Kassel. . Die Leichtathleten suchen in Kassel ihre Deutschen Meister. Gina Lückenkemper ist der Star, den alle sehen wollen - und erfolgreich.
Gina Lückenkemper erhielt an diesem Samstag Begleitschutz. Ordner in blauen Westen flankierten Deutschlands beste Sprinterin im Aufwärmbereich des Auestadions in Kassel, in dem an diesem Wochenende die Deutschen Meisterschaften der Leichtathletik - eingebunden in das Multisport-Event Die Finals an Rhein und Ruhr - stattfinden. Es lag nicht etwa eine Gefahrenlage in der heißen Luft, die das Abschirmen nötig machten. Anders waren nur die Scharen an Kindern und Jugendlichen, die für Fotos und Autogramme auf der Lauer lagen, nicht zu bändigen.
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Auch im 100-Meter-Finale der Frauen am frühen Abend war es eher ein Begleiten, das die nationale Konkurrenz für Lückenkemper darbot. Nachdem die 26-Jährige im Vorlauf (11,19 Sekunden) und Halbfinale (11,18 Sekunden) zwei kontrollierte Läufe gezeigt hatte, zog sie im Finale das Tempo durch und sicherte sich überlegen in 11,03 Sekunden den zweiten Titel als deutsche Meisterin in Serie, es war ihr vierter über 100 Meter insgesamt.
17-Jährige sorgt für Überraschung auf Platz zwei
Überraschungszweite wurde die erst 17 Jahre alte Chelsea Kadiri (Sportclub Magdeburg) in 11,33 Sekunden, Platz drei belegte Sina Mayer (LAZ Zweibrücken/11,40). Die Wattenscheiderin Tatjana Pinto (31), die sich auf Jamaika in einer Trainingsgruppe rund um Weltmeisterin Shelly-Ann Fraser-Pryce auf die Saison vorbereitet, konnte ihren Vorlauf nicht antreten. Sie war bereits mit Schmerzen in der Kniekehle nach Deutschland zurückgereist.
So konnte auch die ehemalige deutsche Meisterin Gina Lückenkemper nichts entgegensetzen. Den rund 13.000 Zuschauern im Stadion war die Dominanz der alten und neuen Titelträgerin egal – Jubelrufe begleiteten die Athletin des SCC Berlin. „Es war unbeschreiblich und hat einfach Spaß gemacht“, sagt sie nach ihrem Sieg. Die Temperaturen jenseits der 30 Grad konnten ihr nichts anhaben: „Ich trainiere in Florida – ich mag dieses Wetter deutlich mehr als die Kälte“, sagte sie lachend.
Traurige Bilder aus dem Berliner Olympiastadion sind vergessen
Natürlich war ein Großteil der Fans gekommen, um Lückenkemper zu sehen. Sie ist einer der größten Stars der deutschen Leichtathletik, Vorbild und Magnet für zahlreiche junge Fans.
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Genau so stellt sich der deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) das ja auch vor, der längst darum ringen muss, den Nachwuchs für seine Sportart zu gewinnen. In Kassel waren die traurigen Bilder von der DM im vergangenen Jahr, als das Olympiastadion in Berlin nur spärlich besetzt war, vergessen. Trotz der Hitze war das Stadion äußerst gut gefüllt. Die Begeisterung war da. „Wir brauchen die Stadien, in der Größe zwischen 15.000 und 25.000 Zuschauern“, hatte DLV-Präsident Jürgen Kessing im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt. „Die können wir gut füllen.“ Die Leichtathletik gehe „gerne in kleine Stadien. Da ist die Atmosphäre deutlich familiärer, man ist viel näher dran.“
Eigener Fanblock für Gina Lückenkemper
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Das bekam Gina Lückenkemper besonders zu spüren. Auf der Tribüne hatte sie ihren eigenen Fanblock – rund 40 Menschen in einheitlichen T-Shirts machten ordentliche Radau für die Soesterin. Teil der Gruppe waren Familie, Freunde und ungefähr zur Hälfte junge Athletinnen und Athleten von Lückenkempers Heimatverein LAZ Soest.
Der finale Sprung an die Spitze der deutschen Leichtathletik war Deutschlands Sportlerin des Jahres im vergangenen Jahr in München gelungen. Bei der Heim-EM hatte sie ihr eigenes Sommermärchen geschrieben. Mit der Sprintstaffel hatte sie Gold gewonnen und war spektakulär Europameisterin über 100 Meter geworden. Mit allem, was sie hatte, hatte sie sich über die Ziellinie geschmissen, den anschließenden Sturz nahm sie gerne in Kauf – er war am Ende das Gold wert. Ein Bild für die Ewigkeit. Eine Narbe ebenso.
Lückenkemper mit Kampfansage Richtung Leichtathletik-WM
Für Lückenkemper war der Erfolg auch eine Befreiung von Zweifeln, die sie immer wieder begleitet hatten: Nachdem sie 2017 bei der WM in London mit 20 Jahren als erste Deutsche seit Katrin Krabbe 1991 unter elf Sekunden gelaufen war (die 10,95 Sekunden sind bis heute Lückenkempers Bestzeit) und bei der EM 2018 in Berlin als quirlig-quasselnde Vize-Europameisterin die Herzen vieler Fans erobert hatte, folgte eine harte Zeit, geprägt von Verletzungen und Rückschlägen. Lückenkemper drohte zu einer Art Maskottchen zu werden, die Leistungen wollten einfach nicht mehr folgen. Doch ein Wechsel in die USA, in die Trainingsgruppe von Lance Brauman in Florida war für die Soesterin der notwendige Impuls: Plötzlich stimmten Einstellung, Kampfeswille und die schnellen Zeiten waren auch wieder da.
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In diesem Jahr erlebt Gina Lückenkemper die bisher beste Saison ihrer Karriere. Und bei ihrer Saisonbestzeit von 11,00 Sekunden soll noch nicht Schluss sein. Auch in Kassel sagte sie: „Ich wäre gerne noch ein bisschen schneller gerannt. Ich spüre, dass da ordentlich was in er Pipeline ist.“ Mitte August findet die Weltmeisterschaft in Budapest statt. Nachdem Lückenkemper vergangenes Jahr in Eugene/USA das Finale erneut verpasst hatte, „habe ich da noch eine Rechnung offen“. Es gehe jetzt „erstmal darum, den Körper gesund zu halten“, sagte sie. „Dann geht es da ordentlich ab.“