Oberhausen/Kabul. Das Friedensdorf International organisiert Hilfe für Menschen, die aus Pakistan nach Afghanistan deportiert werden.
Vor dem staubbedeckten Zelt steht ein kleines mageres Mädchen in einem dreckigen Kleid, seine schwarzen Haare unter dem Kopftuch sind verfilzt. Schüchtern sagt die Kleine zu der blonden Helferin aus Deutschland, sie würde sich gerne nach all den Tagen wieder einmal waschen können. Aber hier in dieser Zeltstadt in der Einöde nahe der Grenze zu Pakistan gibt es kein frisches Wasser.
„Sie haben den Menschen alles genommen. Auch ihre Würde.“ Claudia Peppmüller, Sprecherin des Friedensdorfes International, ist erschüttert, über das, was sie in Afghanistan erlebt hat. Jetzt starten die Oberhausener Hilfsorganisation eine Aktion, um die neue Not zu lindern, die über das Land am Hindukusch hereingebrochen ist.
Anlaufstelle für Hunderttausende Menschen
Torcham, Provinz Nangarhar, im Osten Afghanistans. Eine graue Schotterwüste, die in die braunen Ausläufer des Safed-Koh-Gebirges übergeht, erstreckt sich links und rechts des Highway 1, der den Grenzort mit der Provinzhauptstadt Dschalalabad verbindet. Es ist eine trostlose, karge Landschaft, kein Ort, um länger zu verweilen, jedenfalls nicht in normalen Zeiten.
Jetzt ist die Ödnis eine erste Anlaufstelle für Hunderttausende Afghanen, die aus Pakistan vertrieben werden. Weiße und dunkelblaue Zelte stehen auf dem harten, steinbedeckten Boden, Bulldozer planieren neue Parzellen, olivfarbene Armeelastwagen rumpeln Staubwolken hinter sich herziehend über das Gelände.
Vor einem Zelt der Vereinten Nationen versuchen maskierte Soldaten mit Knüppeln verzweifelte Menschen in Schach zu halten. Gerade ist hier die Registrierungsstelle für heute geschlossen worden. Frauen in verschlissenen Burkas sehen Claudia Peppmüller, sie umlagern sie, reden auf sie ein, deuten mit ihren Händen auf ihre Münder. Sie haben Hunger. „Die Situation hier ist einfach katastrophal“, sagt die Sprecherin des Friedensdorfes.
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Das Friedensdorf International ist seit mehr als drei Jahrzehnten in Afghanistan im Einsatz. Die Helfer aus Dinslaken und Oberhausen bringen eigentlich kranke und verletzte Kinder zur Behandlung nach Deutschland. Nach der Machtübernahme der Taliban vor etwas mehr als zwei Jahren und dem Kollaps der afghanischen Wirtschaft hilft das Friedensdorf auch immer wieder im Land selbst mit Lebensmittellieferungen.
Es gibt wenige Länder auf der Welt, die dringender auf Unterstützung angewiesen sind. Es ist, als sei Afghanistan verflucht. Das Land wird von Dürren, Erdbeben, Fluten heimgesucht. Jetzt entfaltet sich eine zusätzliche Katastrophe.
Das Nachbarland Pakistan will vor dem beginnenden Winter bis 1,7 Millionen Afghanen deportieren, die dort zum Teil seit Jahrzehnten als Flüchtlinge leben. Hunderttausende sind bereits in die alte Heimat zurückgekehrt.
Den Helfern mangelt es an allem
In einem stickigen Zelt steht Dr. Barakatullah, ein junger Arzt, den seine rote Weste als Mitarbeiter des Afghanischen Roten Halbmonds ausweist, der einheimischen Partnerorganisation des Friedensdorfes. Dieses Zelt ist eine von fünf mobilen Krankenstationen, die hier bei Torcham errichtet worden sind.
„Wir haben hier in den vergangenen zwei Wochen über 5800 Patienten betreut“, berichtet Barakatullah. Die Menschen kämen mit schweren Infektionskrankheiten, Durchfall, seien unterernährt, dehydriert, litten unter massiven Stresssymptomen. „Wir haben viele mit Verletzungen an Köpfen oder Gliedmaßen, sie sind von den pakistanischen Grenzpolizisten geschlagen worden.“
Es fehlt den afghanischen Helfern an allem. Medikamente, Decken, Wasser, Lebensmittel. In einem Geburtszelt nebenan sind bereits zwei Kinder zu Welt gekommen. „Viele der Kinder sind völlig verwahrlost und ausgehungert. Die meisten der Erwachsenen scheinen noch gar nicht realisiert zu haben, was ihnen passiert ist“, ist der Eindruck von Peppmüller.
Wenn die Rückkehrer in Torcham registriert worden sind, werden sie einige Tage später in ihre ursprünglichen Heimatprovinzen verteilt. Dort stehen die meisten von ihnen aber vor dem Nichts. Deswegen errichten die afghanischen Behörden jetzt mancherorts weitere Zelt-Camps. Auch sie sind Provisorien ohne fließendes Wasser oder Sanitäranlagen. Die Familien, oft zehn Menschen oder mehr, müssen auf acht Quadratmeter zusammenleben.
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Die Taliban fordern die Bevölkerung auf, den Rückkehrern zu helfen, doch drei Viertel der Afghanen sind von Hunger bedroht. „Wenn der Winter beginnt, beginnt auch das Sterben“, befürchtet die Sprecherin des Friedensdorfes.
„Afghanistan ist aufgrund der Machtübernahme der Taliban und weil aktuell Konflikte wie der in der Ukraine oder in Nahost im Vordergrund stehen, in der desaströsen Lage, dass Entwicklungshilfe eingefroren wurde und sich viele Hilfsorganisationen zurückgezogen haben“, erklärt Birgit Stifter, die Leiterin des Friedensdorfes. Die Helfer aus Dinslaken und Oberhausen werden jetzt Unterstützung leisten. „Wir werden Medikamente für zig Tausende Kinder liefern, dazu Babynahrung und Aufbaukost.“ Die Hilfe soll über die engen Kontakte des Friedensdorfes bereits in den kommenden Tagen in Afghanistan ankommen. „Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen“, sagt Peppmüller.
Hier können Sie spenden:
Friedensdorf International
Stadtsparkasse Oberhausen,
DE59 3655 0000 0000 1024 00
Stichwort: Afghanistan