Bochum. Der VfL Bochum verliert schnell den Ball, ist in der Box nicht präsent, lässt vor allem im zweiten Durchgang viele Großchancen zu. Eine Datenanalyse zur VfL-Krise.
Der VfL Bochum ist erneut schwach in die Saison gestartet: ein Punkt aus sechs Spielen, 6:14 Tore, Schlusslicht. Warum das so ist und Bochum in der zweiten Halbzeit noch abbaut, zeigen auch die Zahlen unseres Kooperationspartners, dem Datenanalyse-Unternehmen Createfootball.
In den ersten fünf Partien hielt der VfL zur Pause zweimal ein Remis, dreimal führte er, nur zuletzt gegen Wolfsburg lag er zurück (0:2) und verlor erstamls die zweite Halbzeit nicht (1:1/Endstand 1:3). Dennoch zeigte sich auch gegen Wolfsburg, dass der VfL nach der Pause an defensiver Stabilität zunehmend verliert, wenig klare Chancen kreiert.
Fehlende Kaltschnäuzigkeit beim VfL Bochum - wie in der Vorsaison
Einige Werte vorab. Trotz kleinerer Wackler sorgten Torwart Patrick Drewes und fehlendes Abschlussglück beim Gegner dafür, dass der VfL zwei Gegentore weniger kassiert hat als in den jeweiligen Spielen anhand der Topchancen zu erwarten waren, so Createfootball.
Auf der anderen Seite sorgte mangelnde Kaltschnäuzigkeit wie schon in der Vorsaison für eine Unterperformance bei den zu erwartenden Toren für den VfL. Da hätte Bochum zwei Tore mehr erzielen müssen. Der VfL benötigt 13,3 Versuche pro Tor. In der abgelaufenen Spielzeit waren es 12,6 Versuche. Beide Werte zählen zu den drei schwächsten aller Bundesligisten in den jeweiligen Spielzeiten. Fehlende individuelle, aber auch mannschaftliche Qualität beim Herausspielen klarer Chancen sind die Kerngründe.
Intensive Läufe: Werte haben sich verschlechtert
Bei der Laufdistanz liegt der VfL Bochum auf Rang 14, bei den intensiven Läufen auf Platz neun und bei den Sprints auf Rang vier aller Erstligisten. Die Werte haben sich im Vergleich zur Vorsaison vor allem bei den intensiven Läufen verschlechtert. Hier zählte der VfL Bochum zum oberen Drittel der Liga. Trainer Peter Zeidler betont allerdings, dass sein Team fit sei für den Abstiegskampf.
Arbeit gegen den Ball: Aus starker Zweikampfquote wird eine ganz schwache
Bei der Arbeit gegen den Ball sind im Vergleich der beiden Durchgänge klare Unterschiede zu erkennen. In der ersten Halbzeit blocken die Bochumer die meisten Schüsse aller Teams. Sie blocken zudem viele Flanken und Pässe, stellen Abseits. Sie gewinnen die drittmeisten Zweikämpfe, vor allem durch starke Präsenz in der Luft. Am Boden allerdings gewinnt der VfL die wenigsten Duelle aller Bundesligisten.
So ist Bochum schon in Abschnitt eins nicht stabil genug. Neun zugelassene gegnerische Großchancen sind nach Holstein Kiel (12) der zweithöchste Wert. Positiv: Die Bochumer gewinnen die zweitmeisten Bälle nach intensiven Pressingaktionen, da hat nur St. Pauli mehr. Sie zeigen zudem ein gutes Umschaltverhalten nach Ballverlust, gewinnen die fünftmeisten Bälle aller Bundesligisten unmittelbar zurück.
Elf Großchancen des Gegners in Halbzeit zwei: Ligahöchstwert
In der zweite Hälfte bricht die Defensivarbeit ziemlich ein - vor allem da, wo es brennt. Die Bochumer lassen 75 Prozent aller gegnerischen Schüsse aus dem eigenen Strafraum heraus zu. Elf gegnerische Großchancen im zweiten Durchgang sind Ligahöchstwert - allein Wolfsburg traf zuletzt zweimal Latte und einmal den Pfosten. Mit einem „Expected-Goals-Against“ Wert - also zu erwartende Gegentore aufgrund der Chancenqualität - von 9,9 ist Bochum klares Schlusslicht der Liga.
Die hohe Anzahl gewonnener Zweikämpfe sinkt in der zweiten Hälfte drastisch. Aus Ligaplatz drei wird 14. Die Bochumer haben im Schnitt der ersten sechs Spiele rund 25 Defensivaktionen weniger als im ersten Durchgang, ihre Kopfballstärke in der gegnerischen Hälfte sinkt um sieben Prozent. Meist ist das verknüpft mit einer Auswechslung von Stürmer Philipp Hofmann, dem Zielspieler bei langen, hohen Bällen.
Pressing bringt kaum Erfolg - zweitschwächste Effizienz
Der Pressingdruck bleibt zwar in Halbzeit zwei hoch, erhöht sich im letzten Drittel sogar. Ertrag aber bringt er kaum. Bochum hat im zweiten Abschnitt die zweitschwächste Effizienz der Liga. Kein Bundesliga-Team hat weniger Balleroberungen im zweiten Durchgang - trotz Pressings und durchschnittlich weniger Ballbesitz als der Gegner.
Spiel mit dem Ball: Der VfL Bochum hat im ersten Durchgang nur 40 Prozent Ballbesitz
Fünf der bisher sechs Tore erzielte der VfL in der ersten Halbzeit, ist deutlich effektiver - doch in beiden Spielhälften gelingt es Bochum zu selten, Torgefahr zu erzeugen. Fehlende Kreativität, kaum Dribblings im letzten Drittel, eine schwache Box-Besetzung und unpräzise Flanken sind wesentliche Gründe. Hinzu kommen schwache Standards.
Ein extrem hoher Fokus liegt bei den Bochumern, die meist mit einer Raute spielen, auf dem Zentrum. 32 Prozent aller Angriffe laufen im ersten Durchgang durch die Mitte, nur der FC Bayern hat da einen höheren Anteil. Und eine andere spielerische Qualität.
Angriffe des VfL Bochum sind vertikal angelegt - viele lange Bälle
Die Angriffe sind in beiden Abschnitten sehr vertikal angelegt. So sind 40 Prozent aller Zuspiele in der ersten und 42 Prozent in der zweiten Halbzeit vorwärtsgerichtet - ein klares Ziel von Trainer Peter Zeidler. Lange Bälle sind ein bevorzugtes Mittel des VfL, sorgen aber nur äußerst selten für effektiven Raumgewinn. Nur Holstein Kiel spielt weniger erfolgreiche Pässe mit signifikantem Raumgewinn als der VfL.
Dazu passt, dass die Bochumer die erste Pressinglinie des Gegners zumeist recht simpel überspielen, Mittelfeld- und Abwehrkette dagegen nur selten - Rang 18 und 17 im Ligavergleich. Heißt überspitzt gesagt: Ballgewinn folgt Vertikalpass folgt Ballverlust.
Kaum kontrollierter Ballbesitz - viele Ballverluste
Kontrollierte Ballbesitzphasen gibt es kaum, durchschnittlich ist Bochum nur 15,2 Sekunden in Ballkontrolle pro Phase (1. Halbzeit) - das sind neun Sekunden weniger als der Ligaschnitt. Äußerst selten laufen Angriffe über mehrere Stationen und werden strukturiert aufgebaut. Insbesondere die rechte Seite mit Außenverteidiger Felix Passlack trägt zu Ballverlusten mit Ball am Fuß bei. Unterm Strich steht eine Ballverlustquote von 27,4 Prozent (1. Halbzeit) - nur Wolfsburg ist schwächer.
Auch bei der Chancenkreation sieht es mau aus. Der VfL schließt nur zehn Prozent seiner Angriffe im ersten Abschnitt mit einem Schuss ab, es mangelt oft an Zielstrebigkeit und Punch, so Createfootball. Es fehle an Risiko und Ideen im Passspiel, die Halbfeldflanken führen kaum zu Torgefahr.
Kaum mutiges Pass-Spiel und Dribblings im letzten Drittel
Eins-gegen-Eins-Duelle spielen eine sehr untergeordnete Rolle, was man auch auf fehlendes Flügel- und Tempospiel zurückführen kann, wie es etwa in einem 4-2-3-1 mit schnellen Außen häufiger der Fall wäre. Kein Bundesliga-Team hat weniger erfolgreiche Dribblings im ersten Durchgang. Im zweiten Abschnitt gibt es dank der Wechsel und oft auch einer Umstellung auf ein 4-3-3 zehn Dribblings mehr. Dafür aber geht der Ball im zweiten Durchgang noch öfter bereits im Mitteldrittel verloren (42 Prozent) - es gibt weiter kaum ein mutiges Pass-Spiel oder Dribblings im entscheidenden letzten Drittel.
Gefährliche Zone nicht gut besetzt - schwache Flanken
Folglich gelingt es kaum, mit Ball in die Box einzudringen, auch Pässe in den Strafraum sind selbst nach Rückständen nur selten ein Mittel. Und: Vor allem im zweiten Abschnitt wird die gefährliche Zone unzureichend besetzt, was ebenso ein Manko ist wie die Flankenqualität.
Die Bochumer schließen aus großer Distanz ab, im Schnitt beträgt die Entfernung rund 18 Meter zum Tor - nur Freiburg hat einen höheren Wert. In der zentralen Zone nah am gegnerischen Tor dagegen erzeugt Bochum nur sehr selten Gefahr. Nur 18 Prozent der Abschlüsse finden hier statt, das sind 12 Prozent weniger als der Ligaschnitt. Der expected-Goal-Wert (xG) pro Schuss sinkt auf 0,06 - nur Union Berlin ist harmloser.
Zweite Halbzeit: Die wenigsten Boxaktionen der Bundesliga
Die Bochumer kreieren also kaum klare Chancen, vor allem in der zweiten Halbzeit nicht: kein Bundesligist weist weniger Boxaktionen auf nach der Pause, keiner hat eine größere Streuung im Abschluss (nur 22 Prozent der Schüsse kommen aufs Tor). Die Qualität der Flanken sinkt weiter, obwohl Bochum in der zweiten Halbzeit mehr aus aussichtsreichen Positionen nahe der Grundlinie flankt als im ersten Durchgang. Nicht einmal jede fünfte Flanke erreicht noch den Mitspieler (1. Halbzeit: 28 Prozent). Ein weiteres Problem: Standards führen kaum zu (gefährlichen) Abschlüssen (14 Prozent erste Halbzeit). Ein Tor gelang Bochum nach einer Ecke von Maxi Wittek oder einem Freistoß von Lukas Daschner noch nicht.
Fazit: Kraftproblem, hastige Angriffe, Kette überspielt
Bochum fehlt in der zweiten Halbzeit offenbar vor allem die Kraft, schlussfolgert Createfootball. Unkonzentriertheiten - drei Gegentore fielen nach krassen individuellen Fehlern, dazu wurden zwei Elfmeter verschuldet - mischen sich mit misslungenen Zweikämpfen und der Tatsache, dass viele Spieler oft einen Schritt zu spät kommen. Die Anzahl der Fouls steigt an, gleichzeitig gibt es weniger Ballgewinne und abgefangene Pässe. Zudem wird die letzte VfL-Kette vom Gegner deutlich öfter geknackt.
Offensiv passiert zu wenig. Es fehlt an Anspielstationen, Boxpräsenz und Abschlussstärke. Zu oft wird hastig oder gar kopflos angegriffen. Der Zuwachs an Torschussvorlagen resultiert primär aus Standards, die im zweiten Durchgang öfter zu - meist harmlosen - Abschlüssen führen als im ersten.
Mutmacher: Auch Hoffenheim hat schwache Werte
Was macht Bochum Hoffnung? Vielleicht der Gegner. Auch die TSG Hoffenheim, die nach dem unglücklichen 1:1 in Stuttgart auch erst vier Punkte hat, hat bisher ebenfalls schwache Werte in vielen Bereichen. Die Hoffenheimer haben im ersten Durchgang bereits neun Gegentore bekommen, sie schlossen ebenfalls extrem oft aus großer Distanz ab und schafften es selten, sich bis vor das Tor durch zu kombinieren. Darüber hinaus zeigten sich oft anfällig für das Bochumer Stilmittel Nummer eins, die langen Bälle.
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