Wesel. Auch in der Altersklasse der 15- und 16-Jährigen kickt Julie Terlinden beim PSV Lackhausen zusammen mit den Jungs. Die EM ist ihr Ziel.
Ihr Leben ist derzeit ganz schön aufwendig. Dabei spielt Julie Terlinden doch einfach nur Fußball. Aber weil die 15-jährige junge Dame aus Wesel-Lackhausen neben dem Besuch einer Ganztagsschule das so unglaublich gut macht und so unfassbar viel Talent in ihr steckt, ist der Zeitaufwand für ihr großes Hobby in den vergangenen zwei, drei Jahren gewaltig in die Höhe geschnellt. Schließlich kickt und trainiert sie ja nicht nur beim PSV, ihrem Klub in der Nachbarschaft, sondern fährt zu Sichtungen, Nominierungen, Lehrgängen sowie Länderspielen im Dress des Deutschen Fußball-Bundes. Und macht sich aktuell Hoffnung auf eine Teilnahme an der U-17-Europameisterschaft in Schweden im Sommer des nächsten Jahres. „Derzeit bin ich beim DFB Nationalspielerin auf Abruf”, sagt sie. „Ich wäre natürlich gern EM-Teilnehmer, aber man wünscht einer Mitspielerin bestimmt nicht, dass sie sich verletzt.”
In der Sportschule Wedau aufgefallen
Seit eineinhalb Jahren ist sie nun im Fokus des Verbandes. Ein Spiel um den Länderpokal in der Sportschule Wedau gab dabei den Ausschlag, in dem sie für die Niederrhein-Auswahl mit herausragenden Leistungen auf sich aufmerksam machen konnte. Seither war sie bei vielen Maßnahmen dabei, reiste unter anderem nach Österreich und nach Irland, besuchte die Performance Days auf dem DFB-Campus und war auch beim nächsten Lehrgang in Nordhorn mit Länderspielen gegen die Niederlande und die USA wieder mit dabei. „Das waren richtig coole Erfahrungen” sagt sie. „In Irland hatten wir zwischendurch auch mal Zeit, etwas von der Stadt Dublin zu sehen”, erzählt Terlinden. „Das hat richtig viel Spaß gemacht.” Ein Tor hat sie bislang noch nicht erzielt. „Aber ich spiele ja auch in der Defensive.”
Das war damals noch in der C-Jugend, mittlerweile aber kickt sie beim heimischen PSV bereits in der B-Jugend – und das noch immer gemeinsam mit lauter Jungs ihres Alters. Als Nationalspielerin auf Abruf mischt sie die Grenzlandliga auf und hilft dabei tatkräftig mit, am Ende der Saison möglicherweise in die Niederrheinliga aufzusteigen. Das zumindest ist das Ziel der Mannschaft und deren Trainer. Swen Coralic jedenfalls ist restlos überzeugt von seiner Spielerin. „Was sie in einem Spiel abbrennt, ist der Wahnsinn. Wenn die Jungs in ihrer Mannschaft von ihrem Können und ihrer Einstellung etwas hätten, würden wir Bundesliga spielen”, sagt der Coach. „Und ohne sie würde mein Stuhl hier wackeln.”
Bei den Jungs mitzuspielen, die mit 15, 16 Jahren eine deutlich robustere Körperlichkeit mitbringen, macht ihr dabei gar nichts aus. Sie begreift die körperlichen Nachteile als Herausforderung. „Ich muss halt besser antizipieren und mit Kopf und Taktik an die Dinge herangehen”, sagt die Defensiv-Spezialistin. „Dann ist das absolut möglich, da mitzuhalten.” Und wenn sie einen Gegenspieler mal tunnelt? „Kein Problem”, sagt sie. „Damit kommen die schon klar.”
Trainer spricht von Vorbildfunktion
Coach Coralic sieht noch viel mehr in seiner Spielerin. Er beginnt mit dem Unspektakulären und erzählt von ihrer Disziplin, ihrer Fokussiertheit und ihrer Zweikampfstärke. Dann aber erzählt er von der Fähigkeit, die Spieler im Team mitzureißen mit ihren Leader-Qualitäten. „Sie ist wortgewandt, kommuniziert viel auf und auch neben dem Platz und gibt die Richtung vor”, sagt er. „Julie hat eine Aura, die sie zum Vorbild für alle anderen macht.”
Ihr Vater Ronny, einst selbst ein mehr als respektabler Kicker, unterstützt gemeinsam mit seiner Ehefrau Jenny die Karriere. Und das ohne Vorbehalte. „Das macht man doch gern, wenn man spürt, dass das Kind etwas gefunden hat, wofür das Herz brennt.” Und die Mama erzählt noch einmal die abenteuerliche Geschichte, als sie sich gemeinsam mit ihrem Ehemann auf den Weg nach Budapest machte, um dort bei Julie Terlindens Nationalelf-Debüt in der U 15 des Deutschen Fußball-Bundes live vor Ort sein zu können. „Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Spiel sehen zu können”, sagt sie. „Rückblickend darf ich nicht darüber nachdenken, wie teuer das letztlich war.” Aber es sei Mühe und Aufwand wert gewesen. „Das hat Spaß gemacht und war für uns ein unvergessliches Erlebnis.”
Alltag fordert viel Mühen und hohen Einsatz
Natürlich wünschen sich die Eltern, dass diesem Auftritt noch viele weitere folgen. Dennoch steht davor erst einmal der Alltag mit vielen Mühen und hohem Einsatz, um Julie nach Kräften zu unterstützen. Immerhin: Die Einheiten in Wesel kann sie mit dem Fahrrad erreichen, wenn es nicht gerade Hunde und Katzen regnet. Zum Bundesliga-Training nach Essen zur SGS allerdings fährt sie zumeist die Mama, oft aber auch gemeinsam mit ihrem Mann, den sie dann mit Lunchpaket vom Job abholt.
Erfolgsserie auf dem Prüfstand
Mit den B-Junioren des PSV Lackhausen überwintert Julie Terlinden auf dem vierten Platz in der Grenzlandliga. Nach einem eher holprigen Start hat das Team zuletzt jede Menge Boden gutgemacht. Nach dem fünften Spieltag nahmen die Weseler mit gerade mal vier Zählern nur den neunten Rang ein. Doch es folgten ein Remis und anschließend fünf Erfolgserlebnisse in Folge. Die Winterpause endet für die Lackhausener mit einer höchst anspruchsvollen Aufgabe: Am 4. Februar gastiert der PSV Lackhausen beim Spitzenreiter SV Straelen.
Und wenn es nach Duisburg und die Sportschule Wedau oder nach Frankfurt zu den DFB-Maßnahmen geht, ist zumindest ein Elternteil dabei. „Uns alle hat das Fußballfieber gepackt”, sagt die Mama. „Und wenn ich sehe, wie die Augen meiner Tochter glänzen, ist das die höchste Belohnung.” Tochter Julie ist dankbar dafür: „Meine Eltern haben mir das alles erst ermöglicht.” Einzige Voraussetzung: Die Schule darf nicht darunter leiden. „Und das tut sie nicht”, sagt Julie Terlinden.
Insofern kann sie auch weiterhin ihrer Vorgängerin Linda Dallmann nacheifern, die einst ebenfalls beim PSV Lackhausen groß wurde, ihre Profikarriere auch in Essen startete, seit 2019 für den großen FC Bayern München spielt und es bereits auf 59 Länderspiele für Deutschland gebracht hat. Julie Terlindens eigentliches Vorbild aber ist Fußball-Ruheständler Philipp Lahm. „Wie er als Außenverteidiger das Spiel beeinflussen konnte war beeindruckend”, sagt sie, die darüber hinaus dem BVB aus Dortmund die Daumen drückt und schon häufiger selbst auf der legendären Südtribüne stand.
Ambitionierter Erstligist eine Stunde entfernt
Ihr Zimmer aber, das sei mittlerweile nicht mehr mit den Stars ihrer Kindheit gepflastert. Nicht ausgeschlossen, dass eines Tages andere junge, kickende Mädchen sich Julie Terlindens Konterfei ins Zimmer hängen. „Ich möchte gern mit dem Fußballspielen weitermachen”, sagt sie, und äußert dabei ihren größten Weihnachtswunsch, wobei sie weiß, dass der nächstgelegene ambitioniertere Erstligist in Essen rund eine Autostunde entfernt ist. „Wir werden sehen, ob wir Lösungen finden, diesen Aufwand zu bewältigen.”