestalozzischule soll im Frühjahr beraten werden
Wie ist das weitere Vorgehen?
Dirk Haarmann: Wir werden die Konzepte im Detail auswerten, eine Übersicht über die Ergebnisse erstellen und damit dann in die Politik gehen. Wir wollen versuchen, das möglichst in der nächsten Sitzungsfolge, also im Frühjahr, zu tun.
Ein großes Thema 2016 war auch die mögliche nächtliche Schließung der Polizeiwache in Voerde. Zuletzt hatte der Landrat angekündigt, dass die Wache eventuell verlagert und dafür ein innenstadtnaher Standort gesucht wird. Die Stadt hat ihm Vorschläge genannt. Welche?
Dirk Haarmann: Ich habe dem Landrat mitgeteilt, welche Grundstücke in Frage kommen könnten. Welche dies sind, kann ich Ihnen nicht sagen, weil uns die Flächen nicht gehören und wir uns noch im Dialog mit den Eigentümern befinden und sie ein Signal geben müssen, dass sie sich das grundsätzlich vorstellen können. Da warte ich jetzt noch auf eine abschließende Zustimmung und würde dem Landrat dann offiziell diese Flächen mitteilen. Zunächst einmal muss man aber sagen, dass es eine grundsätzlich sehr positive Entwicklung ist, die mit der Entscheidung einer Standortverlagerung auch automatisch beinhaltet, dass die Voerder Wache nicht zur Diskussion steht.
Man kann die Sache auch anders sehen: Was, wenn die Suche nach einem geeigneten, innenstadtnahen Standort erfolglos bleibt? Die nächtliche Schließung der bestehenden Polizeiwache würde einen kostenintensiven Umbau erfordern. Da stellt sich die Frage, ob am Ende nicht doch die Entscheidung fällt, die Wache in Voerde komplett zu schließen.
Dirk Haarmann: Ich sehe nicht das komplette Aus der Wache, weil es ein klares Bekenntnis gibt zum Standort Voerde – und darauf setze ich auch. Und alles weitere ist jetzt in der Zuständigkeit der Polizeiverwaltung zu entscheiden. Das macht der Kreis als Polizeibehörde auch nicht alleine, das wird auch von Landesseite nach festen Verfahren gesteuert. Der Neubau einer Wache würde über das Land laufen. Wir als Stadt können über die Meldung geeigneter Grundstücke unseren Beitrag leisten, das Verfahren zu beschleunigen.
Schauen wir auf die Politik in Voerde: Auffällig war auch 2016 wieder das teils nicht mehr von einer Sachdiskussion, sondern von persönlichen Auseinandersetzungen geprägte Klima im Stadtrat. Sie als Bürgermeister und Leiter der Sitzung hätten die Möglichkeit zu moderieren, zu vermitteln.
Dirk Haarmann: Ich bin vermittelnd, moderierend tätig. Wir begegnen uns darüber hinaus nicht nur im Stadtrat, sondern es finden auch Gespräche mit den Fraktionen außerhalb der Gremiensitzungen statt. Ich biete immer Gespräche an und die werden auch angenommen. Ich glaube, es ist insgesamt so, dass die Rahmenbedingungen in der Stadt Voerde trotz positiver Tendenzen, die wir zum Beispiel im Bereich Haushalt haben, nicht einfacher werden und dass natürlich auch politische Auseinandersetzungen die logische Schlussfolgerung daraus sind. Man kann und soll auch nicht immer einer Meinung sein. Zu einer funktionsfähigen Demokratie gehört auch, dass man sich um die Sache streitet. Das erlebe ich auch zum allergrößten Teil und würde politischen Streit nicht als persönliche Angriffe überinterpretieren. Solange ich sehe, dass die Politiker nach der Sitzung zusammenstehen und sich unterhalten – und das ist der Fall – bin ich der Meinung, dass es Diskussionen sind, die uns am Ende in der Sache weiterbringen. Ich sehe bei allen, dass sie im Sinne der Stadt Voerde argumentieren und handeln.
Sehen Sie sich nach wie vor als Bürgermeister für alle?
Dirk Haarmann: Welche Antwort erwarten Sie jetzt? Ja klar. Ich wüsste auch nicht, wie man da anderer Meinung sein kann. Das ist für mich handlungsleitend – nach wie vor. Ich glaube, das merkt man auch, wenn man das beobachtet.
Bund soll Kosten für Bundesaufgaben tragen
Was ist 2017 die größte Herausforderung für die Stadt?
Dirk Haarmann: Ganz klar ist, wir müssen das Thema Steag massiv vorantreiben. Zunächst einmal muss eine konkret belastbare Aussage zum Rückbau der Fläche erfolgen. Es gibt noch keinen Abrissantrag, dafür ist es auch noch viel zu früh. Aber auf dieser Grundlage sind nun einmal erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, über die Folgenutzung zu sprechen. Weiterhin sehe ich ein großes Aufgabenfeld im Bereich der Finanzen. Wir haben ja unseren Haushalt ein Stück weit bereits in geordnete Bahnen lenken können. Die Bemühungen der vergangenen Jahre zeigen durchaus Früchte, aber sie haben auch eine schmerzvolle Begleiterscheinung, wenn man sich die öffentliche Infrastruktur anschaut. Da sind wir in Voerde zwar noch relativ gut aufgestellt, aber wir haben auch schon deutlich von der Substanz gelebt. Da müssen wir dringend nacharbeiten und dafür brauchen wir Handlungsfähigkeit bei unseren Finanzen. Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist, dass nicht nur wir als Stadt unseren Beitrag dazu leisten, sondern dass wir endlich auch eine auskömmliche Finanzierung unserer Aufgaben bekommen. Die Forderung richtet sich insbesondere an den Bund, der ja durch Gesetzespakete immer wieder dafür sorgt, dass die Kommunen Lasten stemmen müssen, die wir alleine gar nicht tragen können. Ein wichtiges Ziel ist es, dass Bundesaufgaben auch vom Bund getragen werden. Eines der wichtigsten Themen wird zudem Betuwe sein. 2017 wird das Jahr der Entscheidungen werden. Wir rechnen im nächsten Jahr mit dem Planfeststellungsbeschluss. Die Stadt Voerde geht von ihren Forderungen nicht runter – und am Ende kann das auch dazu führen, dass wir klagen werden. Mit den Forderungen stehen wir ja nicht alleine, sie sind im breiten Konsens der betroffenen Städte entwickelt worden – auch mit hundertprozentiger Rückendeckung durch unsere Feuerwehren. Wir werden nur dann zustimmen, wenn die Feuerwehren am Ende die Sicherheitsaspekte durch die Bahn erfüllt sehen. Das gilt auch für andere Themen wie Lärmschutz, barrierefreier Zugang zu den Bahnhöfen, Bahnübergänge.