An Rhein und Ruhr. Im Interview spricht Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen über Klimawandel, Lebensmittelverschwendung, Stickstoffdebatten – und Kichererbsen.
Silke Gorißen war auf den Besuch in der Essener Zeitungszentrale sehr gespannt. Schließlich kennt sie die Zeitung lange. Die 51-Jährige ist in Kleve geboren, war dort auch Landrätin, bevor Hendrik Wüst die Christdemokratin als Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in sein schwarz-grünes Kabinett holte.
Die Spitzenpolitikerin ist sehr pünktlich. Kein Stau auf dem Weg vom Niederrhein ins Ruhrgebiet. Das ist eher selten. Eine gute Stunde hat sie sich an diesem Morgen Zeit genommen für die Fragen der Redaktion. Ein Gespräch über Klimawandel, Lebensmittelverschwendung und Stickstoffdebatten mit den Niederlanden und Finanzengpässe bei den Bürgern.
Frage: Morgen beginnt die Messe „Internationale Grüne Woche“ für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau in Berlin. Was beschäftigt die NRW-Landwirtschaft aktuell?
Silke Gorißen: Ganz klar geht es dort auch um den nachhaltigen Umbau der Nutztierhaltung und dafür setze ich mich auch ein. Es gibt schließlich die guten Beschlüsse der Borchert-Kommission, denen sich Nordrhein-Westfalen mit seiner eigenen Landesnutztierstrategie anschließt. Wir müssen dafür sorgen, dass der Umbau dem Tierwohl und Umweltschutz dient und zugleich Aspekte der Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit berücksichtigt.
Ist die Herausforderung für die Bauern zu stemmen?
Die Landwirtinnen und Landwirte brauchen mehr Planungssicherheit – sowohl konventionell arbeitende, die den Großteil der Lebensmittelproduktion stellen, als auch der Öko-Landbau. Wir wollen eine starke heimische Nutztierhaltung mit einem Bekenntnis zu kurzen Transportwegen und durchgängiger Tierhaltungskennzeichnung. Förderprogramme müssen auch grundsätzlich allen Betrieben offenstehen. Große und kleine Tierhalter dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen die Erzeugung hier halten. Niemand kann importiertes Fleisch wollen, das aus Drittländern stammt, die unter deutlich niedrigeren Tierwohl-, Umwelt- und Sozialstandards produzieren. Damit haben wir weder den Tieren noch der Umwelt einen Gefallen getan.
Gerade beschert uns das Wetter wieder viel Regen. Ist jetzt alles wieder gut für Agrarwirtschaft und Wald?
Der Landwirtschaft und dem Wachstum der aktuellen Winterkulturen wie Weizen oder Raps tun die Regentage sehr gut, ich mache mir aber weiterhin Sorgen um unsere Wälder. Sie brauchen die Niederschläge jetzt, um durch den Sommer zu kommen. Es hat immer noch nicht genug geregnet, um den Grundwasserspiegel wieder aufzufüllen. Wir müssen zudem einen klimaresilienten Wald mit Misch- statt Monokulturen aus überwiegend heimischen Baumarten bekommen. Weil es in Nordrhein-Westfalen sehr viele Privatwaldbesitzende gibt, haben wir ein Fünf-Punkte-Programm mit zusätzlichen Förderangeboten und kostenlosen Beratungen durch den Landesbetrieb Wald und Holz aufgelegt. Unser Sofortprogramm soll vor allem die Waldbesitzenden unterstützen, die von den Waldschäden besonders betroffen sind.
Auch für die Landwirtschaft wird der Klimawandel immer bedrohlicher?
Vorletztes Jahr die Flutkatastrophe mit riesigen Überschwemmungen, dann im letzten Jahr die Dürre mit niedrigem Rheinpegel – die zunehmenden Extremwetterlagen sind auch für die Landwirtschaft eine große Herausforderung. Das erfordert auch zunehmend angepasste Bewirtschaftungsmethoden. Wir müssen wissen, welche Möglichkeiten es gibt, auch in Dürrezeiten gute Ernten einzufahren. Deshalb arbeiten wir mit der Landwirtschaftskammer an Forschungs- und Demonstrationsprojekten zu Fragen der Klimaanpassung, zum Beispiel: Welche Pflanzen und Sorten kann man anbauen, wie kann man gezielter und wassersparend bewässern? Zudem fördern wir den Aufbau von Infrastrukturen für Bewässerungsverbände, um bestimmte Kulturen besser mit Wasser zu versorgen.
Irgendwann wird das Wasser möglicherweise nicht mehr reichen. In den Niederlanden gab es im vergangenen Sommer eine offizielle Wasserknappheit. Hat für Sie die Landwirtschaft bei der Versorgung Priorität?
Natürlich gilt es zunächst, den Trinkwasserbedarf der Bevölkerung zu decken. Dazu reichen unsere Wasserreserven selbst in Trockenjahren allemal aus. Die Landwirtschaft gehört aber in jedem Fall zur kritischen Infrastruktur, und demnach muss die Versorgung von Ackerbau und Tierhaltung auch ganz oben stehen. Gerade in einem bevölkerungsreichen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen legen wir Wert darauf, die Menschen mit regionalen Produkten versorgen zu können. In Zeiten des Ukraine-Krieges sehen wir, wie wichtig es ist, von Lieferketten unabhängig zu sein. Dazu braucht es auch verlässliche Rahmenbedingungen für die Betriebe. Sonst geht das Höfesterben weiter.
Gibt es neue Produkte, die infolge des Klimawandels für Landwirte in NRW interessant werden?
Es gibt eine steigende Nachfrage nach Leguminosen (Red.: Hülsenfrüchtler), und die steigenden Temperaturen kommen sicher dem Anbau von Sojabohnen oder Kichererbsen entgegen. Solche Sommerkulturen sind aber empfindlich gegenüber Trockenphasen. Hier müssen wir noch mehr Erfahrungen sammeln. In jedem Falle können proteinreiche und gesunde Hülsenfrüchte den Speiseplan zuhause oder in der Außer-Haus-Verpflegung bereichern. Wir sehen gerade in Kantinen, dass wir inzwischen täglich mit Produkten zu tun haben, die vor fünf bis zehn Jahren undenkbar waren.
Selbst für umweltbewusste Verbraucherinnen und Verbraucher ist das Thema Biosiegel kompliziert. Geht es nicht einfacher, um regionale gute Produkte zu kennzeichnen?
In Nordrhein-Westfalen schätzen die Verbraucherinnen und Verbraucher die regionalen und frischen Erzeugnisse aus unseren Regionen. Deshalb müssen wir noch stärker dafür eintreten, dass mehr regionales Obst, Gemüse oder Fleisch aus unserem Bundesland im Einzelhandel angeboten und erkennbar wird. Mit dem Ausbau der Marke „NRW is(s)t gut!“ zu einer verlässlichen, landesweiten Marke wollen wir mehr regionale Lebensmittel aus NRW sichtbar machen.
Sie kritisieren, dass in NRW viel zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden. Raten Sie zum Containern, dem illegalen Mitnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Müllcontainern der Supermärkte?
Das fängt bei den Haushalten an, trifft aber auch Kantinen oder Gemeinschaftspflegeeinrichtungen und natürlich die gesamte Kette. Die juristische Diskussion ums straffreie Containern lenkt ehrlich gesagt von der eigentlichen Problematik ab: Insgesamt ist die Menge der Lebensmittel, die entsorgt wird, deutlich zu groß. Wir müssen verhindern, dass das Essen im Müll landet. Dafür brauchen wir eine andere Wertschätzung für Lebensmittel. Es hat sich leider eine Wegwerfmentalität entwickelt. Wir haben hier zusammen mit der Verbraucherzentrale NRW verschiedene Projekte zur Umsetzung einer nachhaltigen, klimafreundlichen und abfallarmen Gemeinschaftsverpflegung durchgeführt. Aber wir müssen auch darauf schauen, ob bestimmte Verpflichtungen eingeführt werden könnten.
In den Niederlanden sorgt das Thema Stickstoff für Unruhen, vor allem Viehbetriebe nahe Naturschutzgebieten werden aufgekauft. Und auch in NRW müssen Emissionen reduziert werden. Sehen Sie die Notwendigkeit, stärker zusammenzuarbeiten?
Die Niederlande sind für uns ein ganz wichtiger Nachbar, und wir stehen gemeinsam vor großen Herausforderungen, etwa beim Thema Landwirtschaft und beim klimagerechten Umbau in Richtung mehr Umwelt- und Arten- und Klimaschutz. Es gibt viel Austausch über die Grenze hinweg, auch unter unseren Landwirten, zum Beispiel bei der Haltung von Nutztieren oder im Gartenbau. Auch auf Regierungsebene sind die Kontakte eng. Ich treffe mich zum Beispiel mit meinem niederländischen Amtskollegen bei der „Internationalen Grünen Woche“ in Berlin an diesem Freitag.
Das Gespräch mit der Ministerin notierte Madeleine Hesse.