Essen. Nur die Hälfte der 14-Jährigen halten Parteien und traditionelle Medien für glaubwürdig. Auch, weil Schule bei politischer Bildung versagt.

Das Vertrauen der Teenager in die politischen Institutionen ist in Nordrhein-Westfalen rückläufig, allerdings im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch eher hoch. Dieser Befund ergibt sich aus einer neuen Studie zur politischen Bildung, die die Universität Duisburg-Essen gemeinsam mit der Uni Leipzig erstellt hat.

Wen es trösten mag: „Auch wenn die Schüler:innen in Deutschland immer noch mehr Vertrauen in die Regierung, Parlamente und auch die Polizei aufbringen als in den meisten anderen europäischen Ländern: Im internationalen und im europäischen Vergleich ist es mit dem Vertrauen in die Institutionen des Rechtsstaates in NRW nicht so schlecht bestellt“, so Studienautor Prof. Hermann Josef Abs. Andererseits: Nirgendwo ist die politische Bildung der 14-Jährigen in Europa so abhängig von der Bildung im Elternhaus wie hier.

Gute politische Bildung oft nur an Gymnasien

Immerhin vertrauen in NRW noch drei von vier Schülerinnen und Schülern der Regierung, den Gerichten und der Polizei, dieser Wert ist allerdings seit der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2016 um fünf bis zehn Prozent zurückgegangen, so die Studienautoren, zu denen auch der Essener Erziehungswissenschaftler Professor Hermann Josef Abs gehört.

Sein Fazit: „Insgesamt erreichen die Schüler:innen in NRW beim politischen Wissen ein Niveau, das leicht über dem europäischen Durchschnitt liegt, letztlich wird das aber nur durch ein deutliches Auseinanderfallen der politischen Bildung an Gymnasien und den anderen Schulformen erreicht. Schon die Gesamtschulen liegen signifikant unter dem europäischen Durchschnitt.“

Traditionellen Medien vertrauen weniger als sechs von zehn Jugendlichen, den sogenannten sozialen Medien allerdings vertraut nicht einmal jede und jeder Dritte – da sind die hiesigen Teenager deutlich vorsichtiger als Jugendliche in anderen europäischen Ländern.

Das hat Folgen für das eigene Engagement: So wollen sich weniger als sechs von zehn Schülerinnen und Schülern in NRW an Kommunalwahlen beteiligen, etwas mehr als sieben von zehn würden an Bundestagswahlen teilnehmen. Weniger als jede und jeder Fünfte kann sich vorstellen, in eine Partei einzutreten. Als besonderes Problem hierzulande hat die Studie ausgemacht, dass etwa die Hälfte des sozialwissenschaftlichen Fachunterrichts durch Lehrkräften erfolgt, die gar nicht dafür ausgebildet wurden. „Während in den Gymnasien 75 Prozent des Unterrichts durch ausgebildete Fachlehrer erteilt wird, ist das bei den anderen Schularten immer weniger der Fall. Hier erteilen Lehrende den Unterricht, die nicht für das Fach ausgebildet wurden“, so Abs zu der Situation in NRW.

Wahlplakate von Grünen, CDU, SPD und FDP (l-r) vor der jüngsten Landtagswahl in NRW: Die Wahlmüdigkeit erfasst auch jene, die noch nicht einmal wählen dürfen.
Wahlplakate von Grünen, CDU, SPD und FDP (l-r) vor der jüngsten Landtagswahl in NRW: Die Wahlmüdigkeit erfasst auch jene, die noch nicht einmal wählen dürfen. © dpa | Oliver Berg

Das hat Folgen: In NRW erreicht nur etwas mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler die höchste Kompetenzstufe in Sachen politischer Bildung - und liegt damit deutlich hinter den Werten gleichaltriger Jugendlicher in Taiwan, Schweden, Dänemark, Polen und Estland. Es gibt zwar kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern, aber umso deutlichere bei den Schulformen.

Leicht übertrieben gesagt. Wer nicht aufs Gymnasium geht und Zuhause keinen gut gefüllten Bücherschrank der Eltern vorfindet, hat kaum eine Chance, kompetent politisch gebildet die Schule zu verlassen. Die Studienautoren folgern: „Die Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit einer Diskussion darüber, wie Schulsysteme ihren Aufgaben besser gerecht werden können, alle Schüler*innen – und nicht nur privilegierte Teilgruppen – gleichermaßen auf die Rolle als Bürger*innen in einer Demokratie vorzubereiten.“

Ein dabei bedenklicher weiterer Befund: Fast ein Drittel der Schüler*innen und Schüler, vor allem jenen muslimischen Glaubens, sprachen sich dafür aus, dass religiöse Autoritäten mehr Macht in der Gesellschaft bekommen sollten. Professor Abs gegenüber der NRZ: „Bislang ist das Verhältnis von Religion und Staat kein Unterrichtsinhalt an Schulen. Das muss sich dringend ändern. Denn Wissen ist ein wichtiger Schutzfaktor, wenn es um Pluralismus statt Populismus geht.“

Vertrauen in Mitmenschen schwindet

Was die Studienautoren zudem besorgt: Das Vertrauen in Mitmenschen schwindet generell: Weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler gaben an, Menschen im Allgemeinen zu vertrauen. „Der soziale Zusammenhalt scheint bedroht, denn soziales Vertrauen ermöglicht kollektives Handeln“, so die Studienautoren. So sei die Bereitschaft zur politischen Beteiligung bei Teenagern in NRW niedriger als in vielen anderen Ländern.

Hermann Josef Abs, Erziehungswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen und Autor der Studie zur politischen Bildung der 14-Jährigen.
Hermann Josef Abs, Erziehungswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen und Autor der Studie zur politischen Bildung der 14-Jährigen. © Uni Duisburg-Essen | Natan Ishar, Studio Pramudiya

Die Studie, für die zwischen März und Juni 2022 3269 Schülerinnen und Schüler an 152 Schulen in NRW befragt wurden, stand auch unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine vom 24. Februar. Das schlug auch auf die Studie durch: Wo sonst das Vertrauen sinkt, stieg jenes in die Bundeswehr. „Mit acht von zehn Schüler:innen liegt hier die Angabe zu vertrauen am höchsten“, so Abs. Das Bewusstsein, in einer Krisenzeit zu leben, habe daher deutlich zugenommen. Die Sorge vor Kriegen und Konflikten lag noch über jener vor dem Klimawandel, den immerhin sieben von zehn Jugendlichen als große Bedrohung wahrnehmen - übrigens in ganz Europa.

Ein Fazit der beiden Studienautoren: In den beiden deutschen Bundesländern, die an der Studie teilnahmen (neben NRW war das noch Schleswig-Holstein, die übrigen Bundesländer lehnten ab!) ist das politische Wissen stärker als in den meisten anderen Ländern abhängig von familiären Bedingungen wie der Anzahl der Bücher zu Hause. Wie beim Bildungserfolg generell zeigt sich auch hier: „Der ungleiche Zugang zu politischem Wissen verringert die Startchancen der heranwachsenden Bürger*innen.“

Umweltschutz als dringlichste Aufgabe

Acht von zehn Heranwachsenden sehen die Regierungen daher in der Verantwortung, Umweltschutz zur dringlichsten Aufgabe zu machen, wollen allerdings auch selbst nachhaltiger leben. Doch zwischen Vorsatz und Umsetzung klafft noch eine Lücke: Nur die Hälfte der Teenager gab an, beim Einkauf auf Umweltaspekte zu achten - darin unterscheidet sich die Jugend hierzulande nicht von der in anderen europäischen Ländern.

Die Schulen, insbesondere in NRW, sind dabei kein gutes Vorbild: Die zeitgleich befragten Lehrerinnen und Lehrer gaben der Mülltrennung und der Energieeinsparung im eigenen Schulhaus dramatisch schlechtere Werte als in anderen europäischen Ländern. Da tröstet es wenig, dass die Studienautoren den Teenagern in NRW bescheinigen, die Wissensfragen zum nachhaltigen Konsum besonders gut beantwortet zu haben.

Wenn es jedoch um politisches Engagement geht, sind die Jugendlichen in NRW deutlich zurückhaltender, auch wenn die Bereitschaft gestiegen ist, an Demos teilzunehmen - Fridays for Future lässt grüßen.