Düsseldorf. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein fürchtet, dass der Notdienst bei Hausärzten sozialversicherungspflichtig wird – und damit unattraktiv.

Ein Urteil des Bundessozialgerichts schreckt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) auf. Tenor des Urteils (AZ B 12 R 9/21), dessen Begründung nun schriftlich vorliegt: Ärzte, die vertretungsweise Notdienste übernehmen, arbeiten unter arbeitnehmerähnlichen Bedingungen und müssen folglich Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Hintergrund: Der Notdienst der Hausärzte, Kinderärzte und einiger Fachärzte ist eigentlich von den Kassenärzten zu übernehmen. Jede Ärztin, jeder Arzt mit eigener Praxis ist mal an der Reihe. Wegen der Arbeitsbelastung lassen sich jedoch viele Ärzte vertreten.

Jeder zweite Arzt lässt sich im Notdienst vertreten

Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein schätzt, dass mindestens jeder zweite Notdienst nicht vom eigentlich zuständigen Arzt geleistet wird. Meist springen dann Krankenhausärzte ein oder Medizinerinnen und Mediziner im Ruhestand verdienen sich etwas dazu. Sie arbeiten jedoch als Selbstständige, jedenfalls nach Auffassung der KV. Nordrhein.

Einige Sozialgerichte sehen das jedoch anders und ein Urteil des Bundessozialgericht untermauert das noch einmal: Ärzte im kassenärztlichen Notdienst sind weisungsgebunden, in feste Strukturen eingebunden, haben feste Dienstzeiten – alles Kriterien, die auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten. Also sei der Job sozialversicherungspflichtig.

Geschlossene Notfallpraxis in Stuttgart: In Baden-Württemberg ist es nach dem Urteil des Bundessozialgerichts bereits zu deutlichen Einschränkungen gekommen.
Geschlossene Notfallpraxis in Stuttgart: In Baden-Württemberg ist es nach dem Urteil des Bundessozialgerichts bereits zu deutlichen Einschränkungen gekommen. © dpa | Bernd Weißbrod

Das Urteil betrifft einen Zahnarzt im Ruhestand in Baden-Württemberg. Die dortige KV hat die Notbremse gezogen: Vertretungen im Notdienst gibt es vorläufig nicht mehr. Erschwerend kommt in Baden-Württemberg hinzu: Hier hat die KV die Vertretungen zentral organisiert. Das ist im Rheinland zwar nicht der Fall, aber alarmiert ist man dennoch.

KV: „Praxen sind schon jetzt am Limit“

„Die freiberufliche Vertretungsmöglichkeit für unseren Notdienst ist inzwischen nicht mehr wegzudenken, denn die Kolleginnen und Kollegen arbeiten in ihren Praxen schon jetzt am Limit und können den Notdienst nicht alleine sicherstellen“, so König. Deswegen drängt die KV auf eine sogenannte „Bereichsausnahme“, mit der die Mediziner von der Sozialversicherungspflicht freigestellt werden.

Geschlossene Notfallpraxis in Stuttgart: In Baden-Württemberg ist es nach dem Urteil des Bundessozialgerichts bereits zu deutlichen Einschränkungen gekommen.
Geschlossene Notfallpraxis in Stuttgart: In Baden-Württemberg ist es nach dem Urteil des Bundessozialgerichts bereits zu deutlichen Einschränkungen gekommen. © dpa | Bernd Weißbrod

Man sei mit Landesgesundheitsminister Karl Laumann (CDU) im Gespräch, dieser habe versichert, sich gemeinsam mit einigen Länderkollegen für eine entsprechende Regelung stark zu machen, so Dr. Frank Bergmann, Vorsitzender der KV Nordrhein.

Sonst droht Ungemach: „Leidtragende werden am Ende die Patientinnen und Patienten sein, die dann unter Umständen vor einer geschlossenen Notdienstpraxis stehen – und das kann wirklich niemand wollen“, so die KV Nordrhein.

Videosprechstunde auch für Erwachsene

Diese will eigentlich die Notdienststrukturen im Land weiter ausbauen, vor allem mit Blick auf Videosprechstunden auch für erwachsene Patienten. Nur durch eine intelligente Vernetzung von Notruf (112) und hausärztlichem Notdienst (116117) und dem Einsatz von mehr Telemedizin sei in Zeiten des Medizinermangels das Notdienstsystem aufrechtzuerhalten.

Dazu brauche es allerdings auch neue finanzielle Strukturen. Bisher, so die KV, würden im Rheinland fast alle Kosten des Notdienstes aus dem Honorartopf der Haus- und Fachärzte bezahlt – ein „historisches und anachronistisches Relikt aus dem letzten Jahrhundert.“ Das habe sich nun zugunsten professioneller Strukturen geändert, daher „müssen die Kosten des Notdienstes vollständig und außerhalb unseres Honorartopfes von den Kassen getragen werden“, so die Kassenärztliche Vereinigung. In Essen hat man bereits drastische Einschränkungen des Notdienstes angekündigt.