Düsseldorf. Bruce Springsteen: 73 und kein bisschen leise, feierte in Düsseldorf sein Lebenswerk gemeinsam mit 43.000 Fans. Und ward phasenweise überirdisch.

Man weiß vorher – weitgehend – , was er spielt - dafür gibt es die einschlägigen Portale mit der Setlist. Man ahnt, dass der Klang – wie bei Stadionkonzerten so oft – über weite Strecken eher Matsche ist. Und man kann sich denken, dass jegliche Lichteffekte in der kürzesten Nacht des Jahres ziemlich wirkungslos bleiben, zumal der Mann schon pünktlich um 19 Uhr auf die Bühne tritt - ohne Vorband. Doch 43.000 Menschen kommen trotzdem, wenn der Boss ruft zum Auftakt seiner vier Deutschland-Konzerte. Und wie er ruft.

Der Anfang des Konzertes ist eine Überraschung, selbst für Boss-Experten: „The ties that bind“ hat er seit sechs Jahren nicht mehr live gespielt. Eine nette Geste für seine deutschen Fans? Die Bande zwischen Publikum und Bruce jedenfalls, sie ist vom ersten Ton an zu spüren. Und mit „No Surrender“, sonst bei dieser Welttour gern der Auftakt, schickt er als zweites Lied direkt eine Hymne in die Arena, die andere Bands vermutlich direkt vor die Zugabe packen würden, weil alle mitsingen können.

„No Surrender“ wird Kommentar zum Ukraine-Krieg

Springsteen indes bremst den Song, indes variiert den Songtext, sing von der Sehnsucht nach einer Welt ohne Krieg und Steve van Zandt spielt dazu auf einer Gitarre in Ukraine-Farben. „Kein Rückzug, niemals aufgeben“ – so wird „No Surrender“ zur einzigen politischen Botschaft des Abends. Der Abend steht ansonsten im Zeichen einer Werkschau mit dem Fokus auf das erfolgreichste Jahrzehnt der langen Karriere des Mannes aus Asbury Park, New Jersey. Die Rede ist von der Phase zwischen 1975 und 1985, wo Springsteen mit der E-Street-Band seine fantastischen Vier vorlegte: „Born to Run“, „Darkness on the Edge of Town“, „The River“ und „Born in the U.S.A.“

Bruce Springsteen (l), mit seinem legendären Gitarrist „Little Steve“ Steven Van Zandt: die beiden teilten sich immer mal wieder das Mikro – und van Zandt sieht mittlerweile aus wie Keith Richars jüngerer Bruder.
Bruce Springsteen (l), mit seinem legendären Gitarrist „Little Steve“ Steven Van Zandt: die beiden teilten sich immer mal wieder das Mikro – und van Zandt sieht mittlerweile aus wie Keith Richars jüngerer Bruder. © Thomas Brill

Kombiniert mit einigen Schlüsselwerken davor und danach schafft er so eine knapp dreistündige Show ohne jede Pause und er bringt die 28 Songs auch nur deswegen in dieser Zeit unter, weil er anders als früher nicht viel erzählen muss. Stattdessen spaziert er immer wieder runter von der Bühne, die breite erste Reihe entlang, schüttelt Hände und feiert sein musikalisches Hochamt in Düsseldorf, wo er zuletzt 2007 zu Gast war.

Im Rücken hat er neben der bekannten E-Street-Band eine halbe Big Band und wenn die alle gleichzeitig Vollgas geben, wird der Sound schon mal breiig und Springsteens Gesang gerät ein bisschen zu sehr in den Hintergrund. Was von den textsicheren Fans so rund um die 50 locker aufgefangen wird. Und dennoch sind es die leisen Töne, die das emotionale Herz dieses Konzerts bilden, als er nach dem Party-Song „Mary’s Place“ zurückschaltet und nochmal in Papas Buick durch die niedergehende Heimatstadt fährt: „My Hometown“ wird gefolgt von den Szenen einer Ehe aus „The River“.

Springsteen, der letzte Überlebende seiner ersten Band

Dann hält Bruce Andacht und erzählt – mit deutschen Untertiteln auf den Videoleinwänden – von seinem Besuch am Sterbebett eines Jugendfreundes, mit dem er als 15-Jähriger seine erste Band hatte. Er, so wird dem heute 73-Jährigen klar, ist der einzige, der von jener Jugendband noch lebt: „Last Man Standing“ heißt der Song und die frohe Botschaft des Katholiken Springsteen: Du bist nicht tot, denn ich trage dich in meinen Erinnerungen. Und für die Menschen im weiten Rund und auf den Rängen gibt es die Botschaft: Wer weiß, dass der Tod näher rückt, weiß die guten Momente des Lebens umso mehr zu schätzen.

Größer als das Leben: Fans vor Springsteen, der auf der Videowand über sich hinauswächst – aber nicht nur dort..
Größer als das Leben: Fans vor Springsteen, der auf der Videowand über sich hinauswächst – aber nicht nur dort.. © OThomas BrilL

Also anzählen, bitte: One, two, three, four! Weiter geht’s durch „Backstreets“ und „Badlands“, „Because the Night“ – die gehört nun mal uns und den Songs, die uns mindestens das halbe Leben begleiten. 2017 hat er hat er das halbe Konzert noch zum Wunschkonzert gemacht. Diesmal ist ihm seine Botschaft wichtiger: Die „Thunder Road“ ist das Griffbrett der Gitarre, nur über sie geht es zur Erlösung. Nur mit ihr predigt Springsteen. Seine langatmigen Ansprachen hat er gestrichen. Bei ihm wird auch die Rockstar-Geste mit dem aufgerissenen Hemd zur Botschaft: Seht her, hier schlägt es, mein „Hungry Heart“.

Er legt sein Herz in jede Zeile – wie einst Marvin Gaye

Das wirkt nur deshalb zu keinem Zeitpunkt peinlich oder neben der Spur, weil man dem Altmeister anmerkt, dass wirklich jedes Lied mit Emphase spielt, nichts wirkt wie runtergespielt. Und wenn er tatsächlich nur einen Song von seinem jüngsten Album mit Soul-Klassikern spielt, dann wenigstens diesen: „Nightshift“ von den Commodores, in dem – auf Marvin Gaye gemünzt – die Zeile vorkommt: „Er sang seine Lieder mit dem Herzen in jeder einzelnen Zeile“. Genau das vermittelt Springsteen auch an diesem Abend, wenn er seine großen Songs über die kleinen Leute vorträgt und die vielen Lieder, die nichts anderes besingen als die Sehnsucht nach dem Anderswo, in das man entweder über den Highway oder über die Musik erreicht.

Und nach 50 Jahren Geschichte seiner E-Street-Band ist das Anderswo halt auch schon mal das Jenseits: Danny Federici, Keyboarder, und Clarence Clemons, der legendäre Saxophonist, werden am Ende noch einmal gewürdigt, ehe Springsteen seine Band per Umarmung und Handschlag in den Feierabend entlässt und zur Gitarre den Verstorbenen ein letztes Lied singt: Ihr seid nicht tot, ich sehe euch wieder: „In My Dreams“. Sein Blick geht von der jubelnden Menge in den Himmel über Düsseldorf, der allmählich dunkelt. Zeit für die Nachtschicht. Draußen vorm Stadion spielt jemand Gitarre, singt „The River“. Viele singen mit, jede Zeile im Herzen.

Diese 28 Songs spielte Bruce Springsteen in Düsseldorf:

„The Ties that bind“
„No Surrender“
„Ghosts“
„Prove It All Night“
„Letter to You“
„The Promised Land“
„Out in the Street“
„Candy’s Room“
„Kitty’s Back“
„Nightshift“ (Commodores Cover)
„Mary’s Place“
„My Hometown“
„The River“
„Last Man Standing“ (akustisch, mit Barry Danielian an der Trompete)
„Backstreets“
„Because the Night“ (Patti Smith Cover)
„She’s the One“
„Wrecking Ball“
„The Rising“
„Badlands“
„Thunder Road“

Zugaben:
„Born in the U.S.A.“
„Born to Run“
„Bobby Jean“
„Glory Days“
„Dancing in the Dark“
„Tenth Avenue Freeze-Out“
„I’ll See You in My Dreams“ (Solo mit Akustikgitarre)