Am Niederrhein. Nach der fünften Operation ist Malon Stalinski aus Rheurdt endlich ein Mann. Im Interview spricht er über diese einschneidende Veränderung.
Gab es in diesem Jahr eigentlich noch ein anderes Thema außer Corona? Natürlich. 2020 wird für Malon Stalinski aus Rheurdt von bleibender Erinnerung sein. Ab jetzt ist er auch biologisch: ein Mann. Endlich. Vor 27 Jahren wurde er im Körper eines Mädchens geboren, aber von klein auf fühlte er sich als ein Junge.
Damals begann für ihn ein Leidensweg, von dem wir im Dezember 2019 erstmals berichteten. Seitdem duzen er und der Autor dieser Zeilen sich, für manche Geschichten braucht es eben ein besonderes Vertrauen. Nun trafen wir uns wieder. Seine fünfte Operation, „hoffentlich meine allerletzte“, liegt seit sechs Monaten hinter ihm.
Alles gut?
„Ich bin glücklich.“
Sind damit alle Schmerzen vergessen?
„Nein. So schnell und so einfach geht es nicht. Das wurde mir in diesem Jahr noch einmal bewusst. Es war wie eine Achterbahnfahrt, erst ging es richtig tief runter, dann – zum Glück – wieder rauf."
Erzähl, bitte.
„Nach dem Tod meines Opa ging es mir richtig schlecht. Mit der Trauer darüber kamen meine eigenen Probleme wieder hoch. Irgendwie konnte ich innerlich nicht mit meiner körperlichen Entwicklung mithalten. Bis dahin hatte ich drei Operationen hinter mir. Ich muss mir wohl eingestehen: Ich habe mir nicht genügend Zeit gegeben, um ausführlich genug darüber nachzudenken, wie mich jeder Eingriff auch psychisch verändert. Mir ging es vor allem immer nur um den nächsten Schritt, um die nächste OP.“
Mit welchen Folgen für Dich?
„Ich bin in ein tiefes, emotionales Loch gefallen. Nichts ging mir. Ich war antriebslos, habe mich zurückgezogen, konnte nicht mehr arbeiten. Leider musste ich deshalb meine Ausbildung zum Erzieher abbrechen. Aber ich habe es einfach nicht mehr geschafft, in die Schule oder zum Praktikum zu gehen. Ich war überlastet und alleine nicht stark genug, dagegen anzugehen. Deshalb habe ich mir wieder therapeutische Hilfe gesucht.“
Um Dich auf die fünfte, letzte OP vorzubereiten.
„Genau. Damit soll der operative Teil meiner Geschlechtsangleichung abgeschlossen sein. Diese fünfte, letzte OP war ein wichtiges Ziel für mich, auf das ich jahrelang hingearbeitet habe. Ich wollt es unbedingt erreichen."
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Wo und wie verlief diese Operation?
„Anfang Juli war ich wieder in den Lubos-Kliniken in München-Bogenhausen. Der dortige Chefarzt Dr. Markovsky ist in der Transgenderszene ein Begriff. Corona-bedingt konnten meine Eltern diesmal nicht mitkommen. Das war sehr schade und etwas komisch. Über Telefon und Skype habe ich Kontakt zu ihnen gehalten. Die OP war im Vergleich zur vorherigen eher harmlos, dauerte bloß eineinhalb Stunden, es gab keine Komplikationen. Insgesamt war ich eine Woche im Krankenhaus."
Was genau wurde gemacht?
„Es wurde da weiter operiert, wo vor einem Jahr aufgehört wurde. 2019 wurde bei mir ein sogenannter Penoid aufgebaut. Dabei wird aus körpereigenem Gewebe ein neuer Penis mit Eichel geformt. Bei mir wurde dazu Haut vom linken Unterarm entnommen, mitsamt Blutgefäßen und Nerven. Es war der längste und schwierigste Eingriff, der knapp sieben Stunden dauerte. Dagegen war diese OP jetzt eher ein Klacks. Es wurden noch die Erektionsprothese und das Hodenimplantat eingesetzt. Fertig."
Der Moment, in dem Du aus der Vollnarkose wieder aufgewacht bist, …
„... war weniger schmerzvoll, als ich vorher befürchtet hatte. Ich hatte kaum Schmerzen und war gut mit einem Medikament dagegen eingestellt. Geweint habe ich trotzdem. Vor Freude. Ich war total überwältigt. Ich konnte es kaum glauben, es endlich geschafft zu haben. Dieses Gefühl musste erst einmal raus, denke ich."
Es muss ein schönes Gefühl gewesen sein?
„Absolut. Es war schön, und es ist schön. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Operationen. Dieser Teil meines Weges ist nun abgeschlossen. Aber ich habe begriffen, dass ich noch eine Weile brauchen werde, um alles richtig zu verarbeiten. Ich möchte mir Zeit geben, nichts überstürzen. Das Jahr 2020, diese Achterbahnfahrt, war mir eine Lehre."
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Wie geht es mit Dir weiter?
„Jetzt beginnt mein neues Leben. Ich hoffe, ich kann ab sofort so leben, wie ich es möchte. Seit August arbeite ich wieder. Ich bin ja gelernter Kinderpfleger. Ich hatte mich nach einer passenden Stelle umgeguckt und habe eine in einem Kindergarten in Rheurdt gefunden. Bisher ist es ein Halbtagsjob, aber im Januar 2021 kann ich ein wenig aufstocken."
Also war 2020, ausgerechnet dieses blöde Corona-Jahr, Dein Jahr?
„Rückblickend betrachtet: Ja!" (lacht)
Hintergrund: Der lange Weg des Malon Stalinski
Malon Stalinksi wurde 1994 in Geldern geboren. Seine Eltern gaben ihrem Kind den Vornamen Kristina. Sehr früh wurde ihm klar: "Irgendetwas ist anders mit mir. Ich fühle mich in meinem Körper nicht richtig." Ein Leidensweg begann, der in der Pubertät noch schlimmer wurde. Im Alter von 22 Jahren holte er sich Hilfe in einer Psychotherapie, die eineinhalb Jahre dauerte.
Damals begann auch eine mehrmonatige Hormonbehandlung. Zwei Gutachter befragten ihn, danach konnte er seinen weiblichen Vornamen ablegen, seitdem heißt er laut Pass: Malon. "Den Namen habe ich mir selbst ausgesucht." Dann folgten die Operationen, insgesamt fünf in fünf Jahren, in einer Spezialklinik in München. Die Brust wurde entfernt, die Gebärmutter und die Eierstöcke entnommen. Die Scheide wurde geschlossen, eine Harnröhre verlegt. Und zuletzt ein männliches Geschlechtsteil gebildet. Damit ist die körperliche Geschlechtsumwandlung, Malon Stalinksi spricht lieber von einer "Geschlechtsangleichung", abgeschlossen.