Borek/Essen. Im Nordirak konnte die Caritas das Gebäude eröffnen – auch dank Spenden unserer NRZ-Leserinnen und -Lesern. Was das für die Region bedeutet.

Die Kinder laufen hintereinander auf den mit Wimpeln in den kurdischen Fahnen geschmückten Schulhof, sie tragen provisorische Schuluniformen, weiße Hemden, schwarze Röcke oder Hosen, dann reihen sie sich an den Wänden auf. Vor ihnen stehen Plastikstühle, auf denen die Gäste Platz nehmen, Lehrer aus anderen Schulen, die Würdenträger mit ihren rot-weißen Kopftüchern und den beeindruckenden Schnurrbärten, einige Männer in Flecktarn, das sind Peschmerga, Kämpfer, die in den grauenvollen Tagen vor acht Jahren das Heiligtum verteidigt haben, das nur einige Hundert Meter weiter liegt. Es ist ein besonderer Tag in Borek.

Heute wird diese Schule eingeweiht. Es ist ein Zeichen der Hoffnung in einer Region, in der es viel zu wenig Hoffnung auf ein besseres Leben gibt. Dieses Zeichen haben auch Leserinnen und Leser der NRZ mit ihren Spenden möglich gemacht.

Der Islamische Staat stürmte 2014 die Region

Die Shingal-Region im äußersten Nordwesten des Irak ist die Heimat der Jesiden, einer so geheimnisvollen wie friedfertigen religiösen Minderheit, die seit jeher immer wieder Opfer von Verfolgung und Gewalt geworden ist.

Im Sommer 2014 brach die Hölle über sie hinein. Die bärtigen, schwarz gewandeten Extremisten des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) stürmten die Shingal-Region. Für die Fanatiker sind die Jesiden „Teufelsanbeter“. Das erklärte Ziel des IS war die völlige Vernichtung jesidischen Lebens im Irak und in Syrien. Tausende Menschen wurden von ihnen ermordet, Tausende Frauen und Kinder verschleppt. Hunderttausende Jesiden flohen, die meisten in die östlich gelegene Autonome Region Kurdistan. Dort leben noch immer unzählige der Flüchtlinge von 2014 in Camps. Acht Jahre in Wohncontainern und Zelten, es ist ein zermürbendes Leben ohne Perspektiven. Die Suizidrate in den Camps ist hoch. Nur wenige Jesiden haben sich bislang getraut, in die alte Heimat zurückzukehren, obwohl das Terrorkalifat des IS bereits seit fünf Jahren Geschichte ist.

Die Kinder freuen sich auf ihre neue Schule. In den Jahren zuvor lernten die Kinder in Zelten, die manchmal voller Schlamm waren.
Die Kinder freuen sich auf ihre neue Schule. In den Jahren zuvor lernten die Kinder in Zelten, die manchmal voller Schlamm waren. © Jan Jessen | Jan Jessen

Die Shingal-Region ist in weiten Teilen noch immer eine Ruinenlandschaft, der irakische Staat investiert wenig in den Wiederaufbau. Unterschiedliche Gruppierungen ringen in der Region um Einfluss. Mal stehen sie dem Iran nahe, der die Region als strategisch wichtige Route für den Transport von Waffen nach Syrien und in den Libanon benötigt, mal der kurdischen Regionalregierung in Erbil, mal der kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Die Türkei, für die auch die von der PKK ausgebildeten Milizen als Terroristen gelten, bombardiert immer wieder völkerrechtswidrig in der Shingal-Region, die irakische Armee und Bundespolizei drohen regelmäßig, die Milizen nötigenfalls gewaltsam zu entwaffnen. Es ist ein kompliziertes Geflecht unterschiedlicher Interessen, in dem die Zukunft der Jesiden unterzugehen droht.

Deswegen wollen viele derjenigen, die noch immer als Flüchtlinge in der kurdischen Autonomieregion leben, nach Europa, konkret: nach Deutschland. Im Norden des Gebirgszuges, der der Shingal-Region ihren Namen gegeben hat, gibt es aber Dörfer und Städte, die vergleichsweise sicher sind. Dort leben wieder Zehntausende Menschen. Die Siedlungen um das Heiligtum Sherfedin, nahe der Städte Borek und Sinune, sind solche sicheren Orte.

Perspektiven für jene schaffen, die zurückkehren wollen

„Wir arbeiten dort, um Perspektiven für Geflüchtete zu schaffen, die wieder in die Heimat zurückkehren wollen. Unser wichtigstes Anliegen ist es, Fluchtursachen zu bekämpfen“, sagt Markus Kampling, Vorstandsvorsitzender der Caritas Flüchtlingshilfe Essen. Die CFE setze dabei auf Bildung und Arbeit. Im Sommer hat die Hilfsorganisation ein Gewächshausprojekt fertiggestellt, in dem 20 Familien ein Auskommen finden, es sind Menschen, die zuvor als Flüchtlinge in Camps gelebt haben.

„Besonders stolz sind wir aber auf unsere Schule“, sagt Kampling, „denn Bildung ist das Fundament, auf dem die Zukunft aufgebaut wird.“ Vor Ort arbeite man eng mit einer kurdischen Hilfsorganisation namens Barzani Charity Foundation zusammen. „Das sind sehr professionelle Partner“, so Kampling.

Die kleine Schule ist in einer Siedlung nahe der Kleinstadt Borek entstanden, in der sich viele Menschen neu ansiedeln. Es ist ein einfaches, einstöckiges Gebäude, vier Klassenzimmer, ein Raum für das Lehrpersonal, ein weiterer Raum, der für andere Aktivitäten genutzt werden soll. Sie liegt in Sichtweite des Berges. Die Rückkehrer bauen dort neue Häuser, weil der Berg Rettung verspricht, sollten sie wieder einmal attackiert werden.

Hier haben Hazem Kayo, ein Mann mit gedrungener Statur, schütterem Haar und einem freundlichen Lächeln, und sein Team vor rund drei Jahren begonnen, Kinder zu unterrichten, in Zelten und in einem Rohbau. An diesem bewölkten Spätsommertag lächelt Kayo nicht nur, er strahlt. „Es ist wunderbar, dass wir jetzt ein Gebäude haben, es war oft ziemlich schwierig in den vergangenen Jahren.“

Unterricht für die Klassen sieben bis neun

Die Schule ist eine weiterführende, hier findet Unterricht für die Klassen sieben bis neun statt. Die Grundschule nebenan hat eine japanische Hilfsorganisation errichtet. „Insgesamt kommen 130 Kinder hierher, wir rechnen jetzt damit, dass es deutlich mehr werden“, erzählt Schulleiter Kayo. Sein größter Wunsch: Ein kleines Labor, in dem die Schüler naturwissenschaftlichen Unterricht bekommen können.

„Unsere Klassenzimmer in den Zelten waren manchmal voller Dreck und Schlamm, deswegen sind wir glücklich darüber, dass diese Schule für uns gebaut worden ist“, sagt Salah, er ist 15, ein junger Mann mit einem selbstbewussten Blick, der einige Brocken Englisch spricht. Er besucht die achte Klasse, sein Traum ist es, Arzt zu werden. „Ich will auch einmal helfen können“, sagt er.

Eine seiner Lehrerinnen ist Ghazal, eine Mittdreißigerin, die seit drei Jahren mit den anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem jungen Team ehrenamtlich für die Kinder arbeitet. „Wir werden in dieser neuen Umgebung viel besser unterrichten können“, sagt sie. Schulleiter Kayo dankt auch den Leserinnen und Lesern der NRZ. „Ich schätze es sehr, dass Ihr an uns gedacht habt. Ihr habt uns sehr geholfen.“

Info: Weitere SpendenDie Caritas Flüchtlingshilfe Essen (CFE) will die Schule weiter unterstützen und weitere Möbel und Schulmaterialien anschaffen. Deswegen ruft die CFE zu weiteren Spenden auf. Zudem ist die CFE auf der Suche nach Schulen, die gebrauchte Labor-Materialien wie beispielsweise Mikroskope oder gebrauchte Computer abgeben können, um die Schule zu unterstützen – oder die sich eine längerfristige Partnerschaft mit der Schule in Borek vorstellen können.