An Rhein und Ruhr. Viele Menschen in NRW engagieren sich auf unterschiedliche Weisen ehrenamtlich. Wie Fritz Wagener eine Institution in Rheinberg rettete.

Egal ob im Sportverein, der eigenen Kirchengemeinde, der Flüchtlingshilfe oder der direkten Nachbarschaft: Viele Menschen in Nordrhein-Westfalen engagieren sich ehrenamtlich. Eine aktuelle Forsa-Umfrage, der „Ehrenamtatlas 2024“, zeigt, dass sich 54 Prozent der erwachsenen Menschen in NRW auf verschiedene Arten und Weisen einbringen – sie investieren dabei durchschnittlich 208 Stunden im Jahr dafür.

Mehr als „nur“ Gaststätte, Teil des Dorflebens

Über diesem Schnitt dürfte Friedrich „Fritz“ Wagener liegen. Er ist der Vorsitzende der Genossenschaft, welche die Gaststätte „Schwarzer Adler“ in Rheinberg-Vierbaum vor dem Aus rettete. „Der Schwarze Adler Vierbaum ist Kulturtreff, Restaurant, Ausstellungsort, Biergarten, Dorfkneipe, Begegnungsstätte und Veranstaltungsort mit Bühne und großem Saal“, erklärt Wagener. Er ist aber auch noch viel mehr. „Der Schwarze Adler ist Teil des Dorflebens. Hier werden Hochzeiten, Taufen oder Geburtstage gefeiert, er ist auch Ort für Nachfeiern.“

Friedrich Wagener, genannt „Fritz“, ist Vorstand der „Schwarzer Adler Genossenschaft“.
Friedrich Wagener, genannt „Fritz“, ist Vorstand der „Schwarzer Adler Genossenschaft“. © NRZ | Florian Langhoff

Anfang 2019 musste das Dorf Vierbaum bangen. Damals wurde bekannt, dass der bisherige Besitzer Ernst Barten den Schwarzen Adler aus Altersgründen – Barten wollte mit 70 Jahren kürzertreten – aufgeben wollte. Barten hatte den „Adler“, der auf eine 200 Jahre währende Geschichte zurückblicken kann, 1983 übernommen und zu einer Institution im Kulturleben des Niederrhein gemacht. „Uwe Lyko oder Helge Schneider haben hier zu Beginn ihrer Karrieren gespielt, für kleines Geld“, führt Fritz Wagener an.

Die rettende Idee: Es wird eine Genossenschaft gegründet

Dass es plötzlich zu Ende sein sollte, das war für viele im Dorf unvorstellbar. Doch dann hatte Wagener die rettende Idee. „Über einen Bekannten bin ich auf das Modell der Genossenschaften gestoßen. Es gab einige Vorbilder, bei denen Kneipen von Genossenschaften übernommen wurden.“

Inzwischen sind knapp 350 Personen zusammengekommen, die einen Genossenschaftsanteil von jeweils mindestens 1000 Euro geleistet haben.

In den 80er- und 90er-Jahren in der Disco kennengelernt

„Für mich selbst bedeutet der Schwarze Adler Lebensqualität“, berichtet Wagener. „Seit Jahr und Tag haben wir uns nach dem Sport am Freitagabend hier getroffen und zusammengesessen. Viele Menschen, die sich hier heute engagieren, haben sich in den 80er- und 90er-Jahren in der Disco kennengelernt.“

Die Genossenschaft habe beständig in den Adler investiert, in Ausstattung für das Restaurant, für Konzerte auch draußen, etwa in einen Beamer oder in den Biergarten, der nun auch eine Überdachung hat. „Zur Europameisterschaft planen wir, Spiele zu übertragen.“ Das alles funktioniere, weil sich die Menschen einbringen, auch mit neuen Ideen. „Wir bieten verschiedene Veranstaltungen an, zum Teil mit bis zu 200 Gästen.“

Welche Stärken haben Interessierte?

Welche Bedeutung der ehrenamtliche Einsatz für das Zusammenleben hat, das weiß auch Anne-Kathrin Lehmann nur zu gut. Sie ist Fachdienstleiterin Gemeindecaritas/Ehrenamtskoordination beim Caritasverband Kleve. „Wir schauen bei den Menschen, die zu uns kommen, darauf, was denn ihre Stärken sind, worauf sie Lust haben.“

Bürger leisten ehrenamtliche Arbeit in Milliardenhöhe

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat für den „Ehrenamtatlas 2024“ im Auftrag von „Westlotto“ Anfang des Jahres rund 10 000 Menschen – mindestens 200 pro Kreis oder kreisfreier Stadt – in NRW ab 18 Jahren repräsentativ befragt. Insgesamt leisten die Bürgerinnen und Bürger demnach ehrenamtliche Arbeit zum Beispiel in Sportvereinen oder der Kirche im Wert von 20,9 Milliarden Euro. Grundlage der Berechnung ist dabei der aktuelle Mindestlohn. Die Stadt Höxter erreicht demnach landesweit mit einer Quote von 75 Prozent einen Spitzenwert. Durchschnittlich leisten Freiwillige jährlich 208 Stunden ehrenamtliche Arbeit.

„Die Menschen engagieren sich und tun das so, wie sie das möchten und wo es ihnen wichtig ist. Dabei zeigt sich immer mehr nicht institutionelles Engagement, etwa in der Nachbarschaftshilfe“, sagte Andreas Kötter, Sprecher der Geschäftsführung von Westlotto, der das Projekt der staatlichen Lotteriegesellschaft vorstellte. Der digitale Ehrenamtatlas zeigt für die 53 Kreise und kreisfreien Städte in NRW den Prozentsatz der ehrenamtlich Engagierten, deren zeitlichen Aufwand und den wirtschaftlichen Gegenwert. dpa

Die Caritas verfüge im Kreis Kleve über ein großes Netzwerk an Partnern, an welche die Ehrenamtlichen vermittelt werden können. „Unsere Aufgabe ist vor allem die Begleitung von Ehrenamtlichen“, so Lehmann. „Es kommen unterschiedliche Menschen zu uns. Bei den Jüngeren sind es etwa Zugezogene, die über das Ehrenamt Kontakte knüpfen wollen.“ Jüngere, das zeige die Erfahrung, wollen sich auch über ein Ehrenamt weiter qualifizieren, neue Dinge erlernen.

„Wir bekommen mit, dass sich Geflüchtete engagieren und etwas an die Gemeinschaft zurückgeben wollen, die sie aufgenommen hat. Sie wollen dadurch auch ihre Sprachkenntnisse verbessern.“ Doch könne es für diese Zielgruppe noch deutlich mehr Angebote geben, sei die Vermittlung nicht immer einfach, erklärt Lehmann.

Aus dem Beruf rein ins Ehrenamt

„Wir erleben auch, dass sich ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger einbringen wollen. Da gibt es beispielsweise die Gruppe der Berufstätigen, die ihr erlerntes Wissen weitergeben wollen, etwa Sprachkenntnisse.“ Dann gebe es die Gruppe der Menschen, die gerade frisch aus dem Beruf heraus sind und nun Zeit für Engagement haben.

Lehmann erlebt durchaus einen Wandel. Eine Entwicklung sei, dass sich viele Ehrenamtliche nicht mehr auf Dauer binden wollen, sondern eher projektbezogen denken. „Da gibt es Menschen, die sagen, ‚Ich habe drei Monate Zeit, ich möchte etwas tun‘. Das ist ein großes Thema für uns, auf das wir uns einstellen müssen.“

Viele Menschen wollen sich im Kinder- und Jugendbereich engagieren. Dieser ist auch gut ausgelastet.
Anne-Kathrin Lehmann - Fachdienstleiterin Gemeindecaritas/Ehrenamtskoordination im Caritasverband Kleve

Zudem gebe es gewissermaßen eine Ungleichverteilung bei den Interessensgebieten. „Viele Menschen wollen sich im Kinder- und Jugendbereich engagieren. Dieser ist auch gut ausgelastet.“ Doch ohne vorherige Kenntnisse oder Fortbildungen sei ein Einsatz in vielen Einrichtungen nicht möglich. „Es fehlt vielleicht etwas an niederschwelligen Angeboten.“

Immer wieder erhalte der Caritasverband Anfragen, die etwa für Seniorinnen und Senioren eine Begleitung suche. „Diese leiten wir dann weiter.“

Ehrenamtsbörse: Hilfe mit dem Smartphone und Besuchsdienste

Für Wesel und Hamminkeln wäre in so einem Fall die „Ehrenamtsbörse“ der richtige Anlaufpunkt. Auf der Webseite können sowohl Hilfsgesuche als auch Hilfsangebote eingestellt werden.

So bietet der „Besuchsdienst beieinander“ an, Seniorinnen und Senioren, die zu Hause alleine leben, sie beispielsweise bei einem Spaziergang zu begleiten. Ein anderer Weseler bietet hingegen älteren Menschen Unterstützung im Umgang mit Smartphone und Tablets an.