Moers/Duisburg/Mülheim. Vor 13 Jahren entstand der Plan einer Radautobahn durchs Revier. Wesentlich mehr aber auch nicht. Außer weiteren Plänen, kritisiert der ADFC.
Heute haben sie Rückenwind, auch symbolisch, die 40 Radfahrerinnen und Radfahrer, die sich an diesem Sonntag vor dem Moerser Bahnhof versammeln, um ein Teilstück des Radschnellwegs Ruhr, des RS1, unter die Pedale zu nehmen. Zunächst mal verleiht der Wind von Westen Schub über weite Strecken.
Zum anderen hat Herbert Fürmann vom ADFC Duisburg gute Neuigkeiten im Gepäck. Endlich, so seine Botschaft, soll es auch in Duisburg mit dem Bau des Radschnellweges vorangehen. Besser gesagt: Losgehen. Denn das ist die Krux mit dem Vorzeigeprojekt, das 2011 verkündet wurde: Eine Radautobahn soll her, die Verkehrswende von Duisburg bis Hamm in den Sattel gehievt werden.
Verlängerung im Westen: Der RS1 soll bis Kamp-Lintfort führen
Die Begeisterung war groß, so groß, dass drei Jahre später gleich fünf weitere Radschnellwege beschlossen wurden. Bloß: Ein Beschluss schafft keine Tatsachen. Derzeit ist kein einziger Streckenkilometer der glorreichen sieben Radschnellwege im Bau. Eher ein laues Lüftchen, statt Rückenwind also.
Aber – und das darf Karl-Heinz Degen vom ADFC Moers verkünden, die Pläne wachsen weiter: Der RS1 wird nach Westen verlängert: von Moers bis Kamp-Lintfort. Die Machbarkeitsstudie liegt vor, der Kosten-Nutzen-Wert stimmt, auch wenn das circa 13 Kilometer lange Stück mit lockeren 24 bis 28 Millionen Euro zu Buche schlägt. Der Preis hängt von der Variante ab, da stehen gleich zwei zur Auswahl und ist immer noch ein Schnäppchen: Ein einziger Kilometer Autobahn kostet zwischen 20 und 100 Millionen.
Beim Radschnellweg gelten eben hohe Standards: vier Meter soll der Radweg breit sein, daneben noch 2,5 Meter Fußweg entstehen. „Aber in Moers ist man wild entschlossen“, so Degen und auch in Kamp-Lintfort sieht er positive Anzeichen – und hat den Landesverkehrsminister dabei auf seiner Seite: „Ich stehe dafür, dass die Planung tatsächlich umgesetzt wird“, versicherte Oliver Krischer auf der Demo in Köln. „Das Geld, das wir dafür brauchen, das haben wir“. Indes: Es muss halt gebaut werden.
Der Radschnellweg RS1 von mehr als 115 Kilometern Länge sollte im Rahmen der Verkehrswende durchs Ruhrgebiet von Kamp-Lintfort bis Hamm führen. Laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) sind aber bisher nur knapp 19 Kilometer umgesetzt – und das in Teilstücken.
Mülheim und Duisburg: Ein paar Teilstücke bis 2027
Das aber, so Degen, wird jetzt in Mülheim und Duisburg immerhin passieren. In Mülheim wird vom bisherigen, seit etlichen Jahren abgesperrten Ausbauende an der Hochschule West ein weiteres Stückchen hinzukommen. In Duisburg macht die geplante Gartenbauausstellung IGA im Rheinpark Hochfeld den Planungen Beine, so wird es von der Stadtgrenze Mülheim Richtung Hauptbahnhof und Innenstadt weitergehen und auch von der Wedau, dort wo jetzt das Projekt Duisburger Dünen gebaut wird, soll ein Radweg Richtung Hochfeld entstehen. Bis circa 2027, das gilt bei den leidgeprüften Radwegelobbyisten als geradezu rekordverdächtig.
Die Krux sind oft die Brücken: So steht man beim Radschnellweg Ruhr vor dem Problem, dass das zwar betriebsfähige, aber nicht ausgebaute Stück zwischen der Stadtgrenze Mülheim-Essen und der nördlichen Innenstadt auf weiten Strecken eben nicht beleuchtet, asphaltiert und mit getrennten Rad-und Fußwegen versehen ist.
„Ein Radschnellweg wird bewertet wie eine Landstraße“, erklärt Fürmann. „Und das bedeutet: Die Brücken müssen garantiert 100 Jahre halten.“ Auf dem Stück sind einige Bahnbrücken, die zwar hundert Jahre lang schwerste Güterzüge getragen haben. Aber ob sie noch 100 Jahre lang Radfahrer tragen können? Gutachten müssen her, gegebenenfalls neue Brücken gebaut werden, weil die vielleicht nur noch 80 Jahre halten würde...
Und als ob derlei Hindernisse nicht reichen, hat die Bürokratie noch etliche mehr aufgetürmt: So etwa alle zehn Kilometer wechselt der so genannte „Straßenbaulastträger“. In Duisburg ist eine Stadttochter zuständig, in Moers und Kamp-Lintfort die Kommune, in Mülheim und Essen der Regionalverband Ruhr und außerorts, wo auch immer das beim RS1 sein mag, ist es der Landesbetrieb „Straßen. NRW“, der eine Abteilung für Radverkehr hat, aber sich schwer tut, die Stellen zu besetzen.
Minister verspricht „eine Reihe von Baubeginnen“
Immerhin: Minister Oliver Krischer kam selbst zu einer Radschnellwege-Demo, jener in Köln. Das Ergebnis zehn Jahre nach Beginn der Radschnellwege-Planung sei „diplomatisch formuliert: nicht zufriedenstellend“, so Krischer. „Das muss sich ändern, das muss besser werden“, sagt er. Krischer verspricht immerhin, die Planer allüberall entlang der jeweiligen Radschnellwege an einen Tisch zu bringen, auf dass sie auch einmal gemeinsam planen. Der Grünen-Politiker sagte am Samstag: „Ich bin sicher, wir kriegen da jetzt einen ganz anderen Drive rein.“
Minister Krischer zeigte sich optimistisch, dass es 2024 und 2025 „eine Reihe von Baubeginnen“ geben werde. Der ADFC monierte, es habe vollmundige Versprechen gegeben, es sei aber kein Fortschritt erkennbar. Das gelte nicht nur für den RS1. „Wenn die fünf Projekte weiterhin im selben Schneckentempo der letzten zehn Jahre realisiert werden, ist mit einer Fertigstellung erst im Jahr 3013 zu rechnen“, kritisierte Rebecca Heinz vom ADFC NRW. „Ist schon komisch“, wundert sich auch Herbert Fürmann tags drauf auf dem Moerser Bahnhofsvorplatz. „Wenn der es nicht ändern kann, wer denn dann?“
Der ADFC fordert daher vom Land vier Dinge, um den Bau von Radschnellwegen endlich zu beschleunigen. Dazu gehört die verbindliche Festlegung von Ausbauzielen und deren zeitliche Umsetzung. Außerdem will der Fahrrad-Club, dass der zuständige Landesbetrieb Straßen.NRW mehr Personal für die Radverkehrsplanung einsetzt und Radschnellwege nicht nur auf dem Papier Landstraßen gleichgestellt sind: Planungsprozesse müssten beschleunigt und Kommunen finanziell, personell und fachlich unterstützt werden durch ein Wissensnetzwerk.
Die „Erkundungsradler“, die 13 Jahre nach dem Startschuss für den RS1 von Moers nach Mülheim feststellten, dass es bis auf ein kleines Schlussstück nichts von einem Radschnellweg zu sehen gibt, können sich immerhin trösten, dass die neue A40-Brücke über den Rhein schon jetzt einen „Radfußweg“ bietet. „Der wäre sogar breiter als der alte Radweg, wenn man den Windschutz nicht aus ästhetischen Gründen gekrümmt hätte“, so Fürmann.
Fünfmal steht die Null beim Radschnellwegbau
2013 beschloss das Land NRW den Bau von fünf Radschnellwegen – zusätzlich zum RS1 durchs Ruhrgebiet. Von dessen 114 Kilometern sind knapp 19 in vier Teilstücken fertiggestellt.
Gesamtlänge aller Projekte: 282 Kilometer. Bei fünf Projekten steht noch immer die Null: So beim RS2, der soll von Isselburg im Westmünsterland, beim Ministerpräsidenten in Rhede vorbei nach Velen führen. Der RS3 soll Minden mit Herford verknüpfen, der RS4 „Euregio“von Aachen nach Heerlen, ins gelobte Land des Radelns, die Niederlande, führen.
Sagenhafte 1500 Meter Radschnellweg sind immerhin von den geplanten 36 Kilometern des RS5 zwischen Neuss und Monheim gebaut worden. Von den acht Kilometern von Köln nach Frechen (RS6) ist genauso wenig zu sehen wie vom zusätzlich aufgenommenen RS7, der als Zubringer zum RS1 von Gladbeck nach Essen führen soll über 13 Kilometer.