Essen. NRZ-Chefredakteur Jens Feddersen schrieb auf dem Weg zur Einheit dutzende Kommentare. Für diese Entwicklung hatte er publizistisch gestritten.

"Es sagt sich so leicht dahin, eigentlich wolle niemand ein geeintes Deutschland. Warum? Eine Wiedervereinigung im Sinne dieses Wortes kann es nicht geben. Selbst das Grundgesetz verlangt sie nicht. .Wieder'-Vereinigung würde die Übernahme des jetzigen DDR-Gebietes und Teilen von Polen durch die heutige Bundesrepublik bedeuten. Wer daran auch nur denkt oder es gar fordert, ist ein politischer Phantast. Deutschland gegen den Rest der Welt, das könnte nur in tiefes Unglück für ganz Europa führen. Aber: Die Einheit der Deutschen, ihre Freiheit und ihre Freizügigkeit, basierend auf der Selbstbestimmung, einem der elementarsten Menschenrechte, dies steht zur Diskussion. Sie ist und bleibt so aktuell wie es die Pflicht der deutschen Politik ist, auf eine Situation in Europa hinzuarbeiten und auf Regierungen einzuwirken, daß die Einheit, die Freiheit und die Freizügigkeit für alle Deutsche möglich wird."

Als Jens Feddersen diese Sätze im September 1989 schrieb, war eines bereits klar: In der DDR bewegte sich etwas. Die Demonstrationen der Bürgerrechtler, die Ströme von Flüchtlingen in den Westen, schließlich: die sich immer deutlicher abzeichnende Macht-Erosion des SED-Regimes.

Feddersen schrieb 76 Kommentare in einem Jahr

Nicht abzusehen war aber, dass wenige Wochen später tatsächlich die Berliner Mauer fallen würde und gut zwölf Monate danach das verwirklicht sein sollte, was Feddersen hier noch als sein politisches Wunsch-Szenario beschrieb: die Deutsche Einheit - im Einklang mit den Nachbarn im Westen wie im Osten. Es war die Krönung von Feddersens journalistischer Karriere, dass er am Ende seiner Laufbahn auch jene Entwicklung als Kommentator begleiten konnte, von der er immer geträumt, für die er immer publizistisch gestritten hatte.

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Zwischen dem 23. September 1989 und dem 9. November 1990 schrieb er insgesamt 76 Kommentare, in denen er für die NRZ-Leser den Weg zur Einheit nachzeichnete, bewertete und vor allem auch vor dem Hintergrund des weltpolitischen Geschehens einordnete. Dabei zog sich als rote Linie eine Botschaft durch alle diese Texte: Die deutsche Wiedervereinigung war die politische Konsequenz aus der bisherigen politischen Entwicklung der Bundesrepublik. Die Deutsche Einheit markierte keinen Bruch gegenüber der westdeutschen Nachkriegspolitik, sondern bildete ihren Höhepunkt.

NRZ-Chefredakteur Feddersen: Der "Linksliberale vom Dienst"

Denn hier erwies es sich, dass die politischen Grundsatzentscheidungen in der Bundesrepublik richtig waren: vom Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft über die feste Einbindung in das transatlantische Bündnis bis hin zur „Neuen Ostpolitik“, die nach der Aussöhnung mit den westlichen Nachbarn auch zu einem neuen Vertrauensverhältnis zu den osteuropäischen Ländern geführt hatte.

So waren diese Kommentare auch noch aus einer anderen Perspektive zu deuten: Hier verdichtete sich noch einmal das politische Weltbild Feddersens, des „Linksliberalen vom Dienst", und seiner Generation, die in der Wiedervereinigung zwar eine großartige Bestätigung ihrer Politik erkennen wollte und auch konnte, gleichzeitig aber auch erkennen musste, dass sich die Hochphase ihres politischen und publizistischen Einflusses ihrem Ende zuneigte: Die Nachkriegszeit ging zu Ende, ihre Zeit.

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Diese Entwicklung spiegelte sich in Feddersens Kommentaren wider: Er hielt es mit Willy Brandts Devise:„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“ Nur war die eben, wie erfeststellen musste, nicht Allgemeingut in der Sozialdemokratie, auf die er in dieser Frage besondere Hoffnungen setzte. Für eine neue Generation, die mit der Frage nach der Deutschen Einheit nicht mehr so recht etwas anzufangen wusste, standen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine - mit ihnen konnte wiederum Feddersen nicht viel anfangen.

Kohl schlug parteipolitisches Kapital aus der Situation

Er setzte seine Hoffnung auf NRW-Ministerpräsident Johannes Rau, der den Brandt-Spruch, so seine Analyse, nicht nur zitiere, wie so viele,„die lange Zeit abseits standen, wenn von der Einheit Deutschlands gesprochen und auch nur darüber nachgedacht wurde".Rau habe vielmehr begriffen, dass die Einheit „dasThema des Jahrzehnts" sei. Er stehe „als sozialdemokratisches Markenzeichen für die Solidität und Unzweideutigkeit dieser Partei in Sachen deutsche Einheit".

Dem Bundeskanzler Helmut Kohl gestand Feddersen zu, klug zu agieren - vor allem auf außen politischem Terrain. Allerdings mangele es dem Kanzler an staatsmännischem Format: Feddersen erwartete von Kohl einen großen Appell an die Bevölkerung, den Weg zur Einheit als gemeinsame nationale Kraftanstrengung zu verstehen, für die auch finanzielle Opfer notwendig seien. Kohl nutze die günstige Situation aber vor allem dazu, um parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen:„Mehr der Mann seiner Partei als der Staatsmann.

Immer wieder erweckt Helmut Kohl den Eindruck, die nationale Frage sei im Grunde genommen Privatsache und ginge höchstens noch den Finanzminister etwas an - nicht einmal seinen Außenminister [...].

Feddersen erhielt Preis für sein journalistisches Lebenswerk

Gerade in Bundesaußenminister Genscher sah Feddersen aber einen Gewährsmann für die Kontinuität deutscher Außenpolitik seit der sozial-liberalen Koalition: So sei eine Diskussion über die Zukunft der Oder-Neiße-Grenze gefährlich, Genscher habe die Aufgabe,„das schiefe Bild von Deutschland zurechtzurücken".

Gleichwohl, im Verlauf des Einigungsprozesses gewann Kohl immer mehr Feddersens Anerkennung - nicht zuletzt auch deswegen, weil die Bevölkerung der DDR in dem westdeutschen Kanzler einen Hoffnungsträger erkannte. Wenngleich er auch am Tag der Einheit selbst, in seinem Leitartikel zum 3. Oktober 1990, eindeutig hervorhob, dass es nicht die Staats männer waren, sondern die Ostdeutschen, die die Wiedervereinigung möglich gemacht haben:„[...] es waren und es sind die Menschen,die den Rahmen der Einheit gezimmert haben und die menschliche Einheit nun vollziehen müssen [...].‘‘

Eineinhalb Jahre später wurde Jens Feddersen für sein journalistisches Lebenswerk und sein publizistisches Streiten für die Deutsche Einheit ausgezeichnet. Der Preis trug den Namen von Konrad Adenauer, verliehen wurde er von der Deutschland-Stiftung.„Speerspitze der Opposition" hatte einst Franz Josef Strauß diese Einrichtung genannt und damit den publizistischen Kampf der Stiftung in den 1970er Jahren gegen die Brandtsche Ostpolitik loben wollen. Die „Deutschland-Stiftung" war in dieser Zeit ein Zentrum der rechtskonservativen Kräfte innerhalb der Unionsparteien.

Adenauer stand in Leitartikeln für erstarrte Republik

Zu ihren Förderern zählten Axel Springer und eben Franz Josef Strauß, Vorsitzender der Stiftung war viele Jahre lang Gerhard Löwenthal, der mit seinem ZDF-Magazin während der 1970er und 1980er Jahre aus linker Perspektivedie Figur des „Kalten Kriegers" unter den deutschen Journalisten ideal verkörperte. Nun wurde also Jens Feddersen, der„Linksliberale vom Dienst“, ausgerechnet von dieser Stiftung geehrt. Ein Zeichen von Versöhnung?

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Konrad Adenauer - der Name des Gründungskanzlers stand in den 1960er Jahren in den Leitartikeln Feddersens als Synonym für eine erstarrte Republik, eine unbewegliche Politik; wenn er auch trotz dieser Kritik der gelungenen Westintegration der Bundesrepublik Respekt zollte. Nun aber, drei Jahrzehnte später, weckte der Name Konrad Adenauer bei ihm ganz andere Assoziationen: Nun stand der erste Bundeskanzler symbolhaft für die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik-die sich in derWiedervereinigung bestätigte. So lernen politische Gegner von einst, sich besser zu verstehen. Das Gemeinsame rückte in den Vordergrund.

Es lag weniger in gleichen weltanschaulichen Grundvorstellungen. Es verband, bei allen politischen Differenzen im Detail, in der gleichen Zeit politisch aktiv gewesen und durch ie gleichen Ereignisse geprägt worden zu sein. Die Angehörigen der jungen Generation, die jetzt langsam überall in der Gesellschaft in den Führungspositionen nachrückten, waren anders geprägt. In der Politik, der Wirtschaft, aber auch in den Zeitungsredaktionen. „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt"-dieses Zitat des Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter stellte Feddersen bei der Adenauer-Preisverleihung als Motto vor seine Dankesrede.

Feddersen zum Mauerfall: :„Es ist die Freiheit, die gesiegt hat"

Und in derTat: Egal, welcher Partei sieangehört hatten,die Angehörigen der Generation Feddersen hatten nach Berlin geschaut. Für sie war die Frage nach der Wiedervereinigung immerein Herzensanliegen. Jüngere Journalisten trieben andere Probleme um. Das zeigt auch ein Blick in die NRZ-Redaktion.1991 gewannen jüngere Redakteure der NRZ, Jörg Bartel, Cornelia Färber und Alexander Richter,gemeinsam den renommierten Theodor-Wolff-Preis. IhrThema: der Müll - es ging ihnen um Umwelt- und Naturschutz.

Doch bei der Feierstunde für Feddersen im Oktober 1992 konnte die alte Bundesrepublik noch einmal zu sich selbst kommen. Und Feddersens Dankesrede wirkte denn auch wie eine Kurzzusammenfassung des Selbstverständnisses der alten Bonner Republik: „Die Politik der Aussöhnung und Berechenbarkeit nach Osten (Brandt/Scheel/Genscher), die Suche nach Vertrauen und Glaubwürdigkeit in eine demokratisch geprägte und gefestigte Bundesrepublik, die zementierte Einbettung in Europa, die Einbindung in die Atlantische Allianz."

Am Ende stand ein Appell Jens Feddersens:„Es ist die Freiheit, die gesiegt hat. Sie wird niemandem geschenkt." Wollte Feddersen Mut machen oder war dieser Appell eine Mahnung? Ein Jahr später ging er in den Ruhestand, 1995 starb Jens Feddersen.