Moers. Moerser Physiotherapeut Jörn Becker und sein Athletiktrainier Vahid Sarlak fliegen Freitag für Tadschikistan zu den Olympischen Spielen in Tokio.
Die Olympischen Spiele waren und sind immer auch ein Anlass für außergewöhnliche Geschichten. Jörn Becker schreibt genau eine solche, wenn er am kommenden Freitag in Frankfurt mit dem Flieger nach Tokio abhebt. Der 48-jährige Moerser Heilpraktiker, der sich unter anderem auch um die Gesundheit der Volleyball-Zweitligaspieler des MSC kümmert, wird dann für acht Tage tatkräftig den Sommerspielen in Japans Hauptstadt beiwohnen – und dies als Physiotherapeut des rund 15-köpfigen Aufgebots von Tadschikistan.
Flucht aus dem Iran im Jahr 2009
Wie kommt man bloß an einen Job in der nördlichen, gut neun Millionen Einwohner starken Nachbarrepublik von Afghanistan? „Zuerst über gute Arbeit“, sagt Becker schmunzelnd, der in Moers vor einigen Jahren das Gesundheitszentrum Becker Plus nahe dem Solimare aufgebaut hat und mittlerweile 30 Mitarbeiter beschäftigt. Der Weg zu Olympia über die ehemalige Sowjetrepublik Tadschikistan ist freilich ein wenig komplizierter.
Ausgangspunkt ist Vahid Sarlak. Der ehemalige Judoka aus dem Iran floh bei einem Wettkampf in Rotterdam vor neun Jahren aus politischen Gründen. „Vahid durfte auf der Matte nicht gegen Israelis kämpfen. Drohte beim Wettkampf genau dieses Treffen, sollte er den Kampf vorher absichtlich verlieren. Das wollte er nicht länger mitmachen“, schildert Jörn Becker.
Den Iraner Sarlak verschlug es damals zum Bundesligisten 1. JC Mönchengladbach, wo Ex-Judoka Becker als Physiotherapeut beschäftigt war. Als die Aufenthaltsgenehmigung für Sarlak in Deutschland auszulaufen drohte, bot Becker ihm einen Job als Athletiktrainer in seinem Zentrum an. Sarlak durfte im Land bleiben, besitzt mittlerweile auch einen deutschen Pass.
Trainer der Judo-Auswahl von Tadschikistan
Aktuell ist Vahid Sarlak Trainer der Judo-Auswahl von Tadschikistan. Im Land wird, wie in seiner einstigen Heimat Iran, vor allem Persisch gesprochen. „Vahid dolmetscht da natürlich für mich“, hebt Jörn Becker hervor. Der fand nun auch den Weg als Physiotherapeut in die komplette tadschikische Delegation, die sich mit immerhin drei Judoka-Kämpfern bei Olympia in Tokio eine gute Medaillenchance ausrechnet.
Acht Tage wird Jörn Becker in Japan sein. Die Corona-Auflagen verlangen einiges ab: eine Doppel-Impfung, zwei PCR-Tests vor dem Abflug, einen direkt nach der Landung, einen vor dem ersten Wettkampf. Dazu darf Becker das Olympische Dorf nur zu den Wettkämpfen verlassen. Zudem werden alle Beteiligten im Dorf über eine App auf dem Smartphone kontrolliert.
Olympische Spiele: Lange Liste an Corona-Auflagen
„Da mussten und müssen wir eintragen, wo wir uns in den vergangenen Monaten im Ausland aufgehalten haben, wie der allgemeine Gesundheitszustand ist, ob wir mit Corona-Erkrankten zusammen waren. Dazu wird über 14 Tage ein Protokoll über die eigene Körpertemperatur verlangt. Zudem kann die App verfolgen, mit wem ich mich wo unterhalten habe in Tokio“, zählt Jörn Becker die Liste von Einschränkungen auf. Olympia wird so zur voll überwachten Blase für Sportler, Trainer und Betreuer.
Jörn Becker bleibt gelassen. Viermal schon war er in Japan, zuletzt 2019 zur Judo-WM. Er kennt in Tokio die touristischen Höhepunkte wie die riesige Shibuya-Kreuzung, den Kaiserpalast oder U-Bahn-Fahren in Stoßzeiten. Der Reiz des olympischen Augenblicks, nah dran an den Athleten zu sein, das macht die Strapaze letztlich so reizvoll und einzigartig.
Jörn Becker war auch schon im Tennis, Fußball und Handball aktiv
Profisport ist für Becker, der in seinem Gesundheitszentrum bis zu 60-Wochen-Stunden absolviert, seit langem schon immer auch eine Triebfeder. „Die Extrameile“, wie Becker seine arbeitsintensive Engagements meist am Wochenende gern nennt, hat ihm ein breites Portfolio an Kontakten geschaffen. Nicht nur über die deutsche Judo-Nationalmannschaft.
Becker war auch bei den Tennis-Bundesligisten Rochusclub Düsseldorf und TC Moers 08 lange im Einsatz, betreute die U17-Fußballer des MSV Duisburg in der B-Junioren-Bundesliga, zwischenzeitlich die Handballer der HSG Vennikel, bei denen einst der aktuelle Bundestrainer Alfred Gislason und der früheren Weltmeister Aleksandar Rymanow (ehemals OSC Rheinhausen) als Spieler auf dem Feld aushalfen.
Nach acht Tagen Olympia nur kurze Arbeitspause
„Natürlich ist die Zusammenarbeit mit Sportprofis sehr reizvoll, weil es immer darum geht, einen Sportler bestmöglich und auf den Punkt fit zu bekommen. Profis sind in meinem Beruf in der Regel aber on top. Zu 90 Prozent kommen Leute in mein Zentrum, die nichts mit Profisport zu tun haben“, betont Jörn Becker.
Acht Tage wird er für Olympia außer Haus sein. Eine Pause gönnt sich der Heilpraktiker und Osteopath im Anschluss an die Spritztour gen Fernost nicht: „Nach der Rückkehr habe ich einen halben Tag frei und fange am Montag dann erst um 12 Uhr an zu arbeiten.“