Budapest/Bochum. . Pamela Dutkiewicz-Emmerich war 2017 die letzte deutsche WM-Medaillengewinnerin im Hürdensprint. Interview über verpasste Förderung.

Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest beginnen heute die Vorläufe über die 100 Meter Hürden. Deutsche Athletinnen sind nicht am Start. Pamela Dutkiewicz-Emmerich (31) holte 2017 in London Bronze und war die letzte deutsche WM-Medaillengewinnerin in dieser Disziplin. In Ungarns Hauptstadt kann sie nicht mehr helfen: Die Bochumerin, die für den TV Wattenscheid an den Start gegangen ist, beendete 2021 ihre Karriere, ist Mutter eines Sohnes und arbeitet als systemischer Coach und Keynote-Speakerin. Die Leichtathletik hat sie noch immer im Blick.

Frau Dutkiewicz-Emmerich, Sie haben Ihre aktive Karriere beendet, haben eine Ausbildung zum systemischen Coach gemacht, trainieren Nachwuchsathleten und sind vor kurzem Mutter geworden. Wie hat sich ihr Leben verändert?

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Pamela Dutkiewicz-Emmerich: Ich bin ein sehr strukturierter Mensch und habe als Mama erst einmal lernen müssen, mich davon zu lösen, beziehungsweise flexibler reagieren zu können. Der Leichtathletik bin ich weiter verbunden, nur war es für mich schwer, einen neuen Sport zu finden, der zu den Ansprüchen meiner neuen Aufgaben passt, und auf den ich auch Bock habe. Aktuell habe ich mich in einem Fitnessstudio angemeldet. Ich besuche da aber nur die Kurse. Ich habe keine Lust beim Trainieren groß nachzudenken – das habe ich während meiner Karriere genug gemacht. Stupides Nachmachen ist da genau das richtige. (lacht)

Ihre Karriere kannte einige verletzungsbedingte Tiefen, aber auch Höhen – wie EM-Silber und WM-Bronze. Sie sind die letzte deutsche WM-Medaillengewinnerin im Hürdensprint. Wie haben Sie den Tag von London 2017 nach Ihrem Karriereende noch in Erinnerung? Was macht die Erinnerung mit Ihnen, wenn Sie heute hochkommt?

Dutkiewicz-Emmerich: London ist der größte und schönste Erfolg, den ich auf der Tartanbahn feiern durfte, weil er so überraschend kam und frei von Erwartungen war. Klar, war ich richtig gut drauf in dem Jahr: Ich bin in der Diamond League gelaufen, habe hochklassige Wettbewerbe gewonnen, wir sind Teameuropameister geworden, ich war deutsche Meisterin. Aber trotzdem hat keiner Erwartungen gehabt, dass ich da aufs Podium laufe.

Mit großen Namen im WM-Finale am Start

Woran lag das?

Dutkiewicz-Emmerich: Wir hatten da eine frisch gebackene Weltrekordhalterin, eine Olympiasiegerin, die alles Große schon abgesahnt hatte. Es waren so viele große Namen am Start, eine breite US-amerikanische Front. Das keiner mit mir gerechnet hat, hat mir aber in die Karten gespielt: Ich konnte mit einer Leichtigkeit antreten, und habe von meiner Konstanz gelebt. Weil ich ein so festes Fundament hatte, hat auch in diesem Moment alles funktioniert.

Wie haben Sie sich damals gefühlt?

Dutkiewicz-Emmerich: Ich beschreibe das immer gerne als Cocktail an Gefühlen. Ich habe wirklich alles auf einmal gespürt, das war so intensiv, so ein Glück. Ich bin in so eine andere Ebene gelaufen. Die Medaille, in Kombination mit Olympia in Rio, wo ich gemerkt habe, dass ich an die Weltspitze ranlaufen kann, hat ganz viel mit meinem Selbstbewusstsein gemacht. Im Nachgang denke ich total gerne zurück.

Wie haben Sie das Londoner Publikum wahrgenommen?

Dutkiewicz-Emmerich: Ich bin so dankbar, dass in dem Jahr mit London ein richtig schöner Spot für die WM gewählt wurde. Ich weiß nicht, wie es in Budapest ist, aber die Briten verstehen die Leichtathletik und haben Bock darauf. Das Stadion war rappelvoll, knapp 80.000 Leute waren da.

Sally Pearson aus Australien (r.) kommt über 100 Meter Hürden vor Dawn Harper Nelson aus den USA (l.) und Pamela Dutkiewicz aus Deutschland ins Ziel.
Sally Pearson aus Australien (r.) kommt über 100 Meter Hürden vor Dawn Harper Nelson aus den USA (l.) und Pamela Dutkiewicz aus Deutschland ins Ziel. © dpa

Und Sie durften auf die Ehrenrunde gehen.

Dutkiewicz-Emmerich: Ja, das war verrückt. Die anderen beiden waren schon mit ihren Flaggen auf der Ehrenrunde. Ich war so perplex, dass ich gar nicht verstanden habe, dass ich da jetzt dazu gehöre. Ich hatte sogar schon ein TV-Interview gegeben, da bin ich erst mit einiger Verspätung auf die Ehrenrunde gegangen. Das waren die schnellsten 400 Meter, die ich je gelaufen bin. (lacht) Aber ich war so voller Euphorie, das war ein purer Glücksmoment. Und dann auch noch das freudige Publikum zu sehen, das habe ich krass konserviert. Das ist etwas, das immer bleibt. Auch wenn mir da noch nicht bewusst war, was für starke, positive Nachwehen das Ganze hat und wie es im Nachgang meinen Weg auf der Tartanbahn geprägt hat – und darüber hinaus.

Dutkiewicz-Emmerich nimmt deutsche Leichtathletik in die Pflicht

Nun sind bei der WM in Budapest keine deutschen Hürdensprinterinnen dabei. Haben Sie eine Erklärung für den möglicherweise verpassten Anschluss?

Dutkiewicz-Emmerich: Ich glaube nicht, dass es ein verpasster Anschluss ist, sondern ein ganz organischer Prozess, ein Auf und Ab. Wir backen uns ja nicht Athleten mit Weltklasseniveau, sondern das baut sich über Jahre auf. Und es gibt halt Komponenten, die man beeinflussen kann – zum Beispiel mit einem guten Trainingssystem und Talent als Grundvoraussetzung, ein gutes, auch soziales Umfeld, Unterstützung durch die Eltern und später der dualen Karriere, Persönlichkeitsentwicklung. Das sind Faktoren, die mit einspielen. Ein großer Faktor, den wir nicht greifen können, ist aber ein großes Fragezeichen.

Nämlich?

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Dutkiewicz-Emmerich: Man kann Erfolg nicht planen. Du kannst eine gute Grundlage legen mit guter Schüler- und Jugendarbeit, du kannst dich darum bemühen, den Sport attraktiv darzustellen – es also so erstrebenswert machen, dass ein Athlet sagt: Ja, ich habe Lust darauf. Bei diesen Dingen ist die deutsche Leichtathletik gefragt: Das muss gemacht werden. Aber am Schluss ist es völlig normal, dass Durststrecken von fünf bis zehn Jahren entstehen, bis da wieder ein Hoch kommt. Ich glaube, wir waren ein bisschen verwöhnt von den Jahren zuvor – mit Carolin Nytra, Cindy Roleder und mir. Doch wir haben alle aufgehört, Ricarda Lobe kämpft schon lange mit Verletzungen.

Aber was ist mit jenen, die in Ihre Fußstapfen treten könnten?

Dutkiewicz-Emmerich: Wir hatten jetzt eine U20-WM, bei der zwei deutsche Athletinnen Medaillen gewonnen haben. Und das lässt natürlich richtig hoffen – solche Ergebnisse läufst du nicht einfach so. Das Spannende ist – und das ist der nächste Knackpunkt: 2010 hatten wir eine ähnliche Situation. Wir waren drei Mädels mit Potenzial. Ich wurde damals nicht für die U20-WM nominiert, aber die beiden anderen holten Medaillen. Jedoch: Keine von den beiden schaffte den Sprung zu den Erwachsenen, darauf kommt es aber an. Ich bin da aber dran geblieben und habe es geschafft. Was ich sagen will: Wir haben da augenscheinlich zwei große Potenziale für die Zukunft, die gilt es jetzt engmaschig zu betreuen und nicht zu verheizen. Das ist ein ganz, ganz schmaler Grat, weil Leistung eben ein Grenzakt ist.

Weltklasse-Athletinnen fehlen im deutschen Hürdensprint

Sie waren bei der Deutschen Meisterschaft in Kassel dabei, haben Ihre Nachfolgerinnen erlebt. Was fehlt ihnen, um so ein internationales Format zu erlangen, wie Sie es hatten?

Dutkiewicz-Emmerich: Ja, das stimmt, in Kassel war keine von Format für die WM-Spitze. Sie haben für sie schöne Leistungen auf den Punkt gebracht, aber ich glaube, dass sie damit bereits an ihrer Leistungsgrenze sind.

Hat man währender der erfolgreichen Jahre, die Sie mitgeprägt haben, vergessen, die unmittelbaren Nachfolgerinnen auszubilden?

Dutkiewicz-Emmerich: Ich finde nicht, dass irgendwas versäumt wurde. Man war verwöhnt von unseren Erfolgen, die Lücke nimmt man daher jetzt umso stärker wahr. Vielleicht ist jetzt erst richtig bewusst geworden, wie außergewöhnlich das war. Und jetzt ist eben die Dringlichkeit da, anders auf den Nachwuchs zu schauen. Immer mehr Fördersysteme räumen dem Nachwuchs mehr finanzielle und ideelle Unterstützung ein, weil er nunmal die Zukunft ist. Das klingt logisch, aber ich habe es oft anders erlebt. Nach dem Motto: Box dich da alleine durch und wenn du oben bist, dann helfen wird dir. Da passiert ein Umdenken – vielleicht brauchte es diesen Schock mit fehlender Weltklasse, den die deutsche Leichtathletik gerade erlebt.

Was macht Ihnen Mut für die Zukunft?

Dutkiewicz-Emmerich: Mit dem Auge einer ehemaligen Athletin mit Trainererfahrung sehe ich ganz viel Potenzial bei der deutschen Meisterin Franziska Schuster und Marlene Meier. Letztere ist die Tochter von Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel. Das sind nicht die schlechtesten Wurzeln. Bei den beiden reden wir nicht über dieses oder nächstes Jahr und vielleicht auch noch nicht über 2025. Aber möglicherweise wären die beiden bei stetiger Entwicklung zu Größerem fähig. Und auch die U20-Athletinnen bringen schon jetzt eine Kaltschnäuzigkeit mit, das ist nicht zu verkennen.

Leichtathletik gefordert, Potenzial zu fördern

Was für Gefühle löst es bei Ihnen aus, nun aber vorerst eine WM-Meldeliste ohne deutsche Athletinnen zu sehen?

Dutkiewicz-Emmerich: Wenn ich genauer drüber nachdenke: Das berührt mich tatsächlich gar nicht, es macht mich auch nicht traurig. Das ist eine ganz, ganz rationale Ansicht. Es kann halt nicht Dauerleistungsträger geben, das ist ein Auf und Ab, Entwicklung dauert. Es muss so viel zusammenkommen – mich wundert das nicht. Begeisterte Leichtathletik-Fans waren von uns Hürdensprinterinnen einfach ein bisschen verwöhnt. Da war immer eine in den letzten Jahren, die, wenn sie fit war, immer eine ganz starke Leistung abgeliefert und auch Medaillen gewonnen hat. Das ist jetzt eben anders.

Die Bochumer Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz-Emmerich 2017 auf der Ehrenrunde nach WM-Bronze in London.
Die Bochumer Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz-Emmerich 2017 auf der Ehrenrunde nach WM-Bronze in London. © dpa

Wie erleben Sie den Umgang damit?

Dutkiewicz-Emmerich: Bei vielen Gesprächen in Kassel hat mich der negative Unterton bei der Bewertung des Hürdensprintfinales verwundert. Natürlich waren die Zeiten nicht herausragend. Aber es ist ein Prozess, gerade erleben wir eine Übergangsphase, das ist aus meiner Sicht nur logisch. Und jetzt ist eben das Leichtathletik-System gefragt, die Potenziale, die man hat, auch nach oben zu begleiten. Zu erwarten, dass da sofort die nächsten Medaillen des deutschen Hürdensprints sind, wäre vermessen.

Können Sie sich vorstellen, die Leichtathletik selbst in irgendeiner Form weiter zu unterstützen?

Dutkiewicz-Emmerich: Ich habe das gesamte letzte Jahr – auch noch hochschwanger – am Bundesstützpunkt in Bochum Athleten trainiert, die im Landes- oder Bundeskader sind. Dabei hatte ich unheimlich viel Spaß. Ich habe mir aber immer offengelassen, wo mein Weg hingeht. Bei den Coachings und Workshops, die ich anbiete, steht mehr die mentale Ebene im Fokus, weil mich das sehr interessiert. Stand jetzt sehe ich mich daher eher nicht in der Trainerrolle, aber ich hätte Riesenspaß, den Sport in irgendeiner Form zu begleiten. Ich bin aktuell Teil eines Fördersystems, was gerade eine Maßnahme für Nachwuchsathleten erarbeitet, und werde das Wissen in ein paar Jahren an die Athleten weitertragen. Ich bin da schon sehr engagiert und der Sport wird immer Teil meines Lebens sein.