Leverkusen. Mit einem Last-Minute-Sieg zieht Bayer Leverkusen in die nächste Pokalrunde ein und verwehrt dem 1. FC Köln die Sensation.

Manchmal ist die Sache mit den Gefühlen eine recht komplexe Angelegenheit im Fußball, wechselhaft und widersprüchlich, gelegentlich sogar unlogisch. So waren am späten Mittwochabend am Ende eines denkwürdigen DFB-Pokalderbys selbst die Verlierer seltsam zufrieden, obgleich der Wunsch nach einer Sensation für die Geschichtsbücher unerfüllt geblieben und der Kummer über ein sportliches Drama massiv war. „Wir können stolz sein“, sagte Gerhard Struber, der Trainer des 1. FC Köln, nachdem sein Klub mit 2:3 nach Verlängerung bei Bayer Leverkusen verloren hatte. „Wir haben eine ganz, ganz große Mannschaft richtig in Bedrängnis gebracht.“

Bis zur sechsten Minute der Nachspielzeit hatten die Kölner sogar mit 2:1 geführt, bevor Patrik Schick ein wildes Spiel mit einem dieser betörenden Stadionmomente verzierte, die das Publikum tief im Inneren berühren. Ekstase bei den einen, ein dröhnender Schmerz bei den anderen und dahinter auch so etwas wie ein gemeinsamer Stolz darauf, Teil eines sehr besonderen Augenblicks zu sein.

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Die Verlierer haderten zwar ein wenig mit der achtminütigen Nachspielzeit, die Struber als „nicht sehr sensationsfreudig“ bezeichnete. Aber aufgrund einer sehr langen Unterbrechung in Folge einer Kopfverletzung von Max Finkgräfe war die Zugabe der Unparteiischen schon angemessen. Dominique Heintz warf den Leverkusener Spielern zudem vor, sich „arrogant“ verhalten zu haben, ohne weiter ins Detail zu gehen – Derbyemotionen eben. Es war ein Abend, der auch in Erinnerung rief, wie sehr solche Nachbarschaftsduelle derzeit im deutschen Fußball fehlen, weil die größten Derbyrivalen aus Hamburg, aus dem Ruhrgebiet und aus dem Rheinland gerade in unterschiedlichen Ligen spielen.

Leverkusens Victor Boniface bleibt die Nummer zwei hinter Patrik Schick

Umso dankbarer waren alle Beteiligten für diese herrliche Fußballnacht. „Das fühlt sich schöner an, als wenn man 3:0 gewinnt“, sagte Jonathan Tah „auf dem Weg zu etwas Großem ist immer so ein Spiel dabei“. Victor Boniface war in der Verlängerung der Siegtreffer gelungen war, während das 3:3 des Kölner Angreifers Imad Rondic in der 112. Minute aufgrund einer hauchdünnen Abseitsstellung annulliert wurde. Boniface feierte seinen Treffer ähnlich ausgelassen wie Schick seine Tore, obgleich er ein paar schwierige Tage hinter sich hat und auch an diesem Abend zu spüren bekam, dass er in Leverkusen derzeit nur Stürmer Nummer zwei ist. 

Erst in der 76. Minute wurde er eingewechselt, nachdem er vor einer Woche noch dachte, zu Al-Nassr nach Saudi-Arabien wechseln zu können, wo er zu einem sehr, sehr reichen Mann geworden wäre. Der eigentlich fest verabredete Deal platzte, weil die Saudis ihre Pläne änderten. Boniface bleibt in Leverkusen, was ihn angeblich 36 Millionen Euro gekostet haben soll, wie spekuliert wird. Nun musste er abermals mitansehen, wie sein Sturmpartner Schick, der zugleich Konkurrent ist, die Tore zum 1:2 und zum 2:2 erzielt hatte. Nach 14 Treffern in den vergangenen elf Bundesligapartien hat Tscheche auch im Pokal doppelt getroffen, es läuft bei Schick. Insbesondere der Ausgleich in Minute 90+6 habe „ein geiles Gefühl“ ausgelöst, erzählte der Angreifer im Nachgang.

Aufgrund von Pyrotechnik kann die Partie nicht angepfiffen werden. Die Folge: zehn Minuten Nachspielzeit nach der ersten Hälfte.
Aufgrund von Pyrotechnik kann die Partie nicht angepfiffen werden. Die Folge: zehn Minuten Nachspielzeit nach der ersten Hälfte. © Jürgen Fromme/firo Sportphoto | Jürgen Fromme

Verbleib von Victor Boniface ist ein Glücksfall für Bayer Leverkusen

Die Stürmerleistungen dieses Abends warfen allerdings ein paar neue Fragen auf, so viele Minuten standen Boniface und Schick schon lange nicht mehr gemeinsam auf dem Platz. Schick erklärte, dass er „nicht so sicher“ sei, ob das noch oft vorkommen werde; das fein ausbalancierte Teamkonstrukt, in dem die Leverkusener immer wieder diese magischen Ballbesitzphasen hinbekommen, beruht auf einem System mit nur einem klassischen Stürmer. Alonso jedoch erwiderte auf die Frage nach der Doppelspitze: „Wenn ich fühle, dass wir das für ein Spiel brauchen, dann machen wir das. Wir haben in der Vergangenheit mit zwei Stürmern gespielt und können das auch in Zukunft machen.“

In jedem Fall ist der Verbleib von Boniface ein Glücksfall für den Trainer, weil er erstmals in seinen knapp zweieinhalb Jahren bei Bayer 04 das wahrscheinlich gefährlichste Sturmduo in guter Form und gesundem Zustand zur Verfügung hat. Womöglich wäre bereits dieser Pokalabend nach einem Boniface-Verkauf anders verlaufen, wenn im Frühjahr das Titelrennen in der Bundesliga entschieden wird und vielleicht der Traum von einem ganz besonderen Champions-League-Erfolg erfüllt werden soll, kann die Anwesenheit von so einem wichtigen Ersatzspieler zum entscheidenden Faktor werden. „Wir haben jetzt beide fit, das ist gut für mich“, sagte Alonso, während die Kölner ebenfalls einen Erkenntnisgewinn fachlicher Art mit nach Hause nehmen durften: „Man hat schon gesehen, dass wir kicken können, gut ausbalanciert über diesen kontrollierten Fußball“, sagte Trainer Struber. Das Duell mit Alonso hatte ihm gefallen, und über weiterer solcher Derbys im Bundesligaalltag würden sich gewiss sowohl die Leverkusener als auch die Angehörigen des FC von der anderen Rheinseite freuen.

Victor Boniface bejubelt seinen Treffer.
Victor Boniface bejubelt seinen Treffer. © Jan Fromme/firo Sportphoto | Jqn Fromme