Hagen. Die Gastro-Branche klagt über Personalnot. Laut Arbeitsmarkt-Daten hat sich die Lage aber entspannt. Umfrage in der Region bringt Überraschung.
Mike Henning steht jetzt wieder regelmäßig am Tresen. Nicht davor, sondern dahinter. Der Hagener Gastronom muss im Service seines Restaurants am Hengsteysee aushelfen, jeden Tag, erzählt er. Der Personalmangel ist Schuld – und Besserung für Henning nicht in Sicht.
Die Gastro-Branche klagt besonders laut über den Personalmangel. Manche Betriebe, auch in der Region, haben auf fehlendes Personal reagiert, ihre Öffnungszeiten reduziert, die Speisekarte gekürzt. Gleichzeitig aber liefert die Bundesagentur für Arbeit folgende Daten, die auch der Branchenverband Dehoga NRW verwendet: Mit gut 394.000 Mitarbeitern nähert sich die Zahl der Beschäftigten im Gastgewerbe dem Vor-Corona-Niveau (siehe Tabelle). Hans-Dietmar Wosberg, einer der Präsidenten des Dehoga NRW, sprach zuletzt davon, dass sich die Situation trotz einiger Lücken „Schritt für Schritt wieder entspannt“.
Also alles wieder gut? Geht so. Eine Kurzumfrage in der Region ergibt unterschiedliche – und teils unerwartete – Ergebnisse.
Personalmangel? „Ein bisschen eine Ausrede“
So sagt Dan Corcoran, Inhaber des Blackwater Irish Pub in Winterberg: „Ich habe eigentlich zu viel Personal, zwei oder drei zu viel.“ Er habe den Eindruck, dass mancher Gastronom seit Corona weniger arbeiten wolle. Die Klagen über den Personalmangel empfinde er „ein bisschen als eine Ausrede“.
Er habe im vergangenen Jahr über eine Facebook-Seite neue Mitarbeiter gewinnen können. „Profis“, wie er sagt. Branchenerfahrene Kräfte aus ganz Europa, die auf den Malediven, in Florida oder in Dubai arbeiteten und nun für die Sommer- oder Wintersaison zu ihm nach Winterberg kämen. „Ich könnte denen auch Vollzeitjobs geben, aber die wollen nicht“, erzählt Corcoran. Diese Gastro-Kräfte würden im Sommer beispielsweise auf Mykonos arbeiten, im Winter dann bei ihm. Dass diese Mitarbeiter in der Regel zwar Englisch, aber kein Deutsch sprechen, ist für ihn nicht entscheidend. Zum einen passt es zu einem Irish Pub, in dem das Publikum auch international ist. Zum anderen findet Corcoran es ausreichend, wenn mindestens ein Diensthabender Deutsch könne.
Dass er momentan „eigentlich“ zu viele Mitarbeiter hat, verkraftet Corcoran wohl. Er halte sein Personal, weil er es für die Wintersaison brauche. Im Sommer seien bei ihm – inklusive Aushilfen – 22 Mitarbeiter im Einsatz, im Winter dann vier oder fünf zusätzlich. Denen müsse man auch was bieten, und das ist ein weiterer Aspekt: die Bezahlung.
Laut Corcoran erhalten seine Mitarbeiter zwischen 13 und 15 Euro Stundenlohn, hinzu kämen Zuschläge, außerdem Trinkgeld, auch übernehme er die Hälfte der Wohnkosten. So komme er zu ausreichend Personal und müsse keine Abstriche bei den Öffnungszeiten oder dem Angebot machen. „Wenn du Leute finden willst, musst du überall gucken, nicht nur bei der Bundesagentur für Arbeit“, sagt er.
Reizthema Work-Life-Balance
Auch Mike Henning hat sich im Ausland nach Mitarbeitern für seinen Betrieb „Strandhaus“ in Hagen umgesehen. Er sucht weiter. „Gefühlt“ sei der Personalmangel noch schlimmer geworden. „Ich finde keine gelernten Köche, nichts zu machen“, vermeldet Henning.
Eine Rolle spiele bei den Schwierigkeiten, Fachpersonal zu finden, dass „die Work-Life-Balance das große Thema für ganz viele Menschen“ sei. Etwa die Vier-Tage-Woche. „Man kriegt gar nicht die Leute, die was erreichen wollen“, sagt Henning.
40 Mitarbeiter, Teilzeit und Vollzeit, habe er in seinem Restaurant mit Außenterrasse am Hengsteysee. Sein Betrieb laufe gut. Er zahle auch fair. Dennoch fehle Personal, also müsse er jeden Tag im Service aushelfen. Zeit, etwa für die Weiterentwicklung seines Betriebs, bleibe da kaum.
Als Konsequenz aus dem Personalmangel habe er das Angebot reduziert – die Speisekarte, die Öffnungszeiten, manchmal blieben (Teil-)Bereiche drinnen oder draußen zu. „Man muss sich was einfallen lassen, gerade jetzt in der Ferienzeit“, sagt er. Auch seine Mitarbeiter, insbesondere die mit Familie, möchten in den Sommerferien Urlaub machen.
Für Gäste kaum berechenbar
Henning ergeht es da ähnlich wie Karl Anton Schütte vom „Landhotel Gasthof Schütte“ in Schmallenberg-Oberkirchen. Der Hotelier sagt über den Personalmangel: „Wir könnten in der Branche alle mehr machen und würden gerne mehr machen, wenn wir mehr Leute hätten. Hinzu kommt der Zeitgeist. Ich hatte kürzlich wieder ein Gespräch mit einem Mitarbeiter, der aus familiären Gründen nur noch vier Tage pro Woche arbeiten möchte. Da kannst du machen, was du willst.“
Obwohl er vier bis fünf Mitarbeiter zusätzlich einstellen könne, bezeichnet er die Personallage in seinem 4-Sterne-Superior-Hotel als „beherrschbar“. Das ist wohl nicht überall der Fall. „Im Sauerland ist es teils extrem schwierig geworden. In manchen Dörfern kann man als Gast nirgends mehr einkehren. Viele Betriebe haben nur noch donnerstags, freitags und samstags geöffnet oder bieten unterschiedliche Öffnungszeiten an. Darauf kann man sich als Gast kaum einstellen“, sagt Schütte, der sich wie Henning von den offiziellen Beschäftigungszahlen für seine Branche „überrascht“ zeigt.
„Brain Drain“ in Gastro-Branche
Laut Dehoga NRW sei bei den Daten allerdings zu berücksichtigen, dass das Gastgewerbe in NRW immer noch deutlich weniger Mitarbeiter habe als vor der Pandemie (etwa 13.000). Außerdem habe die Branche schon damals mehr Personal benötigt. Und: Man habe einen „Brain Drain“ verkraften müssen.
„Uns fehlt sehr viel Erfahrung. Während Corona haben uns viele Mitarbeiter verlassen, viele von ihnen sind nicht zurückgekommen. Die, die nachgekommen sind, sind neu in der Gastronomie“, sagt Pressesprecher Thorsten Hellwig und betont: „Schon vor Corona war der Tenor, dass der Arbeitskräftemangel mittelfristig das größte Problem des Gastgewerbes sein wird. Daran hat sich leider wenig geändert.“