Düsseldorf. Das NRW-Schulministerium will die Lesekompetenz der Kinder stärken. Die Grundschulen müssen eine Lesestunde einplanen. Wie das umgesetzt wird.
Die Schülerinnen und Schüler haben sich im Klassenraum an den Tischen oder in der Sitzecke der nebenan gelegenen Bibliothek verteilt und lesen ruhig und konzentriert in ihren Büchern. Lehrerin Verena Link geht zwischen den Tischen umher, beantwortet Fragen und lässt sich hin und wieder einige Sätze von einem Schüler vorlesen. Die Klasse 4b der Paulusschule in Düsseldorf hat an diesem Tag eine ihrer Lesestunden. Dreimal in der Woche sollen Grundschüler für je 20 Minuten lesen. Das hatte das NRW-Schulministerium für das kürzlich gestartete Schuljahr vorgegeben. Mehr Unterrichtszeit bekamen die Schulen dafür bislang aber nicht.
Bildungsstudien: Viele Grundschüler können nicht richtig lesen
Dafür habe das Ministerium die Schulen während der Sommerferien auf die Neuerung eingestellt, wie Monika Maraun, Leiterin der Paulusschule, berichtet. „Es wurde ein Leitfaden herausgegeben und es gab eine große Konferenz, auf der die Schulleitungen informiert wurden“, sagt sie. Anlass zu der Vorgabe war, wie das Ministerium Ende Mai mitgeteilt hatte, dass laut zweier Bildungsstudien nahezu jedes vierte Grundschulkind der vierten Klasse nicht richtig lesen könne.
„Dreimal 20 Minuten verbindliche Lesezeit pro Woche – das ist die Kurzformel für einen ersten Schritt zur Stärkung der Basiskompetenzen in der Primarstufe“, heißt es seitens des Ministerium. Doch wie passen insgesamt 60 Minuten pro Klasse zusätzlich in den Unterrichtsplan? Bis zu den Herbstferien haben die Schulen Zeit, das auszutüfteln, erklärt Schulleiterin Maraun. Danach müsse es richtig laufen.
Kinder suchen sich Bücher aus der Schulbibliothek aus
Dabei werde das Lesen in den Grundschulen bereits gefördert, betont Maraun. Das Problem liege eher im Mangel an Lehrkräften und den großen Klassen. „Wir haben uns am Anfang im Kollegium zusammengesetzt und geschaut, was wir schon für das Lesen machen und was verbessert werden kann.“ Das sei zum Beispiel die Dokumentation des Lernfortschrittes der einzelnen Kinder. „Dann haben wir überlegt, wie wir das umsetzen können. Wir haben schon viele Leseangebote für die Kinder“, es fehle aber einfach an Personal.
Eines der Angebote ist die gut ausgestattete, schuleigene Bibliothek. Zu Beginn der Lesestunde strömen die Schülerinnen und Schüler der 4b in den Raum, laufen zwischen den Regalen durch, ziehen hier und da Bücher hervor und tauschen sich aus. Sie haben einige Minuten Zeit, sich etwas auszusuchen. „Sie leihen sich ein Buch aus, das sie dann in der Klasse lesen“, sagt Lehrerin Verena Link. „Sie dürfen es aber auch mit nach Hause nehmen.“ Nachdem sich alle etwas zu lesen genommen haben, kehrt Ruhe ein und die Kinder verteilen sich auf ihre Lieblingsplätze.
Ab und zu flüstern sie sich etwas zu, doch die meiste Zeit herrscht Stille im Raum. „Wir haben Bücher für alle Kinder“, erklärt Link. „In einem Regal stehen Bücher für fortgeschrittene Leser, wie die Harry-Potter-Reihe. Dann gibt es mittelschwere Bücher und im ersten Regal stehen die einfacheren Bücher für alle Kinder, die noch nicht so weit sind.“ Dabei finden sich in der Schulbücherei neben der Kinder- und Jugendliteratur auch kindgerechte Sachbücher.
Bildungsgewerkschaft fordert mehr Ressourcen für Schulen
Dann ist die Lesestunde auch schon wieder vorüber. Die Paulusschule packt die verbindliche Lesezeit vorerst in eine Schulstunde. Doch bevor es in die Pause geht, wird geschrieben: Die Kinder kehren an ihre normalen Plätze in der Klasse zurück, alle ziehen ihr rotes Lese-Tagebuch hervor und fassen zusammen, was sie heute gelesen haben. So kontrolliere man unter anderem das Leseverständnis und den Lernfortschritt der Kinder, sagt Lehrerin Link. Doch auch sie wünscht sich eine zusätzliche Schulstunde, damit die Lesezeit auch richtig in den Unterrichtsplan passt.
Das fordert auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW. „Jede zusätzliche Aufgabe, die an die Schulen gegeben wird, muss gerade in Zeiten von Lehrkräftemangel entweder mit zusätzlichen Zeitressourcen einhergehen, oder es muss mitgeteilt werden, was dafür wegfallen darf“, fordert Vorsitzende Ayla Çelik. „Ein immer mehr Draufsatteln bedeutet, die pädagogische Aufgabe vor Ort vor eine Herkulesaufgabe zu stellen.“
Dass Schulministerin Dorothee Feller (CDU) auf die Probleme in der Bildung reagiere, sei richtig, so Çelik weiter. Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, was die Ursachen dafür sind. „Schulen müssen mit entsprechenden Ressourcen in die Lage versetzt werden, Benachteiligungen aufzufangen und den Anforderungen gerecht zu werden.“