Duisburg. Der Staatsschutz fand keine Belege für den rassistischen Vorfall beim Abbruchspiel zwischen MSV und Osnabrück. Trotzdem gibt es nur Verlierer.
Vor dem Eingang einer Tankstelle in Duisburg-Huckingen stand am Vormittag des 20. Dezember eine Händlerschürze der Bild-Zeitung. Mit Plakaten dieser Art werben Zeitungen mit einer reißerischen Zeile für den Kauf des Produktes. „Die Schande von Duisburg“ war da zu lesen. Es ging um den Abbruch des Drittliga-Kicks zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück. Schiedsrichter Nicolas Winter hatte im TV-Interview berichtet, dass sein Assistent Fabian Schneider Affenlaute von der Tribüne gegen den Osnabrücker Spieler Aaron Opoku vernommen hatte. Der deutsche Fußball hatte seinen ersten Rassismus-Skandal, der zu einem Spielabbruch führte. Mit dem Abschluss der polizeilichen Ermittlungen ist seit der vergangenen Woche bekannt: Der Staatsschutz fand keinen Beleg für einen rassistischen Vorfall. Beleidigung ja, Rassismus nein.
Der vermeintliche Skandal von Duisburg ging medial sogar um die Welt. Der Guardian in England berichtete, die Washington Post in den USA auch. Bundesweit – außerhalb von Duisburg – zementierte sich innerhalb weniger Stunden die „Schande von Duisburg“.
Dabei waren schon am frühen Abend jenes 19. Dezember Zweifel aufgekommen. Fans, die sich beim Spiel im betreffenden Bereich der Tribüne aufgehalten hatten, meldeten sich in den sozialen Medien und auch bei der Sportredaktion zu Wort. Sie relativierten den Vorfall nicht nur, sie machten deutlich, dass es keine Affenlaute gegeben habe. Dies hatte umgehend Einfluss auf die Berichterstattung der Duisburger Lokalsport-Redaktion. Am Abend aktualisierten wir unseren Artikel mit diesem Aspekt. In der Kommentierung stand die Forderung nach einer umfassenden Aufklärung im Vordergrund. Die Kollegen des lokalen Fernsehsenders Studio 47 ließen im Laufe der Woche Fans zu Wort kommen, die ebenfalls Zweifel am Skandal aufkommen ließen. Ob es tatsächlich einen Rassismus-Skandal gegeben hat, war spätestens am Abend des Spieltages offen. „Vermeintlich“ und „angeblich“ waren fortan die Vokabeln, die in die Berichterstattung einflossen.
Die Pressestelle der Duisburger Polizei erklärte am Folgetag, dass sie in alle Richtungen ermittle. Aufgrund der Schwere der Vorwürfe war der Staatsschutz nun zuständig. Rassismus stand zwar als Verdacht im Raum – Belege gab es zu diesem Zeitpunkt keine. Es sollten auch keine mehr kommen, wie die Polizei nun erklärte.
Die Wende im Duisburger Fall kam nicht überraschend
Somit war schnell deutlich: Ob es tatsächlich an der Wedau einen Rassismus-Vorfall gegeben hat, war schon sehr früh fraglich. Doch außerhalb der Stadt verfestigte sich die „Schande von Duisburg“. Noch am vorletzten Wochenende stellte die ARD-Sportschau den vermeintlichen Rassismus-Skandal als Fakt dar. Nachdem die Polizei in der vergangenen Woche ihre Ermittlungsergebnisse bekannt gegeben hatte, wählten viele überregionale Medien die Formulierung der „überraschenden Wende“. Nein – überraschend waren die Erkenntnisse der Polizei für Menschen in dieser Stadt, die sich intensiv mit dem Fall befasst hatten, nicht. Der Guardian und die Washington Post sind vermutlich zu weit weg, um die neue Entwicklung zu registrieren. Somit bitter für Duisburg: Es bleibt etwas hängen.
Eine erforderliche Einordnung der Dinge gab es auch beim Verband sowie beim MSV Duisburg und beim VfL Osnabrück nicht. Als der Deutsche Fußball-Bund am 23. Dezember bekannt gab, dass es zu einem Wiederholungsspiel kommen werde, stellte der DFB den Rassismus-Verdacht als Fakt dar. „Grund für den Abbruch in der 35. Minute war, dass VfL-Spieler Aaron Opoku von der Tribüne aus erheblich rassistisch beleidigt wurde“, hieß es in der Mitteilung aus Frankfurt. Ein Verweis auf laufende Ermittlungen? Fehlanzeige. Versuchte der Verband auf diese Weise die Reputation des Schiedsrichters und dessen Assistenten zu retten? Eine Reaktion des DFB auf die jüngsten polizeilichen Erkenntnisse gab es bislang nicht.
Der Schiedsrichter, der nicht vom Drei-Stufen-Plan, der bei Fällen von Rassismus und Diskriminierung zum Einsatz kommen soll, Gebrauch machte, erlag vor dem Hintergrund der nun vorliegenden Ermittlungsergebnisse offenbar einer Fehleinschätzung. Dass der MSV in den Minuten nach dem vermeintlichen Vorfall sehr pointiert, sehr emotional auftrat und seine Betroffenheit entsprechend deutlich kommunizierte, ist unter dem Eindruck der Dynamik der Ereignisse verständlich und nachvollziehbar.
Heftige Reaktionen auf Statement des MSV Duisburg
Aber der Verein versäumte es in der Folgezeit, ein Signal an die eigenen Fans auszusenden. Der Graben zwischen Klub- und Geschäftsführung und der Anhängerschaft war im Zuge der sportlichen Talfahrt in den Monaten zuvor ohnehin schon immer tiefer geworden. Auch der MSV stellte im Nachklang die vermeintlich rassistische Beleidigung mehrfach als Fakt dar – so auch in einer gemeinsamen Erklärung mit dem VfL Osnabrück, und auch ohne Verweis auf laufende Ermittlungen. Nach eigenen Angaben stand der MSV in Kontakt zum Beschuldigten und stufte seine Äußerungen zumindest als nicht unglaubwürdig ein. Hätte der Verein sich allein deshalb nicht differenzierter äußern müssen?
Die Ergebnisse der Untersuchungen erreichten die MSV-Führung in der vergangenen Woche aus heiterem Himmel. Die Erleichterung darüber, dass es offenbar keinen rassistischen Vorfall gab, ist groß. Die kritischen bis heftigen Reaktionen zahlreicher Fans auf das am Mittwochabend veröffentliche Statement von MSV-Präsident Ingo Wald machen jedoch deutlich: Der Schaden ist immens – auch ohne Rassismus-Eklat.