Am Niederrhein. . Seine Politik führte letztlich zur fast völligen Zerstörung seiner Geburtsstadt. Joachim von Ribbentrop aber ist in Wesel kaum bekannt.

Wenn am 1. September 2019 an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor dann genau 80 Jahren erinnert wird, könnte auch er (endlich oder wieder?) in den Blickpunkt rücken: Joachim von Ribbentrop.

In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur war er ab 1938 der Reichsaußenminister. Er gehörte zu den 24 Hauptkriegsverbrechern, die 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof angeklagt und verurteilt wurden. Der Nürnberger Prozess endet für ihn durch „Tod durch den Strang“.

Hier saß er als amtliche Nummer 3 auf der Anklagebank. Hermann Göring war die Nummer 1, Rudolf Heß die Nummer 2. Als Erster erhängt wurde Ribbentrop. Göring beging zuvor Selbstmord, Heß wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Weniger bekannt in der Öffentlichkeit ist: Ullrich Friedrich Willy Joachim Ribbentrop, sein adelig klingendes „von“ erkaufte er sich erst später, wurde am 30. April 1893 in Wesel geboren.

Joachim von Ribbentrop in SS-Uniform, deren Mitglied er seit 1933 war. Das Bild ist auf 1938 datiert.
Joachim von Ribbentrop in SS-Uniform, deren Mitglied er seit 1933 war. Das Bild ist auf 1938 datiert.

Damit ist Joachim von Ribbentrop neben NS-Propagandaminister Joseph Goebbels aus Rheydt, heute ein Stadtteil von Mönchengladbach, der zweite Niederrheiner, der zu den obersten Helfern von Adolf Hitler gehörte.

Der selbst ernannte Führer des deutschen Volkes schwärmte von ihm bisweilen als „ein Außenpolitiker neues Typs“ und „ein Genie“, ja sogar als „ein zweiter Bismarck“.

Von Douglas Glen und Paul Schwarz, zwei zeitgenössischen Beobachtern der Diplomatenszene in den 1930er und 1940er Jahren, wurde er hingegen als einer der entscheidenden Kriegstreiber im NS-Regime charakterisiert.

Wesel, eine total zerstörte Stadt

In welcher Katastrophe die zwölfjährige Terrorherrschaft der Nazis endete, ist hinlänglich bekannt – unter anderem mit der fast völligen Zerstörung der Stadt Wesel, vor allem durch alliierte Bombenangriffe zwischen dem 16. und 19. Februar 1945. Laut Statistik gilt Wesel als die am meisten zerstörte Stadt in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges. Die Trümmer-, Schutt- und Asche-Quote soll damals bei 97 Prozent gelegen haben.

Umso erstaunlicher erscheint es aus heutiger Sicht, wie wenig bis gar nicht der Name Joachim von Ribbentrop in der Geschichtsschreibung der Stadt Wesel für die Nazizeit eine Rolle spielt.

Nachfragen, beispielsweise bei der Historischen Vereinigung Wesel oder im LVR-Niederrheinmuseum (früher: Preußenmuseum), bringen kaum mehr Erkenntnisse als jene, die im Wikipedia-Eintrag nachzulesen sind. Die Angaben zu Wesel gehen kaum über die hinaus, die Joachim von Ribbentrop selbst im Schwurgerichtssaal 600 des Justizpalastes in Nürnberg machte – bis auf die Angabe des Geburtsortes hatte er dort nichts weiter darüber zu berichten.

Joachim von Ribbentrop auf der Anklagebank in Nürnberg. Hier wurde er 1946 zum Tod durch den Strang verurteilt.
Joachim von Ribbentrop auf der Anklagebank in Nürnberg. Hier wurde er 1946 zum Tod durch den Strang verurteilt.

Eine mögliche Erklärung dafür sei die sehr kurze Lebenszeit, die er in Wesel verbrachte, mutmaßt Stadtarchivar Dr. Martin Roelen. „Sein Vater wurde bereits 1894 nach Kassel versetzt. Da blieb ihm keine Zeit, hier irgendwelche große Spuren zu hinterlassen.“

Aus den Unterlagen des Hauses in der Zitadelle geht hervor, dass der Vater Richard Ullrich Friedrich Wilhelm Ribbentrop (1859–1941) zu dieser Zeit Premier-Leutnant, also Oberleutnant, beim hiesigen Feldartillerie-Regiment Nr. 7 war. Er lebte in einer Dienstwohnung auf dem Truppenübungsplatz in Friedrichsfeld, aber er besaß auch eine Privatwohnung in der Hohe Straße 453 in Wesel.

Nein, heißt es aus dem Stadtarchiv, zur Zeit des Nationalsozialismus habe es in Wesel nie eine Straße gegeben, die nach dem nun plötzlich berühmten Sohn der Stadt umbenannt wurde.

Göring: Ehrenbürger in Emmerich

Die Frage ist nicht so weit hergeholt, wie sie mittlerweile klingen mag – siehe Emmerich: In einer der kürzesten Ratssitzungen der Stadtgeschichte, die nur 17 Minuten dauerte, wurde am 27. August 1933 beschlossen, den damaligen preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring zum Ehrenbürger zu ernennen.

Dazu muss man wissen: Die Familie Göring hat niederrheinische Wurzeln, die bis ins 18. Jahrhundert reichen. Großvater Wilhelm und Vater Heinrich waren als Richter am hiesigen Amtsgericht tätig. Ihr Haus befand sich auf der Steinstraße, die Großeltern wurden auf dem alten Friedhof beerdigt.

Hermann Wilhelm Göring, der nachher mit Joachim von Ribbentrop auf der Anlagebank saß, kam 3. Juni 1934 persönlich in die Rheinstadt, um den Ehrenbürgerbrief in Empfang zu nehmen, übrigens in weißer Uniform.

In Wesel also erinnert nichts mehr an den NS-Außenminister, dessen größter diplomatischer Erfolg – aus Sicht von Nazi-Deutschland – der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt war, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt.

Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes. Mit dabei: NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop (Mitte, hinten).
Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes. Mit dabei: NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop (Mitte, hinten). © National Archiv, USA

Der Vertrag garantierte dem Deutschen Reich die sowjetische Neutralität bei einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Polen und den Westmächten. In einem geheimen Zusatzprotokoll wurden das Baltikum und Teile von Osteuropa untereinander aufgeteilt.

Datum der Unterzeichnung: 24. August 1939. Acht Tage später befahl Adolf Hitler den Einmarsch in Polen. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs, den Joachim von Ribbentrop nach Meinung des Historikers Wolfgang Michalka mit seiner „Revisionspolitik“ unterstütze.