Paris. Selten war ein Box-Wettkampf bei Olympia so umstritten wie der von Imane Khelif. Die Goldmedaille nutzt die Algerierin zur Abrechnung.

Einige der letzten Schritte bei ihrer olympischen Reise musste Imane Khelif nicht einmal selbst machen. Die 25 Jahre alte Algerierin vollzog eben im Ring noch ihren Siegestanz, nachdem der Ringrichter ihren Arm als Siegerin des olympischen Box-Finals im Weltergewicht gekürt hatte: Ein paar Schritte rückwärts, die Knie dabei im Stakkato hochgezogen; mit ihren ausgestreckten Zeige- und Mittelfingern deutete sie Pistolen an und gab einige Schüsse ab. Dann nahm ihr Trainer sie auf seine Schultern, trug die neue Nationalheldin aus dem Ring. Imane Khelif begann die Sommerspiele als umstrittenste Athletin – sie beendet sie für sich als Goldmedaillengewinnerin und als Mittelpunkt einer gewaltigen, leidenschaftlichen algerischen Feier.

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    Der Samstagmorgen war bereits angebrochen, als noch immer 300 Algerier von den ursprünglich mehreren Tausend das Stade Roland Garros, das eigentlich die Heimat des französischen Tennis’ ist und für die Finalkämpfe in eine Boxarena mit 15.000 Zuschauern umfunktioniert worden war, als Magneten für algerischen Stolz und Nationalismus aufrecht erhielten. „Imane! Imane! Imane!“ schallte es aus einem Chor. „One, two, three – vive l’Algérie!“ In Algiers färbten Feuerwerksraketen den Himmel rot, in ihrem Heimatort feierte ihre Familie mit den Nachbarn stolz vor einem Großbildschirm, als Imane Khelif in Paris zum Rundumschlag ausholte. „Die gesamte Welt war gegen mich und hatte eine bösartige Kampagne gegen mich gestartet. Aber ich habe die Antwort gegeben“, sagte sie nach ihrem einstimmigen Finaltriumph über die chinesische Weltmeisterin Yang Liu: „Und meine Antwort ist die Goldmedaille.“

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    Dabei sind noch längst nicht alle Fragen aufgeklärt. Die Debatte um Imane Khelif, die den Boxsport durchaus schon länger begleitet, wurde nun in die olympische Welt getragen. Spätestens mit ihrem Erstundensieg über die Italienerin Angela Carini, die nach zwei harten Treffern bereits nach 46 Sekunden aufgegeben und um ihre Gesundheit gefürchtet hatte, wurde der Name der Algerierin zu einem Politikum: Imane Khelif sei gar keine Frau, hatte der beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) abgemeldete und hochkorrupte Weltverband IBA um seinen russischen Präsidenten Umar Kremlew behauptet.

    Olympia 2024: Geschlechterstreit nach unveröffentlichten Testergebnissen

    Box-Olympiasiegerin Imane Khelif (Mitte) aus Algerien küsst ihre Goldmedaille.
    Box-Olympiasiegerin Imane Khelif (Mitte) aus Algerien küsst ihre Goldmedaille. © dpa | Sebastian Kahnert

    Bei der WM 2023 in Neu Delhi war ein Geschlechtstest bei Khelif angeordnet worden, nachdem sie durch einen Sieg gegen eine Russin ins Finale eingezogen war. Das Ergebnis sei ein männlicher Chromosomensatz von X und Y gewesen, behauptete die IBA. Gleiches galt für die Taiwanesin Lin Yu-ting, die in Paris im Federgewicht ebenfalls im olympischen Boxfinale stand. In beiden Fällen wurden bis heute nicht die offiziellen Test-Ergebnisse vorgelegt – vor allem Khelif, die wegen ihrer angeblichen Intersexualität mehr Testosteron habe, wodurch sie schneller und vermehrt Muskeln aufbauen könne, sah sich im Internet massiven Anfeindungen ausgesetzt. Das IOC sah sich zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt. „Es bestand nie ein Zweifel daran, dass sie eine Frau ist“, erklärte Präsident Thomas Bach mit Verweis darauf, dass das im Pass angegebene Geschlecht für viele Sportarten maßgeblich für die Zulassung zu den Wettkämpfen. Die IBA, die vom IOC von der Austragung des olympischen Boxturniers entbunden worden war, reagierte mit einer grotesken Pressekonferenz.

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    Für ihre letzten Treffer des Turniers – in ihren vier Kämpfen hatte sie zuvor keine der zwölf Runden verloren – nutzte Imane Khelif ihren Mund und nicht mehr die Hände. Mit der Goldmedaille um den Hals schlug sie erst richtig zu und wählte nach neun Tagen voller unseliger Diskussionen um ihre Geschlechtszugehörigkeit harte Worte. „Sie sind Feinde des Erfolgs“, sagte sie an die Adresse ihrer Kritiker und betonte: „Ich bin eine starke Frau mit besonderen Kräften, eine Frau wie jede andere. Ich bin als Frau geboren, war immer eine und habe nur gegen Frauen gekämpft. Ich hoffe, dass es nie wieder solche Attacken geben wird.“ Schon Sekunden nach ihrem Olympiasieg ging es jedoch in den Sozialen Medien weiter: „Ein Mann hat Frauen-Gold bei Olympia gewonnen“, „Er ist ein Mann“ und ähnliche Kommentare wurden bei X gepostet.

    Olympia 2024: Khelif spricht von harten Attacken gegen sich

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    „Die ganze Welt kennt jetzt meine Geschichte. Ich hoffe, dass es nie wieder solche Attacken bei Olympia geben wird“, sagte sie und gab der Medaille noch einen Kuss. „Jeder soll sich an den olympischen Werten orientieren und nicht auf das Mobbing der anderen hören. Die Attacken gegen mich waren richtig hart. Aber jetzt bin ich Olympiasiegerin.“