Gelsenkirchen. Hot oder Schrott? 40 Jahre haben die Bahnfreunde Bismarck alte Lokomotiven und Wagen gesammelt. Jetzt wird das Areal für neue Züge gebraucht.
Paul Lindemann hat es sich gar nicht erst angeschaut. So eine Online-Versteigerung ist nichts für den 80-Jährigen. Und zu weh hätte es ihm womöglich auch getan, zu sehen, wie da sein halbes Leben und jede Menge Bahngeschichte unter den Hammer kommt. Anmoderiert von einer jungen Dame, virtuell und durch Künstliche Intelligenz modelliert. Neue Zeiten, mit denen sich die alten „Bahnfreunde Bismarck“ nicht anfreunden können.
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In den letzten Jahrzehnten waren sie, zumindest nach eigener Darstellung, die Hüter des traditionsreichen Bahnbetriebswerks im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck. Hier schnauften über 50 Jahre, von 1926 bis 1977 die Dampfloks. Was aber auch heißt: In den vergangenen 50 Jahren war hier eher wenig los, hat die Bahngeschichte mehr als nur Patina angesetzt: Im eindrucksvollen Ringlokschuppen rosten etliche Zeugnisse der Bahngeschichte vor sich hin.
Jetzt muss allerdings geräumt werden. So wollen es die neuen Eigentümer, die CAF, ein spanischer Bahnbauer, ebenfalls traditionsreich. Von hier aus sollen ab Ende 2026 hochmoderne „Bemus“ auf die Strecke gehen. Nein, keine nahen Verwandten exotischer Steppentiere aus dem benachbarten Erlebniszoo „Zoom“, sondern batteriebetriebene Züge.
Gewissermaßen das Gegenstück zum E-Auto auf der Straße: Aufgeladen wird überall, wo es Oberleitung gibt. Und dort, wo heute noch Dieselzüge dröhnen, fährt der neue Zug dann leise mit Strom aus dem Akku. Siemens und Alstom machen es gerade in Norddeutschland und Baden-Württemberg vor.
„Wir sind stolz darauf, dass wir die ersten derartigen Züge in NRW auf die Schienen bringen“, sagt Ronald Lünser. Er ist der Deutschland-Chef des spanischen Zugbauers und sicher: „In zwei Jahren steht hier eine hochmoderne Werkstatt. Ich habe ja schon mehrere aufgebaut.“ Seiner Zeit, in den gut zehn Jahren beim Bahnunternehmen Abellio, unter anderem in Hagen und Duisburg,
Lünsers Stationen waren unter anderem Abellio NRW, ehe er Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr war, den er dann vor zwei Jahren verlassen musste. Es fehlte die politische Rückendeckung, so Lünser.
Nun also eine neue Station - und, so schwebt es Lünser vor, nach exakt 100 Jahren ein neues Kapitel der Bismarcker Bahngeschichte. Was für Lindemann und seinen schrumpfenden Verein einen schmerzvollen Rückzug bedeutet. Begleitet von unschönen Rechtsstreitigkeiten.
Lange Jahre, ja Jahrzehnte, waren sie auf dem Gelände geduldet. Immer wieder gab es Pläne, aus Bismarck so etwas wie eine Eisenbahn-Erlebniswerkstatt zu machen. Doch Unterstützung dafür blieb aus, sagt Lindemann und fühlt sich im Stich gelassen, mit Räumungsklage vom Bahnhof gejagt. Kritiker indes sagen, über Jahrzehnte hat er und sein Verein es sich zuverlässig mit allen potenziellen Unterstützern verdorben.
Nun kam der Bestand seines Vereins unter den Hammer: Weil der Umbau des teilweise denkmalgeschützten Areals bald beginnen soll, muss das rollende Material des Vereins weg. Doch die Räumung kostet so viel, dass dafür gleich das gesamte Inventar unter den Hammer kommt. Mit allerdings überschaubarem Erfolg.
Als am Dienstag Nachmittag die Deutsche Pfandverwertung zur Online-Auktion schreitet, findet sich gerade mal für einige wenige Exponate ein Angebot. Bieterschlachten gibt es schon gar nicht. Mehr als die Hälfte des Gesamterlöses von knapp 55.000 Euro bringt der Star der Sammlung:
Eine 23 Meter lange, 130 Tonnen schwere Dampflok aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Lok der Baureihe 50 wird für 29.000 Euro ersteigert. Von wem und zu welchem Zweck, mag die Deutsche Pfandverwertung nicht sagen. Die Zukunft des Schienengiganten ist so dunkel wie seine Farbe: Zwischen Schrottplatz und Wiederauferstehung als Museumszuglok ist alles drin.
Sonst gilt offenbar auch auf der Schiene: Diesel sind out. Neben einer weiteren Dampflok, die anders als die meisten Stücke, ansehnlich restauriert ist, geht nur noch eine Kleinlok für etwas über 3000 Euro weg.
Etwas mehr bringt eine Rangierlok aus dem Bochumer Opelwerk, die noch einmal 4500 Euro in die Kassen spült. Die in königsblauen Farbtönen lackierte Graffiti-Lok „Marco Power“ findet keinen Liebhaber, auch die meisten Waggons nicht. Nur beim Werkzeug und bei einigen kleineren Utensilien wie Stahlspinde, Schienenschraubmaschine und Aufsitzmäher schlagen noch ein paar Bieter zu.
Für die CAF dürften die Erlöse kaum zur Räumung reichen. Die alten Eisenbahnkrane, Loks und Wagen dürften nun auf dem Weg zum Schrottplatz sein. Denn in wenigen Monaten sollen hier die Bauarbeiten beginnen: Das Jahr seit der offiziellen Schlüsselübergabe hat die Firma genutzt, um mit Stadt, Kommunalverband, Denkmalschutz und Genehmigungsbehörden zu klären, was wie wo gebaut werden darf.
Der Ringlokschuppen bleibt dabei erhalten, so Ronald Lünser, die meisten der übrigen Hallen kommen hingegen weg. Die neuen Züge brauchen für die Wartung andere Dimensionen als sie die historischen Gebäude bieten können. Für das Gelände, das derzeit mehr als nur diskreten Lost-Place-Charme ausstrahlt, beginnt dann eine neue Zukunft. Das ist der Zug der Zeit, sagt man da wohl. Doch Paul Lindemann und die Bahnfreunde Bismarck sind da jetzt ausgestiegen.