Aus der Grenzregion. Im Interview spricht der niederländische Premier Rutte über Kanzler Scholz, den Ukraine-Krieg – und welche persönliche Bindung er zu NRW hat.

Ein gemeinsamer Knopfdruck und es sprühen Funken: Zusammen mit weiteren internationalen Gästen haben der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und NRW-Europaminister Nathanael Liminski am Mittwoch das Freiheitsmuseum im niederländischen Grenzort Groesbeek eröffnet, das den Zweiten Weltkrieg mit Blick auf die Gegenwart beleuchtet.

„Freiheit fühlt sich für uns heute selbstverständlich an. Aber leider zeigt uns der abscheuliche Krieg in der Ukraine: Freiheit ist nicht selbstverständlich. Sie verlangt permanente Pflege“, sagte Rutte beim Festakt, bei dem auch eine deutsche und eine niederländische Zeitzeugin sprach.

Im Anschluss gab der niederländische Premier der NRZ ein Interview über die Bedeutung der Grenzregion für die deutsch-niederländische Freundschaft, seine persönliche Verbindung zu NRW – und die Zusammenarbeit mit Bundeskanzler Olaf Scholz.

Herr Ministerpräsident, wie wichtig sind die Grenzregion und Nordrhein-Westfalen für die Politik in Den Haag?

Mark Rutte: Die Grenzregion ist ganz entscheidend, denn dort erlebt man die gemeinsame Freundschaft vor Ort. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit Armin Laschet während der Coronapandemie darüber, wie wir die Grenze offen halten können. Das war für uns ökonomisch wichtig, aber auch mental. Grenzschließungen sind überall in Europa passiert, also verlangte es uns natürlich viel ab, dass wir die Grenze nicht auch geschlossen haben. Wir können viel über Deutschland reden und uns an Berlin wenden – aber in der Grenzregion erlebt man die Verbindung.

Was verbinden Sie persönlich mit Nordrhein-Westfalen?

Viel – ich bin als kleiner Junge regelmäßig in Deutschland im Urlaub gewesen. Wir kamen oft nach Köln, Düsseldorf, Essen und andere Städte. Ich finde es so besonders, wie groß und weit alles wirkt, wenn man über die deutsche Grenze fährt. In den Niederlanden ist alles vollgebaut und durchgeplant, aber wenn man bei Nimwegen oder Kleve die Grenze überquert, sieht man, wie viel Raum es dort gibt. Man bemerkt, dass Deutschland ein ganz anderes Land ist. Gleichzeitig spürt man eine enge Verbindung zwischen beiden Ländern, wenn man mit den Menschen spricht.

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Das Freiheitsmuseum in Groesbeek hat ein grenzüberschreitendes Konzept. Wie wichtig ist das?

Sehr, die Grenzregion zwischen den Niederlanden, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ist eine der geschäftigsten der Welt was Handel, Austausch und Verkehr betrifft. Als ich noch mit Angela Merkel über die Betuwe-Linie gesprochen habe, habe ich gesagt: Die ist wichtig, denn Rotterdam ist der größte deutsche Hafen – nicht Hamburg! Hier kommen viele Waren an, die nach Deutschland gehen. Da realisiert man die engen Verflechtungen.

Sollte man in den Niederlanden mehr über die deutsche Seite der Geschichte lernen – kommt diese Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg noch zu kurz?

Wir sollten uns mehr darüber bewusst werden, dass der „einfache Deutsche“ auch unter Hitler gelitten hat. Die Geschichten der deutschen und niederländischen Zeitzeuginnen sind eindrucksvoll.

Herr Ministerpräsident, sind Sie zufrieden mit der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, was den Krieg in der Ukraine anbelangt?

Die ist fantastisch. Wir haben mit der deutschen Regierung sehr intensiven Kontakt. Über die Lieferung der Panzerhaubitzen und Patriot-Raketen waren Bundeskanzler Scholz und ich uns einig.

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Bundeskanzler Scholz war ja erst etwas zurückhaltend?

Nein, nein - das stimmt einfach nicht. Kanzler Scholz hat die wohl eindrucksvollste Rede gehalten, die seit Beginn des Krieges gehalten wurde – abgesehen vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj selbst. Das ist eine „Zeitenwende“.

In Deutschland ist das Thema Krieg noch immer sensibel, mussten die Niederlande ihren Nachbarn da etwas anschubsen?

Nein, wir haben gerade darüber viel diskutiert. Besonders beim Thema Panzerhaubitzen hatten wir einen engen Austausch: Wann gehen wir das an, in welchem Tempo, wie viele liefern wir, wie arbeiten wir zusammen? Es ist wichtig, dass auch Russland weiß, dass wir das zusammen machen.

Das niederländische und deutsche Militär arbeiten nun eng zusammen. Wie soll sich das weiterentwickeln?

Ja, es ist beinahe eins. Aber es gibt auch Unterschiede. Wir lernen voneinander, vom deutschen Heer die Strenge, und umgekehrt die Lockerheit. Dass man auch Raum fürs Improvisieren lassen muss. Die Kombination macht es, das sieht man auch bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von Betrieben.