Duisburg. BMX, Bouldern, Breaking: Auf den jungen Sportarten bei den Finals in Nordrhein-Westfalen ruhen auch die Hoffnungen von Olympischen Spielen.
Der junge Mann auf der Bühne trägt schwarz, ausschließlich. Schwarze Hose, schwarzes Shirt, schwarze Kappe. Selbst sein Fahrrad ist schwarz. Und klein. Ein 20-Zoll-Laufrad für einen erwachsenen Mann. Gemeinsam bilden beide eine Einheit, als würden sie tanzen. Es hat etwas Anrührendes wie sich der Mann in schwarz zu dem soften Hip-Hop-Sound akrobatisch und in hohem Tempo mit seinem Rad um die eigene Achse dreht. Willkommen beim BMX! Das Fahrrad-Ballett nennt sich Flat und ist eine Disziplin, bei der Tricks und Drehungen auf dem Boden dargeboten werden.
Die Zuschauer, die an diesem Freitagmittag in den Landschaftspark Duisburg-Nord gekommen sind – und es sind dank der Ferien und des guten Wetters einige –, schauen gebannt und spenden Applaus. Auch wenn die Athleten auf der Bühne gerade nur für ihren großen Auftritt bei der Deutschen Meisterschaft, die als Teil des Multisport-Events Die Finals derzeit unter anderem in Duisburg und Düsseldorf ausgetragen wird, üben, schwappt die Begeisterung über.
Seit 2021 sind BMX und Klettern olympisch
BMX ist in Duisburg mit zwei Disziplinen – Flat und Park – vertreten. Letztere feierte 2021 Olympiapremiere und meint das Springen, Tricksen und Fliegen über Rampen. In brütender Hitze trotzen am Freitag die Athleten den Temperaturen, zeigen auf schwarzem Untergrund und vor der Industriekulisse des ehemaligen Hüttenwerks mit seinen alten Hochöfen Backflips und andere Tricks, die ein Moderator mit „jawoll, Alter!“ kommentiert. Dazu wummert Musik aus den Boxen. Die Zuschauer staunen im nur spärlich vorhandenen Schatten.
Etwas kühler geht es da in der Kraftzentrale zu. Passenderweise sind hier die Männer und Frauen mit den starken Armen vertreten. Bouldern, das Sportklettern in Absprunghöhe ohne Seil, wird hier gezeigt. 2021 in Tokio war es bei der Olympiapremiere eine Teildisziplin des Combined-Wettkampfes. Auch in Paris wird wieder gebouldert. In Duisburg klettern sie an vier Tagen in zwei Disziplinen um die deutsche Meisterschaft. Haben die Topathleten ihre Routen mit den bunten Griffen bezwungen, mischen sie sich ungezwungen unter die Zuschauer. Spitzensport ganz nah erleben – das ist das Konzept der Finals.
Ein Teil der Hip-Hop-Kultur
Fragt man Marco Baaden, Bundestrainer im Breaking, ginge da noch mehr. Sein Sport, der sich vor allem als Teil der Hip-Hop-Kultur versteht, findet auf der gleichen Bühne statt wie BMX-Flat. Der Aufbau mit der Distanz zu den Stuhlreihen passt ihm nicht so recht. „Die Tänzerinnen und Tänzer leben von der Energie des Publikums“, sagt der Hamburger. „Die Atmosphäre ist viel intensiver, wenn es eine runde Bühne mit Zuschauern drumherum gibt.“
Breaking ist ein Neuling auf der großen Sportbühne – man muss sich noch annähern. Ursprünglich ist dieser Tanzsport in den USA erfunden worden, um Konflikte gewaltfrei zu lösen. Im Eins-gegen-Eins-Duell zeigen die Kontrahenten ihr Können, sie reagieren nach nur wenigen Pflichtelement auf die Musik und lassen ihrer Kreativität freien Lauf. Breaking wird 2024 olympisch. Als Teil der Finals wird es am Wochenende erstmals einen Breaking-Wettbewerb im deutschen Free-TV geben.
„Für uns ist das alles ganz neu. Ursprünglich war Breaking in der freien Szene angesiedelt“, sagt Thomas Stark, Bundesbeauftragter für Breaking im Deutschen Tanzsportverband. „Es ist ein Prozess. Da müssen wir auch noch viel Aufklärung in der Szene betreiben.“
Passt so viel Lässigkeit zu Olympia?
Klettern, BMX, Breaking – es sind Trendsportarten, die das Internationale Olympische Komitee in sein Programm gehoben hat. Im Bemühen, ein junges Publikum zu erreichen, das von den Klassikern wie Schwimmen oder Leichtathletik nicht mehr erreicht wird.
In Duisburg funktioniert es. Plötzlich ist da Chris Böhm am Rande der BMX-Bühne. Aufgeregt springen Jungs in der ersten Zuschauerreihe auf und bitten um Autogramme und Fotos. Der BMX-Athlet liefert ihnen die Show, die sie erwarten. Nicht jedem mag Chris Böhm, 39, ein Begriff sein, doch in der Generation der Kinder und Jugendlichen, die mit Tiktok und Youtube großwerden, ist er ein Star.
Aber passt so viel Lässigkeit zu Olympia? Zu diesem alten Dino, mit seinen starren Strukturen, seinen strengen Qualifikationsrichtlinien, Korruptionsverfahren und immer wieder zur Schau gestellten Nähe zu Staaten, in denen Menschenrechte wenig zählen?
Wenn Kultur auf Sport trifft
„BMX passt sehr gut in Olympia“, sagt Kim Lea Müller. Die 21-Jährige gewann vergangenes Jahr in München EM-Silber im Park und strebt nach einer Olympiateilnahme. „Das ist mal eine andere Sportart – dadurch kriegen viel mehr Leute mit, was man mit BMX alles machen kann.“ Auch sie steht für das andere Bild: Leistungssport heißt für sie nicht strikter Ernährungs- und Trainingsplan, sondern „mit Freunden treffen und BMX fahren“.
„Es ist eine Chance“, sagt Marco Baaden. „Hier trifft Kultur auf Sport. Mein Ziel ist es die neue Bühne nochmal richtig zu nutzen, um Aufklärungsarbeit zu leisten, was alles dazu gehört.“ Das werde auch aus der Szene so erwartet. Thomas Stark betont: „Das, was wir aufbauen, ist leistungsorientiertes Tanzen, der Wettbewerb steht im Vordergrund. Entweder man ist dafür bereit und möchte sich messen oder man lässt es.“ So sehen es auch viele andere Athleten: Niemand wird zu einer Olympiateilnahme gezwungen. „Wer keine Lust hat, muss ja nicht mitmachen“, sagt etwa Kim Lea Müller. Mit Videos brachte sie ihrer Oma ihren Sport nahe, heute kann diese mitreden, würde sich über einen Olympiaauftritt ihrer Enkelin freuen.
Athleten wie Kim Lea Müller sorgen für eine moderne, ungezwungene Frische, die Olympia gut zu Gesicht steht. Und geht es um Veränderung passt der Landschaftspark perfekt. Einst wurde hier ein Beitrag zur Stahlproduktion geleistet, heute sind die Hochöfen und alten Industriegebäude Kulisse für Kultur, Sport, Freizeit. Diese unbeweglichen Riesen haben einen Wandel erlebt, warum sollte das nicht auch dem Giganten Olympia gelingen?