An Rhein und Ruhr. Wie gehen Lehrerinnen und Lehrer damit um, Noten geben zu müssen? Und welche Kriterien dürfen einfließen? Gespräch mit einer Schulleiterin.
Was sagt eine Praktikerin über die Gerechtigkeit von Schulnoten? Hermann Josef Abs, Pädagogik-Professor an der Uni Duisburg-Essen sieht in Noten auch Chancen zum sozialen Aufstieg. Doch Noten sind oft vorentscheidend für die Bildungskarriere. Wir sprachen mit Anja Löwenau, Leiterin der Carl-Funke-Schule in Essen-Heisingen und mit der (Noch-)Sechstklässlerin Maya von der Luisenschule in Mülheim/Ruhr.
Heute ist der letzte Schultag in NRW und es gibt Zeugnisse. Wir haben die Sechstklässlerin Maya (12) gefragt, was sie über Noten in der Schule denkt.
Findest du Noten gerecht?
Ich denke, manchmal denken Kinder, eine Note sei ein bisschen ungerecht, weil sie eine bessere Note erwartet hätten. Aber ich denke schon, dass die Lehrer sich Mühe geben, möglichst fair zu bewerten. Manchmal kann man auch nicht so richtig sagen, ob die Note fair ist.
In welchen Fächern denn?
In Kunst können manche nicht so gut malen. Man gibt sich große Mühe, zum Beispiel bei einem Selbstporträt, und dann wird es doch etwas hässlicher als von denen, die supergut malen können. Und dann bekommen die, die sich weniger Mühe gegeben haben, bei denen es aber trotzdem besser aussieht, eine bessere Note.
Auch in Sport spielt die Begabung eine Rolle, oder?
Ja. Wir hatten Schulschwimmen in der sechsten Klasse. In meiner Klasse ist ein Mädchen mit sechs Geschwistern. Sie hat Schwimmen nicht in der Familie gelernt. Ich selbst mache Leistungsschwimmen, da fällt mir es natürlich viel leichter, im Schwimmunterricht mitzumachen.
Wollen Schüler eine Rückmeldung haben, wo sie stehen?
Ich denke schon. Viele fragen zum Beispiel immer nach den Quartalsnoten.
Hast du schon mal eine Note bekommen, die du unfair fandest?
Bei einem Vokabeltest hatte ich mal nur einen Fehler und trotzdem keine Eins, sondern eine Zwei. Aber das war auch nicht so schlimm.
Was empfindet man, wenn man oft schlechte Noten bekommt?
Ich glaube, man ist traurig und hat auch ein bisschen Angst vor den Eltern, weil man es ihnen nicht unbedingt sagen möchte.
Worauf achtest du, wenn du heute dein Zeugnis in der Hand hältst?
Ich gucke darauf, wie die Noten der anderen sind und wie ich mich selbst entwickelt habe.
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Na, mal schauen, was die Lehrerin dazu sagt - Frau Löwenau, sind Noten gerecht?
Noten können gerecht sein. Es steht und fällt mit der Transparenz für die Schüler. Die Kinder müssen wissen: Welche Leistung ist gefordert für welche Note? Was muss ich leisten, um eine Drei zu bekommen? Und was muss ich mehr tun, damit das eine Zwei oder Eins wird. Und wenn es eine Vier oder Fünf ist: Was fehlt mir noch, damit ich eine bessere Note erreichen kann. Dann ist auch das Verständnis bei den Kindern da, wenn eine Note mal nicht so ausfällt, wie sie sich das vielleicht gewünscht haben. Das ist die fachliche Ebene. Wenn diese geklärt ist, sind Noten durchaus gerecht.
Und wo sind die Probleme?
Das Problem ist vor allem die persönliche Ebene. Die Benotung bezieht sich auf eine Leistung, und das muss ein Kind verstehen. Es darf das nicht auf sich als Person beziehen. Bei leistungsschwachen Schülern schaue ich, dass ich andere positive Leistungen betone, damit es da einen emotionalen Ausgleich gibt.
Ist das bei Grundschulkindern, die zwischen sechs und zehn Jahren alt sind, besonders schwierig?
Die Kinder können da durchaus differenzieren. Nehmen wir an, Sie haben ein Kind, das schlecht lesen kann, es merkt ja selbst auch, dass es sich verhaspelt oder den Sinn des Gelesenen nicht begreift. Als Lehrerin muss ich dann schauen, wie kann ich da Hilfestellung leisten? Darüber hinaus kann ich im Arbeits- und Sozialverhalten oder vielleicht im Sport Leistungen hervorheben, damit das Kind versteht, dass eine Note eine Teilleistung bewertet und nicht den Menschen ausmacht.
Im ersten und zweiten Schuljahr gibt es ja reine Textzeugnisse, ab Klasse 3 dann Noten, aber auch mit Erläuterungen. Hilft das?
So ist das bei uns, es gibt Schulen, die auch nach der zweiten Klasse schon Noten geben. Das Zeugnis ist das Resümee eines ganzen Jahres. Für die Kinder ist sehr wichtig, dass sie mit jeder Arbeit eine detaillierte Rückmeldung erhalten und so ihre Leistung einordnen können. Ich habe gelernt, es ist durchaus zulässig, nicht nur objektive Maßstäbe, sondern auch die persönliche Entwicklung zu bewerten.
Das heißt, es gibt zwei Kriterien?
Es gibt begabte Schülerinnen und Schüler, die sich kaum anstrengen müssen, um gute Noten zu bekommen und es gibt weniger begabte Kinder, die viel Kraft investieren müssen, um sich zu verbessern. Diese Kinder haben dann proportional wesentlich mehr geleistet. Auch, wenn der begabte Schüler vielleicht objektive die bessere Leistung abliefert, muss die Anstrengungsbereitschaft durchaus mit in die Note einfließen.
Jetzt gibt es Fächer, wo die Leistung einfach zu messen scheint, Mathematik zum Beispiel, und andere, wo Talent und Begabung eine größere Rolle spielen. Ist das gerecht?
Wir können ja neben der objektiven Leistung auch das Arbeitsverhalten und die damit verbundene Anstrengungsbereitschaft mit einfließen lassen. Aber ein leistungsschwächeres Kind wird kaum ein so gutes Zeugnis bekommen wie ein leistungsstärkeres Kind. Es gibt eben auch Vorgaben, was am Ende eines Schuljahres erlernt und erreicht sein muss. Das sind die Grenzen unserer Leistungsgesellschaft.
Wie gehen Sie damit um, dass Sie zur Halbzeit des vierten Schuljahres mit der Empfehlung für die weiterführende Schule womöglich eine Weichenstellung fürs Leben vornehmen? Fällt das schwer?
Wenn wir die Kinder vier Jahre begleiten und mit den Eltern regelmäßig im Austausch sind, sollten eigentlich alle Beteiligten wissen, wo die Reise hingehen kann und soll. Ich finde es aber gut, dass letztendlich die Eltern über die weiterführende Schule entscheiden, denn sie tragen ja auch die Verantwortung dafür, dass ihre Kinder gut durch die Schule kommen. Ich finde es schade, dass wir dies schon im November entscheiden müssen, ich fände es besser, wenn wir da bis April Zeit hätten.
Manche Bildungsforscher sagen ja, die Entscheidung kommt sogar Jahre zu früh. Wäre gemeinsames Lernen bis Klasse 6 nicht besser?
Für manche Kinder wäre das sicherlich wunderbar, andere Kinder brauchen aber die Herausforderung nach Klasse 4 ein bisschen mehr auf eigenen Füßen zu stehen. Das ist individuell sehr unterschiedlich.
Was empfehlen Sie den Eltern und Kindern zur Zeugnisvergabe?
Für uns ist es besonders wichtig, dass die Kinder die Lernfreude behalten. Eine Note macht nicht das besondere eines Kindes aus. Die Kinder wissen Ihre Noten meist vorher und die Eltern damit auch. Eine Überraschung sollte es da eigentlich nicht geben. Sollten Kinder enttäuscht über ihr Zeugnis sein, dann sollten sie unbedingt mit Ihren Klassenlehrer*innen darüber sprechen und besprechen, was sie im neuen Schuljahr ändern können.
Hier geht's weiter mit dem Thema: Sind Noten gerecht? So sieht es der Pädagogik-Professor