Gelsenkirchen. Dominick Drexlers Suspendierung kostet Schalke-Trainer Karel Geraerts Rückhalt in der Mannschaft. Auch das Verhältnis zu Marc Wilmots bröckelt.
Jeder, der Teil eines funktionierenden Teams in einer Mannschaftssportart ist, kennt Spieler wie Dominick Drexler: etwas in die Jahre gekommen, sportlich nicht mehr der Beste, häufiger mal verletzt, dafür aber beliebt, erfahren, klug. Ein Alphatier, einfach da, wenn es sein muss. Es birgt Gefahren, so eine Führungsperson rauszuwerfen, vor allem für denjenigen, der diese Entscheidung trifft. Und das ist Trainer Karel Geraerts vom FC Schalke 04. Auch am Tag nach Drexlers Verbannung in die U23 schlug die Verbannung hohe Wellen – und überschattet das wichtige Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg an diesem Samstag (20.30 Uhr/Sky und Sport1).
Spricht man mit vielen Beteiligten, entsteht ein erschreckendes Bild. Fast irreparabel zerrüttet soll das Verhältnis zwischen Geraerts und gewichtigen Teilen der Mannschaft sein, wie mehrere Quellen erklären. Schon jetzt, sechs Spieltage vor Ende der Zweitligasaison und mit nur zwei Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz, scheint Geraerts große Teile der Kabine verloren zu haben. Dafür gibt es viele Quellen, der Klub allerdings widerspricht dem auf Anfrage.
Schalke: Es gibt mehrere Gruppen im Team
Den Ursprung hat diese Entwicklung nicht etwa im aktuellen Eklat um Drexler oder dem Rauswurf von Abwehrspieler Timo Baumgartl vor zwei Wochen. Es ging bereits viel früher los.
In der Schalker Kabine gibt es seit Saisonbeginn einige kleinere Gruppen, was völlig normal ist. Auf der einen Seite gibt es die Routiniers, angeführt von Drexler und Kapitän Simon Terodde, die auch privat gut befreundet sind. Viele aus dieser großen Gruppe sind seit mindestens einem Jahrzehnt Profi, viele haben Familien und keinen finanziellen Druck mehr.
Schalke: Einige der ersten Spiele unter Karel Geraerts misslangen
Weitere Einzelkämpfer außerhalb der Gruppe halten sich heraus, wollen ruhig ihrer Arbeit nachgehen – weil es eine Sprachbarriere gibt, sie ohnehin nicht sehr gesprächig oder sowieso bald wieder weg sind. Und es gibt Spieler, die genug damit zu tun haben, überhaupt mit dem Schalker Druck klarzukommen.
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In dieser schwierigen Ausgangslage misslangen ab Anfang Oktober 2023 einige der ersten Spiele unter Geraerts. Taktisch und personell hatte der Belgier in seiner Anfangsphase viel ausprobiert. In Düsseldorf stand es im November nach kurzer Zeit 0:3, er wechselte früh dreimal aus. Nach dem Spiel, 3:5 war es ausgegangen, bat er um Kritik aus dem Teamkreis. Niemand meldete sich. Nach längerer Zeit stand Drexler auf, übte inhaltlich schwere Kritik an Geraerts’ Taktik. Drexler kann sich vorstellen, Trainer zu werden, erwarb schon die B-Lizenz. Er beschäftigt sich Tag und Nacht mit Fußball, kennt sich aus.
Dominick Drexler war auf Schalke nur noch Randfigur
Geraerts’ Reaktion? Der Trainer wütete, Drexler spielte in den fünf Monaten seitdem nur noch 28 Minuten lang, wurde von Geraerts zwischendurch nicht mehr für den Kader nominiert. „Er gibt mir nicht, was ich brauche“, so die Begründung des Trainers. Je schlechter die Saison lief, desto häufiger gingen erfahrene Stammspieler zu Geraerts, forderten dringend einen Drexler-Einsatz, damit wenigstens die Hierarchie auf dem Platz stimme. Der 42 Jahre alte Belgier entschied anders, obwohl Drexler trainierte wie immer in seiner Profikarriere: nicht überragend, aber solide.
Deshalb scheint es, als sei der Kabinenvorfall in Hannover – Drexler schleuderte einen Schoko-Shake an die Raumwand – eine willkommene Gelegenheit, um einen unliebsamen Profi loszuwerden. Drexler hatte sich noch im Bus auf der Rückreise nach dem Spiel entschuldigt, dort im Spaß eine schokoladige Überraschung fürs nächste Training angekündigt, der Vorfall schien abgehakt. Doch am Training durfte er dann nicht mehr teilnehmen. Für Teile der Mannschaft ein Schock.
Schalke: Auch das Vertrauen zu Marc Wilmots bröckelt
Den von Geraerts genannten Grund, Drexler habe sich zuletzt über die Mannschaft gestellt, können viele Profis nicht nachvollziehen. Viele würden gern konkrete Beispiele dafür hören. Geraerts sagte, niemand dürfe sein Ego über das der Mannschaft stellen. Doch geht es hier etwa um Geraerts‘ Ego selbst? Er gilt als stolz und sehr stur.
Ein Teil des Teams ist erschüttert, das Vertrauen zum Coach scheint hinüber, und das mitten im Abstiegskampf. Auch das Verhältnis des Großteils der Mannschaft zu Sportdirektor Marc Wilmots, der auf dem Trainingsplatz, im Profileistungszentrum und nach den Spielen alles mitbekommt, sich aber stets vor Geraerts stellt, ihn beschützt, bröckelt. Wilmots unterstützte den Rauswurf sogar. Am Montagabend stimmten sich der Sportdirektor und der Trainer diesbezüglich ab. Gegen einen Geraerts-Rauswurf spräche, so ist aus dem Team zu hören, dass dann womöglich Wilmots den Trainerjob übernehmen könnte.
Schalke: Paul Seguin gilt als größter Anhänger des Trainers
Das Klima scheint vergiftet, auch wenn das die Schalker auf Anfrage bestreiten. Widerworte in Teamsitzungen gibt es nicht mehr. Freunde in der Mannschaft hat Geraerts kaum noch, heißt es. Als sein größter Anhänger gilt Paul Seguin. Ausgerechnet Seguin, der nach wenigen Schalke-Wochen so unzufrieden war, dass er sich eine langfristige Zukunft in Königsblau nicht vorstellen konnte.
Zusammenreißen will sich die Mannschaft trotz des Theaters, obwohl sie mit Geraerts durch die letzten Wochen gehen muss. Weil es der Job ist, professionell zu sein. Weil Schalke eben Schalke ist. Weil es selbst aus der Sicht der Spieler die Fans verdienen. Es gibt einen Trotz-Schwur, irgendwie die Klasse zu halten und dann die Sommerpause abzuwarten. Wie es dann weitergehen soll? Fraglich. Trainer, Profis – es scheint aktuell viele Verlierer zu geben. Ganz gleich, wie die Saison ausgeht.
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