An Rhein und Ruhr. Die Stadt Essen prüft Maßnahmen. Bei Experten stößt das Vorhaben auf Skepsis. Unterschiedliches Echo in anderen Städten.

In den USA gleichen viele Schulen Hochsicherheitseinrichtungen. Schülerinnen und Schüler müssen mancherorts Schleusen mit Metalldetektoren passieren. Es ist der verzweifelte Versuch, der grassierenden Waffengewalt etwas entgegenzusetzen. Von amerikanischen Verhältnissen ist Nordrhein-Westfalen noch weit entfernt. Dennoch: Ausweislich der jüngsten Kriminalitätsstatistik steigt die Zahl der Gewaltdelikte, bei denen Kinder und Jugendliche tatverdächtig sind, wieder an. Immer wieder werden bei diesen Straftaten Messer eingesetzt. Die Stadt Essen prüft deshalb, ob es sinnvoll ist, an Schulen Taschenkontrollen einzuführen. Das Vorhaben stößt bei Experten auf Skepsis.

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) ist von dem Tod eines Obdachlosen in Dortmund aufgeschreckt worden. Der Mann war von einem 13-Jährigen erstochen worden. „Gleiches hätte auch in Essen passieren können. Dem wollen wir unbedingt entgegenwirken“, so Kufen. In Essen ist im vergangenen Jahr die Zahl der Angriffe oder Bedrohungen mit Messern um 36 Prozent auf 311 gestiegen. Unter den Tatverdächtigen waren 70 Kinder und Jugendliche. Schulen, Polizei, Ordnungs- und Jugendamt sollen jetzt ein präventives Konzept für die Stadt erarbeiten. Ein Baustein könnten Taschenkontrollen an Schulen sein.

GEW: Taschenkontrollen helfen nicht

Die Lehrergewerkschaft GEW hält wenig von solchen Ideen. Zwar sei Gewalt in Schulen immer häufiger ein Thema, und „es ist leider vermehrt festzustellen, dass Lehrkräfte im Alltag zur Zielscheibe werden“, erklärt die Landesvorsitzende Ayla Çelik. Jedoch seien Taschenkontrollen „keine nachhaltig vorbeugenden Maßnahmen gegen Gewalt“. Es müsse darum gehen, die Haltung zur Gewalt zu verändern, wofür vorrangig pädagogische Maßnahmen ausgeschöpft werden sollten. Konkret fordert Çelik die Stärkung von Schulpsychologie und Schulsozialarbeit.

Der Münsteraner Kriminologe Klaus Boers warnt ebenfalls vor Schnellschüssen. Er weist darauf hin, dass die Gewaltkriminalität in den vergangenen zwanzig Jahren in allen westlichen Ländern „markant“ zurückgegangen sei. „Auch wenn aktuell im Hellfeld der Polizeistatistik die Gewalttaten stark angestiegen sind und zumindest häufiger angezeigt werden, so deutet sich eine solche Zunahme in den bislang verfügbaren Dunkelfelddaten nicht an.“ Boers betont außerdem, dass in NRW die Zahl der Messerangriffe zwischen 2019 und 2022 von 5780 auf 4194 zurückgegangen seien. Für das vergangene Jahr liegen noch keine Zahlen vor.

Mehr zum Thema

In den Schulen Taschenkontrollen einzuführen, wäre ein „Besorgnis erregendes Signal“ so Boers. „Das kann auch nur als Krisenintervention dort sinnvoll sein, wo der Messerbesitz von Schülern tatsächlich so gehäuft auftritt, dass man das kurzfristig nicht anders in den Griff bekommen kann.“ Mittel- und langfristig werde man vor allem mit einem gemeinsamen „intensiven Einwirken auf die besonders Aktiven“ durch Eltern, Lehrer, Jugendhilfe und Jugendjustiz erfolgreich sein.

Der Kriminologe stellt außerdem angesichts überfüllter Klassen und der multiethnischen Zusammensetzung der Schülerschaft in manchen Stadtteilen klar: „Vor allem in sogenannten Brennpunkt-Stadtteilen stoßen Schulen an die Grenzen ihrer Ressourcen.“ Auch ohne Gewaltprobleme bestehe dort großer Handlungsbedarf.

Duisburg interessiert an Essener Überlegungen

In Duisburg hingegen hat man die Essener Pläne „mit Interesse aufgenommen“ und will sie in die eigenen Überlegungen einbeziehen, teilt ein Sprecher der Stadt auf Anfrage mit. Dort ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die als Tatverdächtige bei Messerdelikten wie Bedrohung, Raub oder Körperverletzung ermittelt wurden, im vergangenen Jahr um ein Drittel auf 56 angestiegen.

In anderen Städten gibt man sich zurückhaltender. Oberhausens Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) sagt, man sei angesichts der „gestiegenen Gewaltbereitschaft von Jugendlichen“ mit Polizei, Staatsanwaltschaft und den zuständigen städtischen Stellen „im engen Austausch, um über die bereits implementierten Maßnahmen hinaus dem Problem noch besser zu begegnen“; ohne allerdings konkreter zu werden. Die Polizei will in Oberhausen gemeinsam mit Ordnungsdienst und Sozialarbeitern insbesondere an bekannten Treffpunkten von Jugendlichen stärker präsent sein.

In der der Landeshauptstadt sind nach Angaben eines Sprechers derzeit keine Maßnahmen nach Essener Vorbild geplant. Die Gewalt an Schulen werde fortlaufend beobachtet. Im Bedarfsfall würden „die notwendigen Schritte eingeleitet“.