An Rhein und Ruhr. In NRW wurden im vergangenen Jahr 8690 Wohnungen zwangsgeräumt. Wie eine Räumung abläuft und was der Mieterbund empfiehlt.

In NRW haben im vergangenen Jahr tausende Menschen ihre Wohnung verloren. 8690 Zwangsräumungen wurden durchgeführt, womit die Zahl im Vergleich zu 2021 (8656 Räumungen) stabil blieb (NRZ berichtete). Das ging aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor. Im Schnitt gab es in NRW mehr als 23 Räumungen pro Tag. Wie eine Zwangsräumung abläuft und worauf Mieter achten müssten.

Gerichtsvollzieher werden mit Zwangsräumungen beauftragt

Für eine Räumung müsse ein gerichtlicher Schuldtitel zugrunde liegen, erklärt Gerichtsvollzieher Frank Neuhaus. Er übt seinen Beruf seit 1999 aus und ist Vorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieherbunds (DGVB) NRW. Bis zu 200 Zwangsräumungen hat er in seiner Laufbahn durchgeführt.

„Der Schuldtitel kann ein Urteil oder ein Zuschlag in einer Zwangsversteigerung einer Immobilie sein. Am häufigsten ist ein Urteil, wenn ein Mieter nicht zahlt und der Vermieter zum Gericht geht.“ Nach drei bis vier Monaten folge eine Verhandlung, bei der entschieden wird, ob der Mieter aus der Wohnung muss. Mit einem entsprechenden Urteil könne der Vermieter dann einen Gerichtsvollzieher mit der Räumung beauftragen.

Räumung mit oder ohne Umzugsunternehmen

„Bis geräumt wird, dauert es dann aber noch mindestens drei Wochen, weil der Mieter Einspruch erheben kann“, sagt Neuhaus. „Hätte er einen neuen Mietvertrag und könnte in wenigen Wochen umziehen, könnte die Räumung gestoppt werden.“

Bleibt es bei der Räumung, wird dem Mieter – jetzt „Räumungsschuldner“ genannt – der Termin mitgeteilt. Dabei gebe es verschiedene Arten der Räumung, so Neuhaus weiter. Bei der klassischen Option räume ein Umzugsunternehmen die Wohnung aus.

Linke will Zwangsräumungen verbieten

Mietschulden sind die häufigste Ursache für den Verlust der Wohnung. In NRW wurden in 2022 mit 8690 mehr Zwangsräumungen als in allen anderen Bundesländern vollstreckt. Gemessen an der Einwohnerzahl gab es etwa in Brandenburg oder Bremen mehr Zwangsräumungen, aber auch hier liegt NRW weit oben.

Die Miet- und Wohnungsbauexpertin der Linken, Caren Lay, forderte, dass Kündigungen bei Nachzahlungen der Mietrückstände aufgehoben und „Räumungen in die Wohnungslosigkeit“ verboten werden müssten. „Wenn die Bundesregierung nicht handelt, werden noch mehr Menschen ihre Wohnungen und ihr Zuhause verlieren, denn die Mieten werden extrem angehoben“, sagte Lay. „Jede Zwangsräumung ist eine zu viel.“ (dpa)

Ersatzunterkunft der Kommune

„Seit einigen Jahren gibt es die für den Vermieter kostengünstigere Variante, nur den Schuldner aus der Wohnung zu setzen. Der Mieter darf seine wichtigsten Sachen mitnehmen und der Vermieter behält alles, was sich noch in der Wohnung befindet“, erklärt der Verbandschef nüchtern. Der Schuldner habe dann einen Monat Zeit, um den Rest abzuholen. „Tut er das nicht, kann der Vermieter alles entsorgen oder für die rückständige Miete verwerten.“

Der Gerichtsvollzieher informiere auch die jeweilige Stadt. „Denn offiziell gibt es in Deutschland keine Obdachlosigkeit, weil die Städte verpflichtet sind, Ersatzwohnraum zur Verfügung zu stellen“, so Neuhaus. Die Kommune biete dem Mieter in der Regel eine Unterkunft an. „Die meisten lehnen das ab“, sagt er. „Ich habe auch schon öfter einen Schuldner mit einem Taxi zu einer Obdachlosenunterkunft fahren lassen. Das Taxi zahlt dann der Vermieter.“

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Sechs Monate zwischen Kündigung und Räumung

Zudem machen die meisten Gerichtsvollzieher eine Gefährderabfrage bei der Polizei, berichtet der DGVB-Vorsitzende. „Das ist keine Pflicht, wird aber empfohlen. Denn Räumungen sind emotional und können eskalieren.“ Er persönlich mache die Abfrage daher immer. Wenn der Mieter zum Beispiel wegen Körperverletzung vorbestraft ist, teile ihm die Polizei das mit.

„Dann kommen entsprechende Beamte mit zur Räumung“, sagt Neuhaus. Erst im April habe er eine komplizierte Räumung gehabt. „Der Mieter war psychisch schwer angeschlagen. Da waren der psychologisch geschulte Kollegen der Polizei dabei.“

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Wie lange es von der Kündigung bis zur Räumung dauert, hänge vom Gericht ab und davon, ob der Mieter sich rechtlich wehrt. „Wenn er sich gar nicht meldet, ergeht ein Versäumnisurteil, das geht dann schneller. Aber man kann sagen, dass es ungefähr ein halbes Jahr dauert“, schätzt Neuhaus.

Mieterbund NRW rät zu offener Kommunikation

Hilfe für Mieter bieten die Mietervereine. Sie beraten Mieter über ihre Rechte und auch über das Vorgehen bei einer verhängten Räumung, erklärt Daniel Zimmermann vom Mieterbund NRW. Wichtig sei die Kommunikation. „Der Mieter sollte frühzeitig, noch vor einer möglichen Kündigung, mit offenen Karten spielen. Eventuell kann bei Mietschulden eine Ratenzahlung vereinbart werden. Sind die Schwierigkeiten absehbar temporär, sollten Mieter prüfen, ob sie sich das Geld leihen können“, so Zimmermann. Bei größeren finanziellen Schwierigkeiten könne eine Schuldnerberatung helfen.

Zudem könnte man auch ein persönliches Gespräch mit dem Vermieter führen „und ausloten, ob es eine Lösung für den Verbleib in der Wohnung gibt“, sagt er. Das sei aber vom Kündigungsgrund abhängig. „Bei verhaltensbedingten Kündigungen dürfte es kaum eine Chance geben. Bei Zahlungsverzug und getilgter Mietschuld wird der Vermieter eher entgegenkommen.“