Essen. Junge Leute konsumieren Lachgas vermehrt als Rauschmittel. In NRW alarmiert der Hype Politik und Medizin. Der Ruf nach Verboten wird laut.
Man bekommt das Gas sogar geliefert. Ein Anruf, eine Textnachricht und eine halbe Stunde später könnten die Flaschen da sein: Lachgas in großen und kleinen Mengen, mit Erdbeergeschmack und ohne, dazu meist schwarze Ballons. Nicht als Partydekoration. Nein, zum Inhalieren.
Lachgas, ein farbloses Gas mit dem chemischen Namen Distickstoffmonoxid, kennt man als medizinisches Narkosemittel oder als kleine Kartusche für simple Sprühsahne auf Omas Apfelkuchen. Unter jungen Menschen hat sich das frei verkäufliche Gas zu einer Partydroge entwickelt. Sie inhalieren es als Rauschmittel für den schnellen Kick und filmen sich nicht selten in ihrem benebelten Zustand fürs Netz. Ein kurzes Gefühl der Schwerelosigkeit und Euphorie soll das Gas bringen, sagen die, die es probiert haben. Und die, die die Folgen sehen, sprechen von einer Gefahr für die Gesundheit.
Neurologe: Im Schlimmsten Fall kann Lachgas das Rückenmark schädigen
„Lachgas kann schwerste Schäden des Nervensystems verursachen“, warnt etwa Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie der Essener Uniklinik. „Der Rausch ist mit maximal einer Minute extrem kurz und das führt schnell zu einem massenhaften Konsum, der erheblichen Schäden zur Folge haben kann.“
Häufig berichtete Nebenwirkungen von Lachgas sind Schwindel und Benommenheit. Aus der medizinischen Praxis berichtet Kleinschnitz auch von Betroffenen, die über Taubheitsgefühle in Armen oder Beinen klagten, bewusstlos geworden seien und sich verletzten. An der Lunge oder im Mundraum sei es zu Verkühlungen gekommen, wenn das Gas direkt aus der Kartusche eingeatmet worden ist. Bei dauerhaftem Konsum seien zudem Lähmungserscheinungen und im schlimmsten Fall sogar Schäden am Rückenmark zu befürchten. Patienten würden mit hochdosiertem Vitamin B12 behandelt.
„Lachgas ist einfach zu bekommen und billig zu haben. Ich halte das für äußerst problematisch“, so der Fachmann. Nötig wäre, den Zugang zumindest für Minderjährige zu verbieten.
Denn Lachgas ist in Deutschland legal zu kaufen und zu besitzen. Während Länder wie die Niederlande oder Großbritannien den Besitz untersagt haben, haben hierzulande selbst Jugendliche wenig Probleme, an eine Kartusche zu kommen. Längst hat sich ein Markt entwickelt, der das Gas mit Fruchtgeschmack im Kiosk, an Partymeilen oder online anbietet. In den sozialen Netzwerken bewerben Händler neue Lieferungen, Partyvideos zeigen tanzende Menschen mit Ballons in den Händen.
Schwarze Ballons am Spielplatz: Ratspolitik verabschiedet Resolution
Fachleute in den Städten sind hellhörig geworden. In Velbertwarnte unlängst eine Suchtberatung vor dem Konsum, der zugenommen habe. In Gelsenkirchenfallen leere Ballons in Parkanlagen und an Spielplätzen auf. In Köln sprach ein Chefarzt im Zusammenhang mit Lachgas-Folgen sogar von „endemischen Ausmaßen“.
Als erste Stadt in NRW hat Wuppertal jetzt reagiert. Der Rat der Stadt hat in dieser Woche eine Resolution verabschiedet und das Bundesfamilienministerium aufgefordert, gerade Kinder und Jugendliche vor dem Konsum von Lachgas zu schützen und das im Jugendschutzgesetz zu verankern. Dirk Kanschat hat die Resolution verfasst. Der CDU-Fraktionsgeschäftsführer hatte sich anfangs nur über Ballons am Parkhaus neben dem Wuppertaler Rathaus gewundert. „Dann standen da zwei junge Mädchen, die solche schwarzen Ballons vor mir versteckten.“ Kanschat wird aufmerksam, hört sich um, auch unter Lehrkräften. Und erfährt von Videos mit Lachgas-berauschten Jugendlichen, die von Schwindel ergriffen die Treppen herunterfallen.
Hinter der Resolution versammelten sich neben der CDU auch SPD, Grüne, FDP, Linke und die Freien Wähler. „Für alle demokratischen Fraktionen war klar, dass wir hier zusammenstehen“, sagt Kanschat. Rückhalt erhält er vom Städtetag NRW. Der Vorsitzende und Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) fordert den Bund zum Handeln auf. So könne es nicht weitergehen. „In anderen europäischen Ländern ist Lachgas verboten oder es gibt eine Altersgrenze – diese Modelle sollten wir uns genau ansehen“, so Kufen.
Mit Ballon am Mund in den Gegenverkehr: Auch Unfälle mehren sich
Auch Unfälle mehren sich offenbar. Im März sind in Dortmundzwei junge Männer noch mit Ballon am Mund in den Gegenverkehr geraten, mutmaßlich haben sie Lachgas konsumiert. In Duisburg krachte im April ein 31-Jähriger gegen einen Baum, hier fand man im Auto eine Gasflasche. Daten dazu, wie verbreitet der Konsum in NRW ist, gibt es kaum. Zahlen des Landeskriminalamts zeigen aber, dass er zunimmt: 2021 wurden laut „Lagebild Rauschgiftkriminalität“ 68 Fälle bekannt, 2022 waren es schon 215. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
Besonders in Großstädten komme es aktuell zu Unfällen, beobachtet Michael Mertens, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Die Leute meinen, dass sie sich mit Lachgas ans Steuer dürften. So ist das aber nicht. Lachgas ist ein berauschendes Mittel. Das ist wie bei einer Narkose beim Arzt, da darf man auch hinterher nicht Auto fahren.“
Die Chance auf ein Verbot sieht Mertens indes skeptisch. „Wir brauchen Aufklärung und sicher eine gesellschaftliche Debatte darüber, ob der Kauf für jedermann legal bleiben sollte. Ich habe aber meine Zweifel, dass eine Bundesregierung, die gerade den Cannabiskonsum legalisiert hat, nun ein Lachgasverbot verhängt.“