Am Niederrhein. Der höchste Sieg der Geschichte in der Fußball-Bundesliga nutzte Borussia Mönchengladbach nichts. 1977/78 wurde der 1. FC Köln Deutscher Meister.
Ein knapperes, ein verrückteres Finale als jenes am 29. April 1978 hat es in der Fußball-Bundesliga nicht wieder gegeben. Es fehlte nicht viel, und Borussia Mönchengladbach, die Fohlenelf vom Niederrhein, hätte am 34. Spieltag der Saison 77/78 tatsächlich zehn Treffer auf Spitzenreiter und Meister 1. FC Köln noch aufgeholt. Doch ein 12:0 im Düsseldorfer Rheinstadion gegen desolate Dortmunder Borussen langte dem Team von Trainer Udo Lattek nicht. In Hamburg setzte sich der 1. FC Köln unter dem Gladbacher Kult-Coach Hennes Weisweiler beim Tabellenletzten und Absteiger FC St. Pauli mit 5:0 durch und rettete bei Punktgleichheit genau drei Tore Vorsprung ins Ziel.
Fünf Tore im letzten Spiel für Jupp Heynckes
Die Kölner feierten im Hamburger Regen ihre erste Meisterschaft seit 1963, die Gladbacher blickten trotz einer phänomenalen Vorstellung mit Torrausch bedröppelt in den Sonnenschein über der Landeshauptstadt. „Wir haben alles gegeben. Kurz vor Schluss kam von der Bank immer noch: Wir brauchen drei Tore. Es hörte einfach nicht auf“, erinnert sich der fünfmalige Torschütze Jupp Heynckes, der kürzlich den 75. Geburtstag feierte.
„Vor dem Spiel hatte keiner Illusionen, doch in der Halbzeit bei 6:0 haben wir geglaubt, wir können es schaffen“, erinnert sich Welt- und Europameister Rainer Bonhof, der verletzungsbedingt als einziges Spiel in jener Saison ausgerechnet das letzte gegen den BVB verpasste.
Mit Del’Haye und Kulik aus Aachen
Borussias Feuerwerk ging nach der Pause munter weiter. Viertes Tor Heynckes, zweiter Treffer Carsten Nielsen, zweites Tor des damals 22-jährigen Blondschopfs Karl Del’Haye. Dann wieder Heynckes, der eingewechselte Linksaußen Ewald Lienen zum 11:0. Final traf noch Christian Kulik, der spielfreudige Mittelfeldlenker, wie Del’Haye aus Aachen.
Auch interessant
Doch näher als auf drei Treffer kam Gladbach an Köln nicht heran – weil der Geißbock in Hamburg nach der Pause das 1:0 ausbaute. Beim 5:0 half auch ein gut vorbereiteter Trick. Die Domstädter hatten bei St. Pauli für das letzte Spiel über 15.000 Karten bestellt. Zu viel, um am alten Millerntor mit seinen kaum 20.000 Plätze anzutreten.
Otto Rehhagel als „Torhagel“ und eine Manipulationsfrage
St. Pauli musste ins dreimal so große Volksparkstadion des HSV ausweichen und den Heimvorteil aufgeben. Letztlich war die riesenhafte Arena bei strömendem Regen nicht einmal zur Hälfte gefüllt.
In Düsseldorf bestritt Jupp Heynckes beim 12:0 wegen seiner Verletzungsprobleme das letztes Pflichtspiel seiner Karriere. Fünf Treffer waren ein überragender Ausstand. „Die hat der Jupp mehr hinkend als laufend erzielt, er hatte aber exzellente Vorbereiter“, erinnerte sich einst im Gespräch mit der Redaktion der im Mai 2019 im Alter von 69 Jahren viel zu früh verstorbene Manfred Burgsmüller, damals beim BVB das Schlitzohr vom Dienst.
Auch interessant
In der ewigen Torschützenliste der Fußball-Bundesliga steht der gebürtige Gladbacher Heynckes auf Platz vier (220 Tore in 369 Spielen), der Essener Burgsmüller (213 Tore in 447 Spielen) auf Rang fünf.
Kein Vertrag für Torhüter Peter Endrulat bei Borussia Dortmund
Während BVB-Torhüter Peter Endrulat nach dem 0:12 seinen anvisierten Profivertrag in Dortmund nicht mehr bekam, hatte auf der Gegenseite Wolfgang Kleff einen geruhsamen Nachmittag. „Es hätte schon ein Geschmäckle gehabt, wenn wir mit einem 12:0 am Ende noch Deutscher Meister geworden wären“, empfand Kleff das dreckige Dutzend Tore durchaus nicht nur als einen Rekord für die Ewigkeit.
Natürlich mussten sich die Dortmunder die Frage gefallen lassen, an einer mutmaßlichen Manipulation mitgewirkt zu haben. Trainer Otto Rehhagel verneinte in der ARD-Sportschau entschieden. Seinen Job in Dortmund rettete das freilich nicht. Der von der Bild-Zeitung kreierte Spitzname „Torhagel“ amüsierte beim BVB niemanden.
Bonhof nach Freitag beim HSV verletzt
Nicht nur für Jupp Heynckes, auch für Welt- und Europameister Rainer Bonhof war das 12:0 das finale Spiel im weiß-grünen Borussia-Trikot. Allerdings musste der Welt- und Europameister zusehen, weil er sich am Samstag zuvor beim strahlenden 6:2 beim HSV verletzt hatte. Der großartige Außenristfreistoß zum 1:1 kostete Bonhof den Einsatz beim Rekordmatch.
„Die anschließende Asien-Tour haben Berti Vogts und ich ausgelassen, weil wir ja mit der Nationalmannschaft zur WM nach Argentinien aufgebrochen sind“, erinnert sich Bonhof. Für den anschließend zum CF Valencia wechselnden Freistoßschützen war es im Jahr 1978 der zweite Argentinien-Besuch.
Buenos Aires und Boca Juniors: „Lebend aus der Nummer raus“
Gladbach spielte am 22. März 1978, exakt zwischen den Bundesliga-Partien gegen Eintracht Braunschweig (3:1) und Fortuna Düsseldorf (3:2), im Weltpokal-Finale bei den Boca Juniors in Buenos Aires.
„Als Finalverlierer des Europapokals der Landesmeister haben wir Liverpool vertreten, die aus Termingründen nicht hinfahren konnten. Für uns war das mitten in der Woche mit Hin- und Rückflug ein Megastress. Die zweite Halbzeit auf dem Rasen war dazu Mord und Totschlag. Boca kannte uns nicht und lag zur Pause 1:2 hinten. Dann war nur noch Stechen und Treten angesagt, weil die ja vor heimischen Publikum nicht verlieren wollten“, erinnert sich Rainer Bonhof, der den zweiten Borussia-Treffer erzielt hatte. Am Ende hieß es 2:2. „Und wir sind doch noch irgendwie lebend aus der Nummer rausgekommen“, sagt Bonhof schmunzelnd.
Das war der Titelzweikampf am 29. April 1978 der Saison 77/78
Bor M’gladbach - Bor. Dortmund 12:0 (6:0)
Gladbach: Kleff – Vogts, Wittkamp, Hannes – Wohlers, Kulik, Wimmer, Nielsen – Del’Haye, Heynckes, Simonsen (77. Lienen).
Dortmund: Endrulat – Theis, W. Schneider, Huber, Meyer – Segler, Votava, Wagner, Burgsmüller – Frank, Geyer.
Tore: 1:0 Heynckes (1.), 2:0 Heynckes (12.), 3:0 Nielsen (13.), 4:0 Del’Haye (22.), 5:0 Heynckes (32.), 6:0 Wimmer (38.), 7:0 Heynckes (59.), 8:0 Nielsen (61.), 9:0 Del’Haye (66.), 10:0 Heynckes (77.), 11:0 Lienen (87.), 12:0 Kulik (90.).
Schiedsrichter: Biwersi (Bliesransbach).
Zuschauer: 38.000 (in Düsseldorf).
FC St. Pauli - 1. FC Köln 0:5 (0:1)
Tore: 0:1 Flohe (28.), 0:2 Okudera (60.), 0:3 Flohe (69.), 0:4 Cullmann (83.), 0:5 Okudera (86.).
Schiedsrichter: Walther (Würzburg).
Zuschauer: 25.000 (im Volksparkstadion).
Bundesliga-Abschlusstabelle 77/78 (Tore und Punkte)
1. 1. FC Köln 86:41 48
2. Borussia Mönchengladbach 86:44 48
3. Hertha BSC 59:48 40
4. VfB Stuttgart 58:40 39
5. Fortuna Düsseldorf 49:36 39
6. MSV Duisburg 62:59 37
7. Eintracht Frankfurt 59:52 36
8. 1. FC Kaiserslautern 64:63 36
9. FC Schalke 04 47:52 34
10. Hamburger SV 61:67 34
11. Borussia Dortmund 57:71 33
12. FC Bayern München 62:64 32
13. Eintracht Braunschweig 43:53 32
14. VfL Bochum 49:51 31
15. SV Werder Bremen 48:57 31
16. TSV 1860 München 41:60 22
17. 1. FC Saarbrücken 39:70 22
18. FC St. Pauli 44:86 18
Sechsmal wurde es in der Fußball-Bundesliga zweistellig
Neben Gladbachs 12:0 über Borussia Dortmund vom 29. April 1978 gab es fünf weitere zweistellige Siege in der Bundesliga seit 1963: Gladbach – FC Schalke 04 11:0 (7. Januar 1967), FC Bayern München – Borussia Dortmund 11:1 (27. November 1971), Borussia Dortmund – Arminia Bielefeld 11:1 (6. November 1982), Gladbach – Borussia Neunkirchen 10:0 (4. November 1967) und Gladbach – Eintracht Braunschweig 10:0 (11. Oktober 1984).
Der höchste Auswärtssieg gelang dem MSV Duisburg, der als Meidericher SV am 26. März 1966 im Olympiastadion bei Tasmania 1900 Berlin 9:0 siegte.
Fünfmal entschied in der Bundesliga neben der Saison 77/78 das Torverhältnis über den Titel: 1982/83: HSV vor Bremen (acht Tore Vorsprung), 83/84: Stuttgart vor HSV (7), 85/86: FC Bayern vor Bremen (9), 91/92: Stuttgart vor Dortmund (11), 1999/2000: FC Bayern vor Leverkusen (7).