Gelsenkirchen. Kenan Karaman ist die Lebensversicherung von Schalke 04. Im Interview spricht er über seinen Werdegang, das Düsseldorf-Spiel, seine Zukunft.

Sportlich ist viel über Kenan Karaman bekannt - dass er gerade zu den wichtigsten Spielern des FC Schalke 04 in der Zweiten Liga gehört, dass er seinen Bergmannsjubel speziell für S04 entwickelt hat, dass er heute auf seinen Ex-Klub Fortuna Düsseldorf trifft (20.30 Uhr/Sport1 und Sky). Doch wie tickt Karaman eigentlich privat? Als diese Zeitung Karaman erzählt, dass wir es im Exklusiv-Interview herausfinden wollen, ist er einverstanden. Er hat Zeit mitgebracht.

Die Chaos-Saison auf Schalke ist fast vorbei. Was haben Sie in den vergangenen Monaten über sich gelernt?

Kenan Karaman: Ich bin jetzt 30 Jahre alt und viele Abläufe im Profifußball sind für mich inzwischen selbstverständlich. Konkret habe ich gelernt, noch besser auf meinen Körper zu hören. Aber auch auf dem Platz habe ich mich verändert.

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Inwiefern?

Mein Gefühl für einzelne Situationen, mein Gefühl für Räume, meine Entscheidungsfindung haben sich verbessert – wahrscheinlich dank meiner Erfahrung und dem Selbstvertrauen. Gestärkt hat mich auch mein privates Umfeld. Ich bin inzwischen Vater, trage noch mehr Verantwortung und habe eine andere Sicht auf viele Dinge bekommen. Diese Erkenntnisse helfen mir, entspannter in meinem Beruf zu sein.

Auch in Interviews machen Sie trotz der Unruhe auf Schalke einen ruhigen und ausgeglichenen Eindruck.

Außerhalb des Platzes bin ich ein ruhiger und entspannter Typ. Auch in der Kabine oder auf dem Platz bin ich niemand, der ständig laut ist, aber in gewissen Situationen ergreife ich das Wort. Wenn ich etwas sage, wird mir zugehört und meine Meinung ernst genommen – das ist mir viel wichtiger, als jeden Tag laut zu sein. Mein Wort hat Gewicht in der Mannschaft, diesen Status habe ich mir erarbeitet.

Schalke-Torjäger Kenan Karaman (r.) im Gespräch mit den Reportern Robin Haack (Mitte) und Andreas Ernst (l.).
Schalke-Torjäger Kenan Karaman (r.) im Gespräch mit den Reportern Robin Haack (Mitte) und Andreas Ernst (l.). © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Wie meinen Sie das?

In einer Profi-Kabine musst du Leistung bringen, bevor du richtig wahrgenommen wirst. Spieler, die nur reden, aber nicht liefern, werden in einer Mannschaft nicht ernst genommen. Wenn aber ein erfahrener Leistungsträger in den richtigen Momenten den Mund aufmacht, hört jeder zu.

Sie selbst haben vor der Saison angekündigt, in der Mannschaft vorangehen zu wollen – und liefern mit derzeit zehn Toren und neun Vorlagen ab wie kein anderer Schalke-Profi.

Diese Führungsrolle ist neu für mich, aber ich habe Spaß daran. Ich kann meine Erfahrung einbringen und den Jungs helfen – durch viele Gespräche in der Kabine oder auf dem Feld. Ich will ein Vorbild für meine Mitspieler sein.

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Was lässt Sie laut werden?

Ich hasse es, zu verlieren. Laut werde ich auch, wenn uns einfache Fehler passieren – das mussten die Jungs in dieser Saison schon mehrfach feststellen. Wichtig ist mir zudem Ernsthaftigkeit. Wenn Spieler im Training nicht bei der Sache sind, weise ich sie schon mal zurecht.

Was treibt Sie an, motiviert Sie jeden Tag?

Meine Leidenschaft für den Fußball. Dass ich es tatsächlich zum Profi geschafft habe und schon so viele großartige Erfahrungen machen durfte, weiß ich sehr zu schätzen. Um mir meinen Profi-Traum zu erfüllen, habe ich viel investiert, musste Opfer bringen. All das hat sich gelohnt – dafür bin ich Gott dankbar. Solang meine Füße mich tragen, will ich weiterspielen und meinen Traum leben.

Schalke-Stürmer Kenan Karaman: Interesse an Finanzen und Immobilien

Wie ist Ihre Liebe zum Fußball entstanden?

Mein Vater ist fußballverrückt und hat mich in Stuttgart schon früh mit ins Stadion genommen. Auch bei uns zu Hause lief ständig Fußball – ob Bundesliga oder die türkische Süper Lig. Ich hatte fast keine andere Wahl als Fußball zu spielen, schon als Kleinkind wurde mir ständig ein Ball in die Hand gedrückt. (lacht) Später bin ich auf Bolzplätzen aufgewachsen und habe es als Neunjähriger zum VfB Stuttgart geschafft.

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    Welchen Plan hatten Ihre Eltern für Ihre Zukunft?

    Ich bin meinen Eltern extrem dankbar, dass sie mich nie unter Druck gesetzt haben. Sie waren entspannt, haben mich unterstützt, überall hingefahren, aber haben nie gesagt: „Kenan, du musst Profi werden.“ Das ist längst nicht selbstverständlich. Einige Teamkollegen in der Jugend haben viel Druck von ihren Eltern bekommen und konnten dem als Jugendliche nicht standhalten – sie wurden keine Profis, obwohl sie fußballerisch teilweise besser waren als ich.

    Was war Ihr Plan B, falls es mit der Profikarriere nicht geklappt hätte?

    Mich hätte es in die Wirtschaft verschlagen, vielleicht ein BWL-Studium. Auch als Profi befasse ich mich intensiv mit Finanzen und verwalte Immobilien.

    Bergmannsjubel: Extra für Schalke hat Kenan Karaman seinen Jubel entwickelt.
    Bergmannsjubel: Extra für Schalke hat Kenan Karaman seinen Jubel entwickelt. © Ralf Ibing /firo Sportphoto | Ralf Ibing

    Abgesichert ist Schalke 04 in der 2. Bundesliga noch nicht. Statt um den Aufstieg kämpfen Sie nur um den Klassenerhalt. Was ist in dieser Saison schiefgelaufen?

    Im Sommer hatten wir das Gefühl, dass wir oben dabei sein können. Aber letztlich haben wir nicht abgeliefert. Der Umbruch im Kader war größer, als er von vielen zunächst wahrgenommen wurde. Einige der neuen Spieler mussten verständlicherweise erst einmal mit der Größe und der Wucht von Schalke klarkommen. Zum Glück haben wir uns als Mannschaft stabilisiert und es sieht im Kampf um den Klassenerhalt inzwischen besser aus.

    Die Kaderzusammenstellung ist ein großes Thema. Wie wichtig ist die richtige Hierarchie in einer Fußballmannschaft?

    Jede Mannschaft braucht Spieler, die Erfahrungen weitergeben und vorangehen. Solche Spieler sind wichtig, damit sich Talente oder verunsicherte Spieler voll und ganz auf ihre Leistung konzentrieren können und nicht zusätzlich noch Interviews geben müssen und im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Klare interne Strukturen helfen.

    Im Sommer 2023 wurden unter anderem Dominick Drexler, Ralf Fährmann, Marcin Kaminski und Simon Terodde in den Mannschaftsrat gewählt. Doch konstant gut haben sie in dieser Saison alle nicht gespielt.

    Sie alle haben viel Erfahrung – deshalb haben wir sie gewählt. Für uns waren sie die Anführer. Wenn man wenig Spielzeit hat und es nicht läuft, ist es für jeden Spieler schwer, der Mannschaft die Richtung vorzugeben. Für uns war das ein Nachteil. Als die Ergebnisse ausblieben, wurde rotiert, viele Spieler kamen zum Einsatz und es fehlte uns die Stabilität. Die Gefahr ist in solchen Situationen immer, dass Mannschaften komplett auseinanderbrechen und der Worst Case eintritt. Aber im Laufe der Saison haben auch andere Jungs Führungsrollen übernommen, sodass wir jetzt wieder stabiler sind.

    Auch Sie sind einer dieser neuen Führungsspieler, sind in der Offensive die Lebensversicherung von Schalke 04.

    (grinst) Mit dem Begriff Lebensversicherung kann ich wenig anfangen, das ist eher ein Medien-Thema. Ohne meine Teamkollegen hätte ich nicht so viele Tore und Vorlagen. Trotzdem weiß ich natürlich, dass ich wichtig für die Mannschaft bin.

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    Sie treffen auf Ihren Ex-Klub Fortuna Düsseldorf. Ein besonderes Spiel?

    Ich hatte dort drei schöne Jahre, kenne noch einige Jungs aus dem Team und freue mich, sie hier in der Arena empfangen zu dürfen. Man kennt sich – deshalb wäre es wichtig, dass wir am Samstag gewinnen. (lacht)

    Die Schalke-Fans haben inzwischen einen eigenen Gesang für Sie entwickelt. Was macht das mit Ihnen?

    Als die Fans das nach dem Braunschweig-Spiel zum ersten Mal gesungen haben, war das ein Gänsehaut-Moment für mich, ein Höhepunkt meiner Karriere. Diese Anerkennung macht sehr viel mit einem Spieler, gerade auf Schalke. Das schätze ich sehr und bin dankbar dafür. Deshalb beinhaltet mein Mindset, den Fans etwas zurückgeben zu wollen.

    Schalke-Stürmer Kenan Karaman spielte auch in der Türkei vor verrückten Fans

    Werden Sie von Ihren Teamkollegen mal damit aufgezogen?

    Das passiert ab und zu. Neulich hat Thomas Ouwejan mal auf TikTok auf die Frage nach seinem Lieblingslied mit „Kenan-Karaman-Song“ geantwortet. (lacht)

    Schalker Liebling: Kenan Karaman hat in dieser Saison bereits zehn Tore erzielt.
    Schalker Liebling: Kenan Karaman hat in dieser Saison bereits zehn Tore erzielt. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

    Sie sind beliebt, der wichtigste Feldspieler – als Sie am letzten Tag der Sommer-Transferperiode 2022 kamen, war das ganz anders. Sie wurden sehr kritisch beäugt, weil Fans und Medien einen anderen Spielertypen erwartet hatten. Wie haben Sie ihren Start wahrgenommen?

    Als ich vom Schalker Interesse gehört habe, wollte ich das unbedingt machen. Schalke hatte aber schon fünf Spieltage absolviert, war nicht gut gestartet. Auch privat hatte ich eine herausfordernde Zeit. Unser Sohn war in Istanbul geboren und zu dieser Zeit erst einen Monat auf der Welt – meine Frau und ich waren also noch sehr frisch Eltern. In dieser Phase mussten wir den Umzug von der Türkei nach Deutschland organisieren. Ich habe auch deshalb ein halbes Jahr gebraucht, um anzukommen. Zunächst hatte ich wenig Spielzeit, wusste aber, dass ich meine Chance nutzen würde, wenn ich sie bekomme. Gerade hier.

    Spätestens mit dem Tor im Derby gegen Borussia Dortmund im März 2023 war alles anders.

    Da ist die Wahrnehmung für mich gekippt. (grinst)

    Sie haben zuvor bei Besiktas Istanbul gespielt. Auch in der Türkei sind die Fans verrückt. Was unterscheidet die Fankulturen?

    In der Türkei ist alles einen Tick aggressiver – vor allem Social Media ist dort sehr präsent. Als Spieler musst du extrem aufpassen, dass es dich nicht zu sehr mitnimmt. Da muss man mental stark sein, auch ich habe das zu spüren bekommen. Bei den großen Vereinen in Istanbul herrscht ein ganz anderer Druck.

    Es ist aber nicht nur negativ. Nach einem Derbysieg zum Beispiel ist man doch der König…

    Ich bin Nationalspieler, man kannte mich, dazu habe ich auch noch für Besiktas gespielt, einen der wichtigsten Clubs. Privat konnte ich deshalb in der Türkei das „Star sein“ erleben. Das war sehr interessant, eine großartige Erfahrung, für mich eine andere Welt.

    Wenn ich beim mittelfristigen Ziel Wiederaufstieg eine große Rolle spielen soll, dann kann ich mir das gut vorstellen.
    Kenan Karaman - Schalke-Stürmer

    Sie wurden überall erkannt?

    Ja, denn jeder beschäftigt sich in der Türkei mit Fußball. Es kam auch vor, dass im Restaurant eine Rechnung schon bezahlt war. Das ist auch cool (grinst)

    Was wir Ihr verrücktestes Fan-Erlebnis in der Türkei?

    Ich war mit meiner Frau einmal in einer Mall einkaufen – da ist aus dem Nichts ein Paparazzi aus einer Ecke gesprungen und hat uns fotografiert. Meine Frau kannte so etwas gar nicht. Den Einkauf haben wir aber trotzdem durchgezogen (lacht).

    Schalke-Stürmer Kenan Karaman ist begehrt

    Ihr Vertrag auf Schalke gilt noch bis 2025, Sie sind aber begehrt. Was muss der Klub Ihnen bieten, damit Sie sich eine Zukunft auf Schalke vorstellen können?

    Erst einmal ist der Klassenerhalt wichtig. Danach setzen wir uns zusammen. Wichtig ist mir zu erfahren, wie der Verein plant. Ich will heraushören, ob der Verein aus den Fehlern lernt, die wir alle gemacht haben. Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, muss das passen. Das legen wir auf den Tisch und schauen dann, ob wir auf einen Nenner kommen. Ich fühle mich auf Schalke wohl, genieße die Wertschätzung, die ich erfahre. Wenn ich beim mittelfristigen Ziel Wiederaufstieg eine große Rolle spielen soll, dann kann ich mir das gut vorstellen.

    Was stimmt Sie optimistisch, dass Schalke in der kommenden Saison um den Aufstieg spielen kann?

    Wir sind in dieser Saison durch den Dreck gegangen – daraus können und müssen wir viel lernen. Der ganze Kader weiß jetzt, wie es ist, mit Schalke in der 2. Liga zu spielen und wie man spielen muss, um mal einen dreckigen Sieg zu holen. Wenn wir das alles mitnehmen, können wir in der nächsten Saison wieder weiter oben angreifen. Wie weit oben das sein wird, werden wir dann sehen.

    Kenan Karaman (l.) ist in dieser Saison die Lebensversicherung von Schalke 04.
    Kenan Karaman (l.) ist in dieser Saison die Lebensversicherung von Schalke 04. © DPA Images | Bernd Thissen

    Ändert Ihre private Situation als Familienvater die Planung Ihrer aktiven Karriere und Sie wollen sesshaft werden?

    Nein, Karriere und Familie sind unabhängig voneinander. Meine Frau und ich sprechen da eine Sprache, denn ich möchte die Interessen von uns dreien berücksichtigen.

    Spielt bei Ihrer Entscheidung eine Rolle, dass Sie noch einen lukrativen Vertrag unterschreiben werden in Ihrer Karriere?

    Ja. Es ist ganz natürlich, dass dies auch ein Gedanke ist.

    Schalke: Kenan Karaman spielte in Hoffenheim mit Niklas Süle

    Sie haben in der Jugend der TSG Hoffenheim mit Niklas Süle zusammengespielt. Er hat schon viele nationale und internationale Titel gewonnen. Wenn man die Wege vergleicht – sind Sie mit Ihrer Karriere zufrieden?

    Nach oben gibt es nie Grenzen – aber das, was ich mir vorgenommen habe, habe ich erreicht: Bundesliga- und Nationalspieler zu werden, ein großes Turnier und Champions League zu spielen. Das waren Meilensteine.

    Und Sie sind Publikumsliebling auf Schalke. Das schafft nicht jeder.

    (lacht) Das können Sie besser beurteilen.

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