Dortmund. Dramatisch verlor Borussia Dortmund den Meistertitel. Doch die starke Rückrunde soll eine bessere Zukunft für den BVB versprechen.

In diesem Moment bricht es noch mal heraus aus Edin Terzic, seine Gefühle überwältigen ihn beinahe ein weiteres Mal. Dem Trainer von Borussia Dortmund sieht man an, dass dies einer der schwierigeren Tage seines beruflichen Lebens ist. Müde wirkt er, die Augen schimmern verdächtig. Dennoch schreibt er Autogramme für rund 100 Fans, die zum Trainingsgelände in Dortmund-Brackel gekommen sind. Bis da diese BVB-Anhängerin kommt, die ihm weinend um den Hals fällt. Terzic drückt sie an sich, will Trost spenden – und muss plötzlich gewaltig um seine Selbstbeherrschung kämpfen.

Es ist ein emotionaler Tag in Dortmund, aber es sind nicht die gewünschten Emotionen. Statt auf dem Korso um den Borsigplatz zu fahren, 400.000 glückseligen Anhängern die Meisterschale zu präsentieren, müssen die untröstlichen Spieler und das tapfere, aber nicht minder bediente Häufchen Fans am Trainingsgelände sich nun irgendwie gegenseitig Trost spenden.

BVB-Chef Watzke: „Das tut verdammt weh“

Denn tags zuvor war ja geschehen, was niemand zu denken gewagt hatte in Dortmund: Der BVB hatte die zwei Punkte Vorsprung tatsächlich noch verspielt, die Mannschaft war tatsächlich eingebrochen auf den letzten Metern, hatte nur 2:2 (0:2) gegen Mainz 05 gespielt, der FC Bayern war mit dem 2:1 (1:0) beim 1. FC Köln vorbeigezogen. „Das tut schon verdammt weh“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Wie ihm geht es allen Dortmundern: „Ich war nach dem Spiel auch in der Kabine, da hat keiner ein Wort gesprochen, da sind viele Tränen geflossen.“ Denn zum Abschluss schlug diese ohnehin schon verrückte Saison noch einmal ein paar irrwitzige Kapriolen.

BVB-Kapitän Marco Reus und seine Kollegen ließen eine große Chance aus.
BVB-Kapitän Marco Reus und seine Kollegen ließen eine große Chance aus. © firo

15. Minute, erster Nackenschlag: Kopfball Andreas Hanche-Olsen, 0:1. Wenig später Elfmeterpfiff und Jubel. Sebastien Haller, der Mann mit der bislang so märchenhaften Rückkehr nach Hodenkrebserkrankung, trat an und schoss. Schwach, halbhoch, ohne jede Überzeugung. Finn Dahmen hielt (19.). „Der Knackpunkt“, sagt Watzke. „Wenn der drin gewesen wäre, hätten wir das Spiel gewonnen.“ War er aber nicht. Der Schock war noch nicht verdaut, da köpfte Karim Onisiwo freistehend ein – 0:2 (24.), und in Köln führten die Bayern.

Für acht Minuten führte der BVB wieder die Blitztabelle an

Plötzlich waren diese Gedanken da: Was, wenn man das doch verschusselt? Sie krochen in die Köpfe der Zuschauer, sie lähmten die Beine der Spieler. „Natürlich haben wir sehr viele Spieler dabei, die noch nie Meister waren, für die das ein besonderer Druck war“, erklärt Watzke. „Das hat man einigen auch angemerkt.“ Der Jubel über den Anschlusstreffer von Raphael Guerreiro (69.) wurde noch mal lauter, als Stadionsprecher Nobby Dickel in sein Mikrofon brüllte: „1:1 in Köln!“ Dortmund war wieder Blitztabellenmeister – aber nur acht Minuten lang. Dann traf Jamal Musiala für die Bayern in Köln, Niklas Süles Ausgleichstreffer in der Nachspielzeit kam zu spät. BVB und Bayern punktgleich, aber die Tordifferenz entschied über die Titelvergabe.

Enttäuschung pur in Dortmund – Fans in Trauer

Die Hoffnung auf die BVB-Meisterschaft war riesig. Umso größer ist jetzt die Trauer der Fans in Dortmund.
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Beim Abpfiff war es so still im Stadion, wie 81.365 Menschen eben still sein können. Hummels stand zur Salzsäule erstarrt am Strafraum. Haller kauerte auf dem Boden, das Gesicht in den Händen. Kapitän Marco Reus, so nah dran am ersten Meistertitel, weinte hemmungslos. Dann ertönte zaghaft der erste Applaus auf den Rängen, er wurde aber immer lauter. Das Publikum wusste, dass die Jungs Trost brauchten. Und weil es spürte, dass da etwas gewachsen ist im Laufe der Saison, in der Mannschaft, zwischen Team und Trainer, im Verhältnis zu den Fans.

2023 legte der BVB eine meisterliche Punkteausbeute hin

„Das ist Borussia Dortmund“, sagt Watzke. „Andere sind vielleicht erfolgreicher, wahrscheinlich gnadenloser. Aber bei Borussia Dortmund ist auch immer Gefühl dabei.“ Und in diesem Moment ist besonders viel Gefühl. „Wie die Fans das gemacht haben, mitten in ihrem Schmerz, das war Weltklasse – da weißt du, dass du für den richtigen Verein arbeitest“, staunt der Geschäftsführer. „Was unsere Fans in den vergangenen Monaten geleistet haben, war außergewöhnlich, da sind wir jetzt in der Bringschuld.“

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Denn aus dieser Saison, speziell: der Rückrunde, aus dem Zuspruch der Anhänger erwächst ein Auftrag: In der kommenden Saison den nächsten Anlauf nehmen – und es besser machen. „Wir haben im Jahr 2023 46 Punkte geholt, davon 40 in der Rückrunde. Das ist eine meisterliche Quote“, rechnet Watzke vor. „Wenn wir nächstes Jahr oben mitspielen wollen, müssen wir uns noch etwas steigern.“ Dortmunds Gedankenspiele sind klar: In Zukunft sollten Hin- und Rückserie so gut ausfallen, dann ist man bei 80 Punkten – ob die Bayern zu ihrer Dominanz zurückkehren, ob sie wie in den Pep-Guardiola-Jahren konstant deutlich mehr als 80 Punkte einfahren, will man erst einmal sehen.

Enttäuschte BVB-Spieler stellen sich den Fans: Die hatten aufbauende Worte und Gesänge übrig.
Enttäuschte BVB-Spieler stellen sich den Fans: Die hatten aufbauende Worte und Gesänge übrig. © dpa

Der Festtag vom BVB soll noch kommen

„Wir haben eine gute Mannschaft und werden versuchen, dass sie nächstes Jahr mindestens genauso gut ist“, meint Watzke. „Die Altersstruktur ist hervorragend. Man hat ja gesehen, wie Julien Duranville nach seiner Einwechslung gewirbelt hat, auch Jamie Bynoe-Gittens kommt wieder zurück. Vor der Zukunft haben wir keine Angst.“ Der große Traum vom schwarz-gelben Festtag mag in diesem Jahr geplatzt sein – geht es aber nach den Verantwortlichen, dann ist er einfach nur vertagt. „Egal, wie groß der Schmerz heute ist, es wird die Motivation für morgen sein“, war einer der Sätze, mit denen sich Terzic in die Sommerpause verabschiedete. Müde zwar, traurig, leer – aber auch schon wieder kämpferisch.

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