Düsseldorf. 990 Absolventinnen und Absolventen dürfen sich nun „Meister“ nennen. Die Handwerkskammer Düsseldorf sieht zu hohe Bürokratie- und Steuerlasten.
Dass Benjamin Ritzenhoff einmal auf den Dächern der Republik seine Berufung finden wird, das war nicht vorgezeichnet. Denn der gebürtige Kempener ist ein Dachdecker (sogar frischer Meister) mit Höhenangst. „Ja, zu Beginn musste ich mich langsam herantasten, eine Leiter hochzuklettern“, gibt der inzwischen 31-Jährige zu.
Ritzenhoff gehört zu den 990 neuen Meisterinnen und Meistern, die es nun in der Region zwischen Rhein, Ruhr und Wupper gibt: Die Handwerkskammer Düsseldorf verzeichnet damit im Jahrgang 2023 ein Zehnjahres-Hoch bei den Absolventenzahlen. Vor allem in den Branchen, die direkt an der Umsetzung der Energiewende im Land mitwirken, vermeldet Kammerpräsident Andreas Ehlert deutlich steigende Meisterzahlen.
So stiegen die Absolventenzahlen in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik-Branche im Jahresvergleich von 90 auf 106 und in der Elektrotechnik von 70 auf 74. Weiterhin in den Schatten gestellt werden diese Zahlen jedoch von der Kraftfahrzeugtechnik (203, das sind 37 mehr als im Vorjahr). „Das ist eine erfreuliche Entwicklung, zumal wir jetzt die 75. Meisterfeier begehen“, meint Ehlert. Im PSD BANK DOME werden am kommenden Samstag rund 3000 Gäste erwartet – Hauptredner wird Ministerpräsident Hendrik Wüst sein.
Handwerk setzt das um, was von der Politik erdacht wird
Einige Hausaufgaben dürften dem prominenten Gast jedoch mit auf dem Weg gegeben werden. Denn aus Sicht von Ehlert, selbst Schornsteinfegermeister, liegen dem Handwerk, trotz der steigenden Meisterzahlen, einige Entwicklungen schwer im Magen. „Wir müssen uns bewusst machen, wer denn das im Land umsetzt, was von der Politik erdacht wird. Das ist eben das Handwerk.“
Und da müsse zu denken geben, dass nicht einmal jeder zweite neue Handwerksmeister (49 Prozent) eine Unternehmensgründung plant, wie aus einer Umfrage der Düsseldorfer Kammer unter allen Absolventen hervorgeht. Im Vorjahr waren es noch 67 Prozent. Immerhin gaben aber 93 Prozent der aktuellen Absolventen an, später selbst ausbilden zu wollen.
Forderungen an Land und Bund: Bürokratieabbau, geringere Steuerlast
Ehlert äußert gegenüber der Landes- und Bundespolitik einige zentrale Forderungen. So müsse es zwingend einen Bürokratieabbau geben. Es bräuchte etwa „ein Moratorium zur Entrümpelung und Vereinfachung von Vorschriften“. Gerade Kleinstbetriebe dürften nicht überhäuft werden mit Dokumentationspflichten. „Vor allem müsste es auch so sein, dass ich meine Daten einmal einer staatlichen Stelle übermittle und nicht ständig wieder neue Formulare ausfüllen muss.“
Zudem sieht Ehlert eine zu hohe steuerliche Belastung. „Eine echte Entlastung der Betriebe macht mehr Sinn, als das Auflegen von immer neuen Förderprogrammen.“ Und auch die Wertschätzung gegenüber dem Handwerk müsse steigen, merkt Kammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Axel Fuhrmann an. „Gerade an Gymnasien gibt es noch viele Leiterinnen und Leiter, die ihre Schüler allein in Richtung Studium vorbereiten.“
Mit 1,6 Abiturschnitt ins Handwerk statt an die Uni?
Hannah Brenner, frisch gebackene Friseurmeisterin aus Niederkrüchten, kann als Kronzeugin dienen. Was sie denn mit so einer Abiturnote (in ihrem Abschlusszeugnis steht eine 1,6) im Handwerk wolle, habe ihr Lehrer sie gefragt, als über Zukunftspläne gesprochen wurde. Dabei liebäugelte die heute 25-Jährige schon in Kindertagen damit, in die Fußstapfen ihrer Verwandtschaft zu treten. Denn ihr wurde das Friseurhandwerk gewissermaßen in die Wiege gelegt. „Unseren Familienbetrieb gibt es schon über 50 Jahre.“ Schon ihr Urgroßvater übte dieses Handwerk aus, so Brenner.
- Handwerk begrüßt Meisterprämie – Berufsausbildungen stärken
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Doch folgte Brenner zunächst den Empfehlungen des Lehrers, begann ein Studium im Bereich Tourismuswirtschaft. Schnell merkte die Niederkrüchterin, dass sich dieser Weg nicht richtig anfühlte. Es folgte die Ausbildung zur Friseurin, im Anschluss direkt die Meisterausbildung.
„Mein Plan ist es, noch ein wenig meinen Fokus auf Weiterbildungen zu legen und dann den Betrieb zu übernehmen.“ Sorgen um zu viel Bürokratie mache sie sich schon. Doch mache ihr die Arbeit als Friseurin einfach zu viel Spaß. „Es ist einfach schön, dass wir Menschen glücklich machen können.“
Nicht den direktesten Weg zum Meisterbrief gewählt
Den direktesten Weg zum Dachdeckermeister schlug Benjamin Ritzenhoff ebenfalls nicht ein. Ritzenhoff probierte sich nach seinem Hauptschulabschluss 2008 in verschiedenen Bereichen aus. Eine Ausbildung zum Anlagentechniker Heizung/Sanitär brach er ab, absolvierte in der Zeit danach verschiedene Praktika. So schnupperte er etwa in den Beruf des Zweiradmechanikers hinein, im Tiefbau folgte ebenfalls ein Praktikum. Zwei Jahre lang arbeitete er als Helfer in einem Forstwirtschaftsbetrieb.
Durch Zufall zum Dachdeckergesellen geworden
Dann schlug das Schicksal zu – in positiver Hinsicht. Auf der Absolventenfeier eines Dachdeckergesellen kam er ins Gespräch mit seinem (wie sich noch herausstellen sollte) zukünftigen Arbeitgeber. „Das bekommen wir schon hin“, versprach dieser, als das Thema auf die Höhenangst fiel. Ritzenhoff war ganz Ohr und sagte zu. „Und tatsächlich: Inzwischen habe ich keine Probleme mehr damit. Die Arbeitssicherheit ist aber auch so gut, dass ich da keine Bedenken mehr habe.“
Ärger um Meisterbafög
Andreas Ehlert möchte nicht nur über die Politik nörgeln. Denn es gebe durchaus auch positive Signale, speziell. So wurde bereits vor wenigen Jahren die Meistergründungsprämie auf 10.500 Euro angehoben. „Und die neue Meisterprämie ist eingeschlagen“, so Ehlert. Im Kammerbezirk Düsseldorf seien bereits 650 Prämien geflossen. Seit 1. August 2023 gibt es diese Prämie in Höhe von 2500 Euro für alle Absolvierenden in NRW. Auch das Meister-Bafög sei 2022 aufgestockt worden. „Leider dauert es aber bis zu zehn Monate, bis dann tatsächlich der Antrag bearbeitet wurde und Geld fließt“, berichtet Kammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Axel Fuhrmann. „Die zuständige Bezirksregierung Köln ist überlastet.“ Das NRW-Bildungsministerium habe jedoch Besserung zugesagt.
Zur Meisterprüfung war Ritzenhoff dann aber ein Spätberufener. Erst neun Jahre nach dem Gesellenbrief ging er den nächsten Schritt. „Ich hatte vorher so ein wenig Sorge, dass mir das Wissen für die Meisterprüfung fehlen könnte.“ Aber sein Chef – der Ritzenhoff als potenziellen Unternehmensnachfolger auserkoren hatte – und vor allem seine Ehefrau hätten ihn dann schließlich davon überzeugt, die Meisterausbildung anzugehen.
„Aus finanzieller Sicht war es als Familienvater aber schon etwas hart“, gibt der Niederrheiner unumwunden zu. Ein Jahr, so lange dauerte die Meisterschule, die seine ganze Aufmerksamkeit forderte, galt es allein mit dem Meister-Bafög und Erspartem über die Runde zu kommen. Nun steht aber die Übernahme des Betriebs mit zehn Beschäftigten an. „Es ist viel Verantwortung, die Tage sind lang, aber ich merke, dass ich etwas schaffen kann.“