Berlin/Düsseldorf. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir legt die Waldzustandserhebung 2023 mit erschreckenden Zahlen vor. Naturschützer üben harte Kritik.
„Der Wald entwickelt sich zum Dauerpatienten“: Diese drastischen Worte wählte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nun bei der Vorstellung der Waldzustandserhebung 2023. Von den verbreitetsten Arten in Deutschland, das sind Fichte, Kiefer, Buche und Eiche, seien demzufolge vier von fünf Bäumen krank. „Die Klimakrise hat unseren Wald fest im Griff, langandauernde Trockenheit und hohe Temperaturen der letzten Jahre haben bleibende Schäden hinterlassen“, meint Özdemir.
Auch NRW-Bericht spricht deutliche Sprache
Diese für ganz Deutschland geltenden Ergebnissen decken sich auch mit Erkenntnissen aus dem jüngsten NRW-Waldzustandsbericht 2023. Die nordrhein-westfälische Forstministerin Silke Gorißen hatte bei dessen Vorstellung bereits gewarnt, dass nur ein Viertel der untersuchten Bäume über dichte und gesunde Baumkronen verfügen würden. „Die Dürreperioden der letzten Jahre zeigen deutlich, dass unsere Wälder stark vom Klimawandel betroffen sind.“
Über 140.000 Hektar Wald in Nordrhein-Westfalen seien geschädigt, so Gorißen, davon seien die meisten Bäume Fichten. „Das zeigt die große Notwendigkeit einer Wiederbewaldung mit Mischwäldern, die im Klimawandel bestehen können.“
Das sind die Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2023
Für eine Beurteilung des Waldzustands nehmen Fachleute der Länder auf systematisch über die gesamte Waldfläche Deutschlands verteilten Stichprobenpunkten den Kronenzustand der Waldbäume auf. Die Abweichung von einer vollständigen Belaubung wird in fünf Stufen angegeben. Bei der Schadstufe 0 handelt es sich um gesunde Bäume ohne eine Kronenverlichtung, bei Schadstufe 4 (keine Blätter mehr vorhanden) gilt der Waldbereich als abgestorben.
Erhebung wird seit 1984 durchgeführt
Die bundesweite Waldzustandserhebung wird seit 1984 jährlich von den Ländern auf einem systematischen Netz (16 km x 16 km) von Stichproben durchgeführt. Das Bundesergebnis wird aus den von den Ländern bereitgestellten Rohdaten am Institut für Waldökosysteme des Thünen-Instituts (Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei) hochgerechnet.
Seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984 seien die Anteile der Schadstufen 2 bis 4 und die mittlere Kronenverlichtung, also der sichtbare Blatt- bzw. Nadelverlust, aller Baumarten angestiegen, berichtet das Bundeslandwirtschaftsministerium. So hat gerade die Fichte stark zu kämpfen. Ohne Verlichtungen waren nur noch 17 Prozent (vgl. 2022: 24 Prozent). Im Vergleich zu den anderen Hauptbaumarten weist die Fichte die höchste Absterberate auf, fasst die Waldzustandserhebung zusammen.
Cem Özdemir sieht akuten Handlungsbedarf. „Wir müssen unserem wertvollen Ökosystem also eine Langzeit-Kur verschreiben.“ Die Bundesregierung sei nicht tatenlos. „Wir haben daher alleine dieses Jahr 250 Millionen Euro für Waldförderung eingeplant, um den Wald gegen die Klimakrise zu wappnen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den Wald zu erhalten für uns, unsere Kinder und unsere Enkel.“
Nabu-Präsident dringt auf Reform des Bundeswaldgesetzes
Für den Präsidenten der Naturschutzorganisation Nabu, Jörg-Andreas Krüger, zeige der neue Waldzustandsbericht eine Sache sehr deutlich: „Der deutsche Wald steht an der Belastungsgrenze.“ Einige Lobbyverbände würden so tun, als könne alles so bleiben, wie es ist. „Doch auch sie können nicht länger die Augen davor verschließen, dass der Wald naturverträglich bewirtschaftet werden muss, damit es ihn morgen noch gibt“, betont Krüger.
Ein Schlüssel sei die Reform des aktuellen Bundeswaldgesetzes. „Es muss zu einem Gesetz werden, das unsere Wälder schützt und widerstandsfähig macht.”
Der Nabu stellt konkrete Forderungen an die Bundespolitik. So solle es „zeitgemäße gesetzliche Vorgaben für ein Kahlschlagverbot, ein Entwässerungsverbot, mehr Schutz für den Waldboden sowie einen zügigen Waldumbau weg von naturfernen Nadelforsten hin zu stabileren und widerstandsfähigeren Laubmischwäldern“ geben. Gerade in ein neues Waldgesetz setzt der Nabu große Hoffnungen, dieses müsse aber verbindliche ökologische Mindeststandards festschreiben, etwa im Hinblick auf den Schutz der Artenvielfalt, den natürlichen Klimaschutz und den Wasserrückhalt.
Greenpeace: Verantwortung liegt bei regulierter Forstwirtschaft
Auch von der Umweltschutzorganisation Greenpeace hagelt es Kritik. „Landwirtschaftsminister Cem Özdemir schiebt den schlechten Zustand der Wälder vor allem auf die Klimakrise und unterschlägt damit die Verantwortung der von ihm regulierten Forstwirtschaft“, führt Dorothea Epperlein an.
Das „laxe Waldgesetz“ habe aus Sicht von Epperlein der industriellen Forst- und Holzwirtschaft 50 Jahre lang einen Freifahrtschein ausgestellt, „um wertvolle Wälder rücksichtslos auszubeuten – auf Kosten von Umwelt und Klima“. Minister Özdemir habe jetzt die historische Chance, das bestehende „Abholz-Gesetz“ in ein „Waldschutz-Gesetz“ umzuwandeln. Dorothea Epperlein spricht dem grünen Politiker förmlich ins Gewissen: „Für einen grünen Minister sollte selbstverständlich sein, dass Kahlschläge und die industrielle, intensive Forstwirtschaft der Vergangenheit angehören.“
Waldbesitzer fordern finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern
Aus Reihen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände e.V. (AGDW) gibt es unterdessen Rufe nach finanzieller Unterstützung. „Die umfangreichen Schäden sind langfristig eine enorme waldbauliche und wirtschaftliche Herausforderung für die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer“, urteilt AGDW-Präsident Prof. Dr. Andreas Bitter. „Umso wichtiger ist es, dass Bund und Länder die Wiederbewaldung von 600.000 Hektar Schadflächen und den Umbau von fast 3 Mio. Hektar Wald hin zu klimastabilen Wäldern weiterhin finanziell unterstützen.“
Für Bitter stehe fest, „dass nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen die Ursache für die Waldschäden sind, sondern der Klimawandel und dessen Folgen“. Das geltende Bundeswaldgesetz habe sich bewährt und sei auch in den kommenden Jahren eine gute Grundlage für die Waldbewirtschaftung. „Wir brauchen Pragmatismus, keine zusätzliche Regulierung, die den notwendigen klimaresilienten Waldumbau lähmt.“
Förderlücken dürfen nicht gerissen werden, fordert Bitter
Der AGDW sieht ein mögliches Aus für den Waldklimafonds, der als zentrales Förderinstrument für Forschung zu Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen in den Wäldern gilt, kritisch. „Einerseits zu Recht den schlechten Waldzustand zu beklagen, aber andererseits drastische Förderlücken in die Forschungslandschaft zu reißen, passt nicht zusammen.“