An Rhein und Ruhr. Die Preise für die Milch sind wieder deutlich gesunken. Die Ampelkoalition will mit Planwirtschaft mehr Sicherheit schaffen.
In den vergangenen zwei Jahre haben sie sich auf dem Klümpen-Hof bei Wachtendonk nicht beschweren können. Die Preise für die Milch waren ordentlich, Ende 2022 mit 60 Cent pro Liter sogar auf einem Allzeithoch. „Wir konnten Löcher stopfen und Investitionen tätigen, die wir vor uns hergeschoben hatten“, erzählt Bäuerin Claudia Klümpen. Jetzt sind für die Klümpens wieder schwierigere Zeiten angebrochen, so wie für alle Milchbauern in NRW. Die Preise sind auf rund 40 Cent pro Liter gefallen, die Margen sind wieder extrem schmal. Es ist eine extreme Achterbahnfahrt, die das Höfesterben beschleunigt. Jetzt will die Politik in Berlin einmal mehr mit Planwirtschaft entgegensteuern. Bei den Milchbauern an Rhein und Ruhr stößt das auf wenig Gegenliebe.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft in NRW gleicht einem Massensterben. Vor fünfzig Jahren gab es in Nordrhein-Westfalen noch über 70.000 Milchviehbetriebe. Heute sind es noch rund 4600. In den vergangenen zehn Jahren ist in NRW die Zahl der Bauernhöfe mit Milchkühen um 37 Prozent gesunken. Häufig finden die Landwirte keine Nachfolger mehr, weil die Kinder den Hof nicht weiterführen wollen. Andere Bauern gehen wegen der zunehmenden Bürokratie, behördlichen Auflagen, den schwankenden Preisen oder den explodierenden Kosten für Energie, Futtermittel oder Dünger in die Knie. „Es herrscht viel Unsicherheit“, sagt Bäuerin Klümpen.
Milchwirtschaft warnt vor einem „Strukturbruch“
Aktuell ist die Lage besonders kritisch, warnt Frank Maurer, Pressesprecher der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW. „Aus dem Strukturwandel kann ein Strukturbruch werden.“ Gehe die Entwicklung ungebremst weiter, könnte der sogenannte Selbstversorgungsgrad auf unter 100 Prozent sinken. Heißt: Die Milchbauern würden weniger produzieren als für die Deckung des Bedarfs notwendig. Deutschland wäre also zwingend auf Importe angewiesen.
Die Berliner Ampelkoalition sieht als das Hauptproblem, dass die Milchbauern gegenüber den Molkereien, die ihnen die Milch abnehmen, benachteiligt sind. Die Bauern erhielten oft Milchpreise, die die Produktionskosten nicht deckten und erführen erst Wochen nach der Ablieferung, welche Preise sie erhalten.
Deswegen will die Bundesregierung eine Ausbalancierung des „Machtungleichgewichts“ und plant Molkereien zu verpflichten, Milch zu über einen bestimmten Zeitraum festgelegten Preisen abzunehmen. Sie will dazu einen Artikel in der Gesetzgebung zur europäischen Agrarpolitik in nationales Recht überführen.
Landwirtschaftskammer warnt: Bindung kann Bauern Geld kosten
Bei vielen Bauern und ihren Berufsvertretungen stößt das Vorhaben auf Skepsis. Zwar forderten einige Landwirte die Einführung dieser sogenannten Milchpreisbindung, weil sie dadurch nicht so sehr an den „volatilen Weltmarkt“ gebunden seien, räumt Saskia Wietmann ein. Die Sprecherin der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen gibt aber zu bedenken: „Ein solches Instrument ist zu träge, um auf die globalen Märkte zu reagieren. Milchpreisspitzen würden dann nicht erreicht werden können.“ Heißt: Wenn die Preise über die festgelegte Summe steigen, hätten die Bauern nichts davon. Zudem drohe ein zusätzlicher Bürokratieaufwand.
Auf der anderen Seite sind zwei Drittel der Molkereien in NRW genossenschaftlich organisiert. Das heißt, sie gehören Landwirten. Wäre der festgelegte Preis für die Milch zu hoch, würden die Gewinne der Molkereien sinken oder in die Verlustzone rutschen. „Die Kosten müssten die genossenschaftlich organisierten Bauern tragen“, warnt Paul-Christian Küskens, Vorsitzender Kreisbauernschaft in Viersen und Vorsitzender des Fachausschusses Milch beim Rheinischen Landwirtschaftsverband.
Die nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) sieht die Politik vor einem generellen Dilemma. „Die Frage ist heute, wie weit die Regulierung des Staates gehen soll und darf.“ Zwar sei es „richtig und notwendig darüber zu wachen, dass der Wettbewerb nicht eingeschränkt wird und der Markt funktioniert“. Aber die Politik müsse auch sehr genau hinsehen, ob einzelne Teilnehmer im Marktgeschehen benachteiligt werden. Heißt: Die Bauern.
Die fühlen sich, sagt Kreisbauer Küskens, „dem Markt ausgeliefert“ und zwischen Molkereien und Handel zerrieben. Wie die Kuh vom Eis geholt werden kann, kann er allerdings auch nicht beantworten.
Kühe sind mittlerweile auf Höchstleistungen getrimmt
Auch Bäuerin Claudia Klümpen ist skeptisch, ob eine Milchpreisbindung zu mehr Planungssicherheit führen kann. „Das sind Ideen vom Schreibtisch, da bestimmen Leute über uns, die nicht wissen, wie das Geschäft funktioniert.“ Kosten wie Preise würden ohnehin von der Weltpolitik getrieben. Viel mehr Sorge bereitet ihr, dass die Bauern von der Politik ständig neue Auflagen bekämen, die zügig umgesetzt werden müssten.
Klar ist aber: Wenn die Verbraucher nicht willens sind, höhere Preise zu zahlen, bleibt den verbliebenen Landwirten nur eines: Wer überleben will, muss wachsen. Durchschnittlich stehen in den Ställen der Milchviehhalter in Nordrhein-Westfalen aktuell rund 80 Kühe, vor zehn Jahren waren es etwa 60. Die Kühe, die heute gemolken werden, sind mit Züchtung und Fütterung auf Höchstleistung getrimmt und geben mehr als doppelt so viel Milch wie die Kühe vor fünfzig Jahren. Die Milchviehwirtschaft im Jahr 2024 industrialisiert und computeroptimiert.
Auf dem Klümpen-Hof hatten sie vor sieben Jahren 180 Kühe. Jetzt sind es 270. Sie bauen gerade, um Platz für dann 350 Tiere zu schaffen, die mit einem Roboter gemolken werden sollen.