Duisburg. In der Liga kreuzten sich die Wege der beiden Lokalrivalen letztmals in der Saison 1988/89. Spitzenspiel vor imposanter Kulisse.
Es war einmal vor langer, langer Zeit... Der Anfang dieser Geschichte soll bewusst wie eine Märchenerzählung klingen, denn wer heute davon berichtet, dass sich der MSV Duisburg und ihr Lokalrivale Hamborn 07 zu einem Zeitpunkt, als die Fernsehbilder schon nicht mehr schwarz-weiß waren, nahezu auf Augenhöhe begegnet sind, muss damit rechnen, mindestens eine sehr lebhafte Fantasie unterstellt zu bekommen. Doch einmal, für einen kleinen Moment der Duisburger Fußballgeschichte, war es wirklich so. An einem Herbstsamstag im Oktober 1988.
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Der MSV war gerade dabei, eine der wohl schlimmsten Talsohlen seiner bisherigen Existenz hinter sich zu lassen. 1986 waren die Zebras in einer Art und Weise aus der 2. Bundesliga abgestiegen, deren Sang- und Klanglosigkeit ihresgleichen suchte. Unter dem neuen Vorsitzenden Dieter Fischdick gelang die finanzielle Konsolidierung, Vereinsurgestein Detlef Pirsig sorgte als Trainer dafür, dass die sportliche Bilanz stimmte und die Fans wieder ins Wedaustadion zurückkehrten, dass sie zuvor jahrelang gemieden hatten. Nur mit der ersehnten Rückkehr in die Zweitklassigkeit hatte es noch nicht geklappt. 1987 schlug ausgerechnet Pirsigs Ex-Klub BVL Remscheid dem MSV ein Schnippchen, der sich dann mit der Deutschen Amateur-Meisterschaft tröstete, ein Jahr später scheiterte man unerwartet in der Aufstiegsrunde.
Jetzt sollte es endlich klappen. Die Konkurrenten? Klar, die sofort wieder abgestiegenen Remscheider, sicher auch der stets ambitionierte Wuppertaler SV. Aber doch sicher nicht der kleine Nachbar aus Hamborn. Zwar waren die Löwen in der Vorsaison Vierter geworden, doch neben dem Abgang von Trainer Dieter Münnich nach vier erfolgreichen Jahren galt es auch die Verluste einiger Leistungsträger zu kompensieren. Mit Karlheinz Höfer, genannt „Ali“, zuvor Co-Trainer bei Zweitliga-Zwangsabsteiger Rot-Weiß Oberhausen, stand ein neuer und weitgehend unbekannter Mann an der Seitenlinie.
Der Auftakt war trotz eines Sieges wenig verheißungsvoll. 1:0 hieß es im Holtkamp gegen Höfers Ex-Klub RWO, dem erst in der Woche zuvor endgültig die Zweitliga-Lizenz entzogen worden war. Nun lief nur noch die vormalige Bezirksliga-Truppe auf, verstärkt durch Kees Bregman, einst als „der verrückte Holländer“ beim MSV bekannt, und den ebenfalls schon ergrauten Trainer Hans-Werner Moors. Spielerisch war das alles sehr dürftig bei den Löwen, die anschließend zweimal remis spielten, was die Laune nicht sonderlich hob. Es schloss sich auch noch das unerfreuliche Intermezzo im DFB-Pokal an, wo die Auslosung die Reise zum baden-württembergischen Oberligisten SSV Reutlingen beschert hatte. Durch ein 1:2 schied Hamborn aus, dazu wurde berichtet, dass Trainer Höfer seinem Neuzugang Frank Ronden nach dessen roter Karte mit Wucht in den Hintern getreten habe.
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Was dann kam, überraschte rund um die Westerwaldstraße sicher viele. 1:0 gegen die Amateure des 1. FC Köln, 1:0 bei Schwarz-Weiß Essen, 1:0 gegen den Bonner SC, 1:0 beim SC Brück. Dann sogar ein 3:1 gegen den SC Jülich und ein 2:0 beim VfB Langenfeld – und plötzlich war Hamborn ein Spitzenteam. Der Höhepunkt folgte am 18. September 1988. Vor 2500 Menschen im Holtkamp empfing 07 den BVL 08 Remscheid zum Topduell. Die Gäste waren extrem überlegen, scheiterten aber immer wieder an Löwen-Keeper Michael Aubel. Und dann versetzte Peter Bongartz den Anhang mit seinem 1:0-Siegtor in der 87. Minute in schiere Ekstase. „Ali, Ali“, riefen die Fans am Zaun dem anschließend fassungslos vor der Umkleidekabine stehenden Trainer zu, nicht ahnend, dass dieser schon vor dem Spiel seinen Wechsel zu Zweitliga-Schlusslicht Union Solingen vollzogen hatte. Dass er dort krachend scheiterte, nach 13 Partien wieder gehen musste und anschließend im Profifußball nie wieder ein Bein auf den Boden bekam, sei hier nur am Rande erwähnt.
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Die Mannschaft, die ebenfalls nichts davon gewusst hatte, schien sich einmal kurz zu schütteln, gewann die folgende Nachholpartie beim Rheydter SV unter der Anleitung des verletzten Routiniers Michael Brocker mit 4:2. Er bereitete die Löwen dann auch auf das große Spiel vor: das Duell mit dem MSV, der die Tabelle mit knappem Vorsprung anführte. Die Zebras hatten 22:2 Punkte auf dem Konto, die Hamborner wegen eines verlegten Spiels 20:2 Zähler. Allerdings waren die Schwarz-Gelben noch ungeschlagen, der Lokalrivale aus Meiderich nicht. Elf teilweise überdeutlichen Siegen stand eine 1:2-Heimniederlage gegen den Wuppertaler SV gegenüber.
Die Rollen? Klar verteilt. Der MSV warf mit Ewald Lienen, Michael Tönnies, Uwe Kober oder Heribert Macherey geballte Erfahrung ins Rennen, dazu kam der spätere Europameister Thomas Strunz. Auf Hamborner Seite personelle Sorgen: Ausgerechnet Abwehrrecke und Kapitän Detlef Bertram musste kurz vor dem Anpfiff verletzt passen. Michael Sloma, vor der Saison aus Katernberg gekommen, ersetzte ihn. Bertram nahm zusammen mit Michael Brocker und Peter Bongartz die Mannschaftsaufstellung vor, der erst kurz vor dem Spiel verpflichtete neue Trainer fuhr direkt von Zuhause ins Stadion: Klaus Rach, der langjährige Kapitän, der vor der Saison als Spielertrainer zum A-Ligisten DJK Schmidthorst gewechselt war.
15.000 Zuschauerinnen und Zuschauer beim Lokalderby. Das hatte es noch nicht einmal in den beiden vorherigen Spielzeiten gegeben. Die Tabellensituation elektrisierte das Publikum. Der WDR kam mit seinen Kameras, berichtete abends bei „Sport im Westen“. Das Spiel sollte zumindest von der Dramaturgie her nicht enttäuschen. Der MSV bot Einbahnstraßenfußball, schnürte die gehemmt wirkenden Hamborner in der eigenen Hälfte ein. Riesenaufregung dann bei einem Schuss von Uwe Kober, den Ingmar Putz auf der Linie klärte – mit dem Kopf, wie Schiedsrichter Jürgen Jansen richtig erkannte.
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Auch bei der nächsten strittigen Situation lag der Unparteiische aus Essen richtig. Bei Hamborns erstem gefährlichem Angriff überhaupt passte Ingmar Putz auf Andreas Schüttemeyer, der trotz wutentbrannter Proteste erkennbar nicht im Abseits stand und zwei Minuten vor der Pause zum komplett unverdienten 1:0 traf. Dann die Wende: Sekunden waren noch zu spielen, als sich Ewald Lienen und Hamborns Frank Golomb abseits des Ballgeschehens ins Gehege kamen. Eine Tätlichkeit hatte außer Schiedsrichter Jansen niemand gesehen, der dem Mittelfeldmotor der Löwen die rote Karte zeigte.
Nach Wiederbeginn waren drei Minuten gespielt, als Michael Tönnies zum Ausgleich traf. Es folgte ein einziger Sturmlauf, bei dem die Hamborner durchweg das Glück auf ihrer Seite hatten – bis zur Nachspielzeit, in der dann Michael Struckmann doch noch zum Sieg für den MSV einköpfte. Das Ende des Hamborner Traums, den großen Nachbarn ärgern zu können, war gekommen. Das galt nicht nur für dieses Spiel, sondern auch für den Rest der Saison, in dem die Wege weit auseinander gingen. Hamborn legte nun eine beispiellose Negativserie hin (abgesehen von einem Sieg gegen die weiter überforderten Oberhausener) und geriet fast noch in Abstiegsgefahr, ehe im Endspurt die Rettung gelang, während der MSV mehr oder weniger souverän seine Kreise zog und am Ende auch in der Aufstiegsrunde nicht zu stoppen war. Ligaspiele zwischen Zebras und Löwen hat es seitdem, was die ersten Mannschaften angeht, nie wieder gegeben.
Die Statistik
Hamborn: Aubel – Grunert – Skaletz, Ronden – Putz, Sloma, Golomb, Bongartz, Schüttemeyer (73. Blakeman) – Reichert (89. Obliers), Schneider.
MSV: Macherey – Notthoff – Puszamszies, Jörg Kessen, Semlits – Strunz (89. Canini), Rohr, Kober, Ralf Kessen (68. Struckmann) – Tönnies, Lienen.
Tore: 1:0 Schüttemeyer (43.), 1:1 Tönnies (48.), 1:2 Struckmann (90.).
Zuschauer: 15.000.
Schiedsrichter: Jansen (Essen).
Rote Karte: Golomb (44.).