Sydney. Die WM in Australien und Neuseeland soll dem Fußball der Frauen weitere Impulse geben. Sie ist kein Politikum - aber doch von hoher Bedeutung.
Es gibt nicht viel Besseres im Leben junger Menschen, als einen freien Tag in Sydney zu verbringen. Das multikulturelle Kraftzentrum und Tor zu Australien mit seinen berühmten Sehenswürdigkeiten wirkt auch an Wintertagen betörend, weil romantisch, trendig, charmant und unglaublich schön. Wer erstmals den Blick von der Harbour Bridge über die Bucht mit dem Opera House schweifen lässt, kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. Insofern hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg alles richtig gemacht, ihren Fußballerinnen einen freien Montag zu gewähren, an dem die meisten aus dem abgelegenen Quartier in Wyong an der Central Coast in die Metropole gefahren sind. Zum Sightseeing oder Whalewatching, Shoppen oder Schlemmen. Vor Staunen offenstehende Münder, leuchtende Augen. Kann eine Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen wie in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) mehr bieten?
Bevor der zweifache Weltmeister Deutschland gegen Marokko in Melbourne (Montag 10.30 Uhr MESZ/ZDF) seine Mission zum dritten Stern beginnt, eröffnen erst einmal die Gastgeber: Neuseeland gegen Norwegen in Auckland (Donnerstag 9 Uhr MESZ/ARD) und Australien gegen Irland in Sydney (Donnerstag 12 Uhr MESZ/ARD) wollen jeweils einen emotionalen Startschuss geben, wobei das in Down Under sicher gelingt: Überall in Sydney sind Hinweisschilder angebracht, bloß nicht mit dem Auto in den Olympic Park fahren zu wollen. Das Australia-Stadion mit seinen 83.500 Plätzen wird ausverkauft, die Stimmung gigantisch sein.
Frauen-WM: Noch kein Event für die Massen
Doch die Bilder dürfen nicht täuschen: Noch ist eine WM der Frauen bei allen Expansionsbestrebungen kein Event, um das sich die Massen um die Karten für jedes Spiel wie bei den Männern reißen. Es wird, insbesondere in Neuseeland, oft viele leere Plätzen geben, auch wenn die vom Weltverband Fifa gesteuerten Fernsehkameras selten darauf schwenken. Der kleinere Rahmen bewahrt den Frauen (noch) den familiären Charakter, den selbst die Protagonisten nicht missen möchten.
Eigentlich wollte Australien ja jene große Männer-WM 2022 ausrichten, die letztlich in Katar stattfand. Im ersten Wahlgang rauschte der fünfte Kontinent bei der skandalumtosten Abstimmung 2010 mit nur einer Stimme durchs Rüttelsieb. Daraus resultierte, auch aus gewissem Trotz, die spätere Bewerbung fürs Frauen-Turnier 2023. Die Fifa konnte letztlich froh sein, denn während des Vergabe mitten in der Corona-Pandemie sprangen bis auf Kolumbien alle Interessenten ab.
Die neunte WM-Auflage bei den Frauen wird erstmals mit 32 Teilnehmern ausgespielt. Mit deutlich mehr Teams aus Afrika, Asien, Süd- und Mittelamerika. Doch die Kluft zu Europa ist weiterhin groß, wo die Ligen viel schneller professionelle Strukturen entwickeln. Und in den USA und Kanada genießen Ikonen wie Alex Morgan oder Christine Sinclair fast traditionelle Rückendeckung eines breiten Publikum. Aber es tut sich was: Selbst die Macho-Nation Brasilien kann sich inzwischen für die ewige Marta und ihre deutlich jüngeren Mitspielerinnen begeistern. Dass Jamaika, Panama, Haiti und die Philippinen, Sambia und Marokko sich qualifiziert haben, macht die WM vielleicht nicht besser, aber bunter. Der Entwicklung des Frauenfußballs in diesen Ländern hilft es allemal.
Frauen-WM ist auch ein Symbol für die Gleichberechtigung
Fifa-Präsident Gianni Infantino rieb sich bei der WM 2019 in Frankreich die Hände, als weltweit die Quotenrekorde purzelten. Am Ende hatten weit mehr als eine Milliarde Menschen am Fernseher zugeschaut. Dazu kam eine gesellschaftliche Strahlkraft von nie dagewesener Größe: Wie Frontfrau Megan Rapinoe ihren Siegeszug zum vierten WM-Titel der US-Amerikanerinnen nutzte, um in ihrem Kampf gegen jede Form der Diskriminierung sogar US-Präsident Donald Trump die Stirn zu bieten, zog Kreise weit über den Sport hinaus.
Eine WM der Frauen ist, gerade wegen der ständigen Quervergleiche mit den Männern, die es in dieser Form in keiner anderen Sportart gibt, auch ein Kampf für Gleichberechtigung geworden. Dabei sind deutsche Nationalspielerinnen in anderer Form beispielhaft. Es ist fast nur noch eine Randnotiz, wenn Lea Schüller ausführlich über ihre Partnerschaft mit der Seglerin Lara Vadlau spricht. Kein Problem, die Stürmerin am Sonntag vor dem Teamhotel nach Mitspielerin Svenja Huth zu befragen, deren Frau nach einer künstlichen Befruchtung bald ein Kind erwartet. Solche Offenheit ist den Männern im deutschen Profifußball bis heute völlig fremd. Keiner hat sich seit Thomas Hitzlsperger geoutet. Dabei wäre das vor den missionarischen Belehrungen gegenüber Katar doch das beste Zeichen gewesen. Chance verpasst.
Niemand kann bestreiten: Bei den Frauen geht es auf dem Platz ehrlicher zu, wird weniger geschauspielert und gemeckert, vor der Kamera weniger geheuchelt oder gelogen – und trotzdem (noch) viel weniger verdient. Die Fifa hat die Prämien mitsamt Bonuszahlungen und Abstellungsgebühren gegenüber 2019 auf insgesamt 150 Millionen Dollar verdreifacht. Zum Vergleich: Bei der Männer-WM in Katar kamen 440 Millionen Dollar zur Ausschüttung. Novum bei den Frauen: Erstmals wird das Gros direkt an die Spielerinnen ausgeschüttet. Jede hat bereits 30.000 Dollar, umgerechnet 28.000 Euro sicher. Eine Viertelmillion bekommt jede Weltmeisterin.
Diesmal wird die WM nicht zum Politikum
Und dennoch ist das einigen zu wenig: In einem Video der australischen Spielergewerkschaft PFA kritisieren die 23 Spielerinnen des Gastgebers diese Regelung heftig, weil sie von ihrem Verband bereits dieselben Prämien bekommen. „Die Fifa bietet den Frauen für die gleiche Leistung weiterhin nur ein Viertel so viel Preisgeld wie den Männern“, heißt es. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Weltverband bei den Frauen nur ein Bruchteil der Summen wie bei den Männern einnimmt – sonst hätte es den TV-Streit mit den Fernsehanstalten der europäischen Kernmärkte nicht gegeben.
Immerhin: Infantino hat bereits Equal Pay für die Männer-WM 2026 und Frauen-WM 2027 angekündigt. Dass der geschäftstüchtige Impresario von den Fernsehanstalten und Werbepartnern dann dieselben Gebote erwartet, ist zu befürchten. Die Fifa möchte dieses Turnier von aufgeladenen Debatten verschonen. Daher gaben die Ordnungshüter aus Zürich schnell grünes Licht, dass in allen WM-Stadien auch die Flagge der Aborigines oder die der Maori zu sehen sein wird. Die Symbole der indigenen Kulturen sind erlaubt, die Regenbogenbinde indes erneut nicht. Die deutsche Kapitänin Alexandra Popp musste aus einem Sortiment von Solidaritätsbekundungen wählen, entschied sich für eine Binde, die Gewalt gegen Frauen thematisiert. Auf eine erneute Kraftprobe mit der Fifa hatte der DFB in dieser Angelegenheit von vorneherein verzichtet. Schließlich bewirbt sich Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien für die Ausrichtung der Frauen-WM 2027.
Die deutsche Rolle bei dieser Endrunde wird ohnehin spannend. Die demokratischen Ausrichter in Ozeanien sind kein Politikum wie das Emirat Katar – daran wird sich also keiner abarbeiten. Es geht vor allem um Aufmerksamkeit. Vor der WM 2019 musste Popp in einem rotzfrechen Werbespot noch fragen: „Weißt du eigentlich wie ich heiße?“ Und dann der Satz: „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze.“ Solche kleinen Provokationen sind glücklicherweise überflüssig geworden. Die EM im vergangenen Jahr hat viel angestoßen. Die DFB-Frauen waren mit so viel Leidenschaft am Werk, dass beim verlorenen Finale gegen Gastgeber England fast 18 Millionen Menschen einschalteten. Rekordquote für ein Sportereignis 2022.
Frauen-WM: Nächste Grundsatzdiskussion droht
Es schien fast, als habe Fußball-Deutschland darauf gewartet. Wortführerin Popp sagt heute: „Wir sind sehr authentisch unterwegs, und ich hoffe, dass das so bleibt.“ Gefährlich würde es, wenn der sportliche Erfolg ausbliebe, was passieren kann. Zwar sollte die Gruppe mit Marokko, Kolumbien und Südkorea kein Stolperstein sein, doch ein mögliches Achtelfinale gegen Brasilien oder Frankreich wäre nach einem durchwachsenen Länderspieljahr eine hohe Hürde.
Und dann könnten dem deutschen Fußball erneut Grundsatzdiskussionen bevorstehen. Bei den Frauen- und Mädchen ist nämlich die Basis nicht so breit, wie der DFB es gerne hätte. Mehr als eine Million Mitglieder sind zwar weiblich, aber nur 97.500 Mädchen und 98.500 Frauen kicken wirklich auf Vereinsebene. Zwar sind die Rückgänge gestoppt, aber nicht überall finden Mädchen Spielmöglichkeiten. Auch längst nicht jeder Bundesligist bietet optimale Bedingungen. So geht der Kampf um Gerechtigkeit auf vielen Ebenen weiter.