Bochum. Marc Lettau, Sportdirektor beim VfL Bochum, verrät, wie die Spielersuche funktioniert und was vor einer Verpflichtung passieren muss.
Marc Lettau sitzt in der obersten Etage der Geschäftsstelle des VfL Bochum und holt sein Handy raus. Wann er das letzte Fußballspiel privat gesehen habe? Gar nicht so einfach, er muss nachgucken. Zu viele Fußballspiele hat er in diesem Jahr bereits gesehen. Meist beruflich. Aber in seiner App wird er dann fündig: Deutschland gegen die Türkei in Berlin. Dabei ist Fußball gucken ein Teil von Lettaus Job. Im ersten Teil unseres Interviews spricht er darüber, wie er als Sportdirektor an der Castroper Straße arbeitet und wie Spielertransfers zustande kommen.
Gibt es einen Tag, an dem Sie nicht Fußball gucken?
Lettau: Den gibt es eher selten. Wenn möglich bin ich zusätzlich zum Spiel unserer Mannschaft am Wochenende ein weiteres Mal live im Stadion – meist bei Spielen, die für unsere Kaderplanung von Interesse sind. Ich versuche auch möglichst häufig die Spiele unserer U17 und U19 zu verfolgen. Ansonsten sind die Tage um unsere Spiele herum mit viel Bundesliga und 2. Bundesliga schauen verbunden. Das ist häufig ein Einzelspiel, gerne aber auch mal die Konferenz. Es gibt bei mir tatsächlich wenig Zeit ohne Fußball.
VfL-Sportdirektor Marc Lettau: „Fußball immer im Blick“
Übertragen wird inzwischen alles, vermehrt auch Frauenfußball oder Nachwuchsfußball. Worauf liegt bei Ihnen der Fokus?
Der Fokus liegt allein schon beruflich bedingt auf dem professionellen Herrenfußball und primär auf den ersten beiden deutschen Profiligen. Unter der Woche schaue ich natürlich auch intensiv die verschiedenen UEFA-Wettbewerbe und verfolge mit großem Interesse die Premier League, wobei ich da für mich sondieren muss, was für den Beruf eine Relevanz besitzt, um möglichst auch die Zeit sinnvoll für den VfL Bochum zu nutzen. Ich schaue mir eher Spiele an, die für uns von Interesse sein können.
Welche Ligen haben Sie international im Blick?
Wir haben sowohl national als auch international für uns verschiedene Kern-, Trend- und Randmärkte definiert. Als internationale Kernmärkte gelten beispielsweise die belgische „Jupiter Pro League“ oder auch die dänische „Superliga“. Insgesamt zählen international mittlerweile elf Ligen zu unseren Märkten, die wir strukturiert sichten. Darüber hinaus beschäftigen wir uns intensiv mit den Top-Talenten aus den Jahrgängen U17 bis U21 – sowohl national als auch international.
Wie genau sieht beim VfL Bochum der Scoutingprozess aus?
Im Scouting haben wir uns insbesondere in diesem Jahr extrem entwickelt und verbessert. Meiner Erfahrung nach kann man hier den Unterschied auch zu finanzkräftigeren Clubs aus dem In- und Ausland machen, weshalb ich die personellen Voraussetzungen erweitert und die Struktur innerhalb der Abteilung optimiert habe. Mittlerweile ist unser Scoutingprozess im positiven Sinne sehr komplex. Er beginnt mit der quantitativen Sichtung unserer Kernmärkte noch während der Sommertransferperiode, in der wir nach einem Vier-Augen-Prinzip möglichst jede Mannschaft mindestens zweimal gesichtet haben. Dies geschieht sowohl live als auch per Video und wir versuchen unsere personellen Ressourcen höchst effizient einzusetzen. Es werden Kurzberichte zu jedem Spieler angefertigt und die relevanten Spieler – unsere Zielspieler – einer Scoutingliste zugeführt. Weiterhin werden zum Ende dieser Periode datenbasierte Marktscreenings durchgeführt, damit auch wirklich kein Spieler durchs Netz fällt. In der Folge werden die Zielspieler umfassend in einem ausführlichen Text und anhand eines vereinseigenen Rankings bewertet. Wir sprechen hier von der qualitativen Sichtung, was die Grundlage für die abschließende Bewertung unserer Scouts zu einem Spieler ist.
Klar ist aber auch, dass der Sichtungsprozess nicht immer nach „Schema-F“ abläuft und es immer Marktentwicklungen gibt, die Flexibilität erfordern. Weiterhin gehen wir selbstverständlich auch auf Beraterempfehlungen ein. Diese sogenannten Impulssichtungen gehören zur täglichen Arbeit unserer Scouts dazu.
Unsere Scouts sind aufgefordert, zu gesichteten Spielern klare Aussagen zu treffen und Empfehlungen zu äußern. Sofern ein Spieler nach Einschätzung unserer Scouts verpflichtet werden sollte, übernehme ich und treffe eine abschließende Entscheidung auf sportlicher Ebene. Ich habe dabei selbst den Anspruch an mich, dass ich einen Spieler vor dieser Entscheidung mindestens einmal selbst live gesehen haben.
Mehr zum VfL Bochum
- Goncalo Paciencia, der Mann mit dem Torriecher
- So profitiert der VfL Bochum vom neuen Vonovia-Deal
- Dem VfL Bochum gehen die Verteidiger aus
Wie ist auf diesem Weg der Austausch mit dem Trainer?
Wir sind mit dem Trainer im ständigen Austausch, wissen grundsätzlich auch beidseitig, welche Spielerprofile und Spielertypen auf den einzelnen Positionen innerhalb unserer Spielausrichtung gefordert sind und welche Attribute wichtig sein werden. Wir werden zum Beispiel zukünftig keinen Spieler verpflichten, der in der Intensität bei der Arbeit gegen den Ball nicht auf Top-Niveau performt oder sich in unserer Einschätzung dorthin entwickeln kann. Es ist ein fortlaufender Prozess.
Wie groß ist der Spieler-Pool, aus dem Sie fischen?
Unsere Scouts führen zur Stärkung unserer proaktiven Handlungsfähigkeit Schattenteams, in denen sie nach einer festgelegten Kategorisierung ihre Sichtungsergebnisse festhalten. Diese Schattenteams bestehen nicht aus elf Positionen, sondern aus 17. Das hängt zum Beispiel damit zusammen, dass wir auf der Position des Außenverteidigers vom Profil her zwischen einem „Fullback“ oder „Wingback“ unterscheiden. Die Größe des Spielerpools ist dabei nicht genau zu beziffern, doch aus den verschiedenen Ligen kommen schon allerhand Spieler zusammen.
„Wenn wir einen Spieler in Bochum zum Gespräch haben, ist die Quote sehr gut“
Es gibt Klubs, die verpflichten Spieler nur aufgrund von speziellen Daten. Wie datenbasiert verpflichtet der VfL Bochum Spieler?
Wir verfügen über einen externen Datenanbieter, der uns anhand von Performance und physischen Daten Sichtungsergebnisse aus unseren relevanten Märkten zur Verfügung stellt. Auch gezielt anhand unserer Positionsprofile. Diese Ergebnisse fließen in unsere Zielspielersichtung ein.
Wie geht es weiter im Prozess einer Verpflichtung?
Sobald wir auf sportlicher Ebene die Entscheidung getroffen haben, dass ein Spieler von Interesse ist, laden wir den Spieler zu einem persönlichen Gespräch nach Bochum ein, um uns kennenzulernen und ihn von der sportlichen Perspektive beim VfL zu überzeugen. Im weiteren Prozess findet ein reger Austausch mit dem Spieler und seinem Berater statt. Mit letzterem führen wir die Vertragsgespräche.
Wie ist die Erfolgsquote des VfL Bochum bei Anfragen und tatsächlichen Verpflichtungen?
Das kann ich prozentual nicht beziffern. Dafür führe ich zu viele Gespräche, auch zur Sondierung. Ich glaube, wenn wir einen Spieler zum Gespräch in Bochum haben, ist die Quote sehr gut.
Wie lange hat es gedauert, Bernardo zu überzeugen?
Bernardo verfolgen wir schon seit längerem und wir hatten unser Interesse schon frühzeitig hinterlegt. Es sah lange danach aus, als wäre die Verpflichtung nicht zu realisieren. Als sich dann die Möglichkeit bot, ging es auch phänomenal schnell und wir haben für den VfL nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich eine hervorragende Lösung gefunden und wirklich einen tollen Spieler und großartigen Charakter verpflichtet.
Wann setzt der Trainer beim Scoutingprozess konkret mit an?
Sobald ich der Auffassung bin, dass ein Spieler von Interesse ist und wir eine Verpflichtung konkret thematisieren sollten, hole ich den Trainer mit ins Boot und wir diskutieren die jeweilige Personalie.
Wie viel Macht hat Thomas Letsch beim VfL Bochum?
Es geht weniger um Macht, eher um die einzelnen Kompetenzen. Das Profil des Cheftrainers ist dabei konkret definiert und er ist vornehmlich für die tägliche Arbeit rund um das Team zuständig und verantwortet die Aufstellung am Wochenende. Übergeordnete Themen wie z. B. auch die Kaderplanung liegen in der Verantwortung von mir in Abstimmung mit Patrick Fabian. Wir pflegen eine sehr produktive Diskussionskultur und kommen häufig aus dem gemeinsamen Dialog heraus zum Ergebnis.
Die Verlängerung der Verträge von Philipp Hofmann oder Erhan Masovic und Cristian Gamboa war dann auch ein Gemeinschaftswerk?
Das war die Entscheidung der sportlichen Leitung. Unser Cheftrainer ist in den Entscheidungsprozess zu jederzeit involviert gewesen und trägt diese Entscheidung natürlich ebenso mit.
Wie viel Berater steckt hinter dem Spielerinteresse?
Wir thematisieren unser Bestreben, einen Vertrag verlängern zu wollen, zunächst mit dem Spieler. Im Anschluss wird dieses Vorhaben mit seinem Berater besprochen und neben der sportlichen Perspektive werden insbesondere auch die vertraglichen Details geklärt. Einzig bei Kevin Stöger sprechen wir mit dem Spieler selbst, da er sich nicht vertreten lässt und seine Angelegenheiten selbst regelt. Bei den weiteren Spielern erfolgt der Prozess über Dritte. Das ist Teil des Fußballbusiness.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie das Netzwerk hatten, das Sie jetzt haben?
Das dauert Jahre und ist ein fortlaufender Prozess. Ich arbeite mittlerweile fast zwölf Jahre hauptberuflich im Profifußball. Durch den regelmäßigen Austausch mit den Verantwortlichen der Vereine, aber auch Beratern wächst dieses Netzwerk automatisch. Es kommt aber natürlich immer mal wieder vor, dass ich von Beratern kontaktiert werde, mit denen man bislang noch nicht im Austausch stand.
Wurden Sie bei Union Berlin häufiger von Beratern kontaktiert als beim VfL Bochum?
Nachdem sich Union erstmalig für den internationalen Wettbewerb qualifiziert hatte, klingelte das Telefon deutlich häufiger. Union wurde ganz anders wahrgenommen und mit der Perspektive, in der Conference League, Europa League oder zuletzt Champions League spielen zu können, wurde der Verein auch spieler- und beraterseitig ganz anders wahrgenommen.
Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews mit Marc Lettau